Bluetooth erhält komplett neue Audio-Architektur

Die nächste Bluetooth-Norm LE Audio klingt besser und ermöglicht stromsparendere In-Ear-Kopfhörer. Den neuen Broadcast-Modus brauchen Museen, Theater und Kinos.

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Technik-Messe CES - Bluetooth

(Bild: dpa, Christoph Dernbach/dpa)

Lesezeit: 7 Min.
Von
  • Nico Jurran
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Bedenkt man, dass Bluetooth Audio bereits Anfang der 2000er spezifiziert wurde, ist es erstaunlich, was mit dieser Oldie-Funkarchitektur in den letzten Jahren noch realisiert wurde. Allen voran wären dabei die beliebten drahtlosen Ohrhörer zu nennen, die auch untereinander nicht mit einem Kabel verbunden sind.

Doch diese Geräte sind auch ein Paradebeispiel dafür, wie kreativ Entwickler mittlerweile sein müssen, um mit der an sich völlig veralteten Bluetooth-Audio-Technologie ans Ziel zu gelangen: Da Bluetooth nur ein einzelnes Stereosignal übertragen kann und dies auch nur mittels Punkt-zu-Punkt-Verbindung, schickt das Handy den Datenstrom zunächst an den (meist) rechten In-Ear. Der gibt den rechten Audiokanal wieder und funkt den linken Kanal weiter an den anderen In-Ear.

Ähnlich schwierig ist die Situation, wenn es um bessere Bluetooth-Audio-Qualität geht: Zwar existieren Alternativen zum Low Complexity Subband Codec (SBC) wie aptX und aptX-HD. Diese sind jedoch proprietär, kosten Lizenzgebühren und werden nicht von allen Betriebssystemen unterstützt.

Die für die Weiterentwicklung von Bluetooth zuständige Special Interest Group (Bluetooth SIG) hat nach eigenen Angaben bereits vor einiger Zeit festgestellt, dass der aktuelle Standard an seine Grenzen gestoßen ist. Die Mitglieder der SIG entschieden sich daher, ihn künftig als „Classic Audio“ zu bezeichnen und eine neue Bluetooth-Audio-Generation aus der Taufe zu heben – „LE Audio“ genannt. Die dazu eingeführten Techniken und Konzepte sind nach Angaben der Gruppe so weitreichend, dass sie „die nächsten 20 Jahre Audio-Innovationen ermöglichen“.

Die Bluetooth SIG nutzte die CES, um LE Audio vorzustellen – wohl wissend, dass das nötige Set von rund 20 Spezifikationen bislang noch nicht fertig ist: Die wichtigsten Bestandteile werden erst im ersten Halbjahr 2020 veröffentlicht. Nur die neue Core-Spezifikation ist bereits veröffentlicht, sodass ab sofort Bluetooth 5.2 aktuell ist. Classic Audio soll weiterhin existieren, sodass es künftig Geräte geben wird, die einen der beiden oder beide Betriebsmodi unterstützen.

Im Zentrum von LE Audio steht ein neuer Codec namens LC3 (Low Complexity Communications Codec), der Samplingraten von 8, 16, 24, 32, 44,1, 48 kHz, Datenraten von 16 bis 320 kBit/s und Rahmengrößen von 7,5 und 10 Millisekunden unterstützt. Entwickler sollen damit die Audioübertragung besser auf die jeweiligen Bedürfnisse anpassen können. Für die Nutzung von LC3 bei der Bluetooth-Audio-Übertragung werden dabei wie für SBC keine Lizenzgebühren fällig.

Das Fraunhofer Institut ermöglichte uns einen kurzen Hörtest, bei dem LC3 deutlich besser als SBC klang. Eine Vergleichsmöglichkeit mit aptX gab es vor Ort nicht, auch diesem soll LC3 vor allem hinsichtlich des Klirrfaktors überlegen sein.

Für den Nutzer springt laut SIG unter anderem eine bessere Audioqualität gegenüber SBC heraus. So haben Hörtests laut SIG ergeben, dass der aktuelle Standard-Codec bei maximaler (Stereo-)Datenrate von 345 kBit/s immer noch hörbar schlechter klingt als LC3 bei 160 kBit/s. Bei einer Datenrate von 248 kBit/s soll LC3 sogar 50 Prozent bessere Durchschnittsnoten erhalten haben als SCB mit vergleichbaren 237 kBit/s.

Passend zum „Low Energy“ (LE) in der Bezeichnung des neuen Betriebsmodus lässt sich LC3 laut SIG auch nutzen, um bei gegenüber SBC gleichbleibender oder leicht besserer Qualität Audiodaten mit einer geringeren Datenrate zu übertragen und so Strom zu sparen.

Auch hinsichtlich der Latenz schneidet LE Audio laut SIG sehr gut ab. Sie soll sich auf Protokollebene gegenüber SBC von 100 auf 10 Millisekunden verringert haben. Passend dazu führte Dialog Semicoductor bei der Präsentation von LE Audio vor, wie sich 5.1-Kanal-Ton LC3-kodiert via Bluetooth LE Audio von einem TV zu einer Surround-Anlage transferieren lässt, ohne bei der Wiedergabe von Videos die Lippensynchronität zu verlieren.

LE Audio kann einzelne Audiokanäle getrennt voneinander übertragen, die sich wiederum in Gruppen zusammenfassen lassen. Bei den angesprochenen „True Wireless“-Ohrhörern bedeutet dies, dass das Handy die Daten für den rechten und den linken Kanal künftig getrennt an den jeweiligen In-Ear senden. Genutzt wird dabei eine isochrone Kommunikation, die Übertragung der Signale läuft also in zeitlich konstanten Abständen. Bluetooth SIG spricht dabei von 25 Mikrosekunden.

Dialog zeigte eine 5.1-Ton-Übertragung mit LE Audio. Der Chiphersteller geht davon aus, dass man entsprechende Lösungen in kommenden TVs antreffen wird.

Dieses „Multistream Audio“ soll für eine robustere Übertragung und eine bessere Stereo-Abbildung sorgen. Da die Weiterleitung eines Audiokanals entfällt, lassen sich kleinere und stromsparende Geräte entwickeln. Auch eine Sprachsteuerung soll sich leichter realisieren lassen, da Steuerbefehle und ein etwaiger Audiorückkanal (zur Sprachübertragung bei Headsets) getrennt übertragen werden.

Die durch LE Audio mögliche Kombination aus niedrigem Stromverbrauch, hoher Audioqualität und Multi-Stream-Verbindungen versetzt die SIG erstmals in die Lage, Bluetooth Audio für Hörgeräte zu spezifizieren.

Neu ist bei LE Audio ein neuer Broadcast-Modus. Hier überträgt ein Sender Audiodatenströme an eine beliebige Anzahl von Empfängern, ohne sich einzeln mit diesen zu koppeln.

Die Bluetooth SIG hat bereits ein Logo für Bluetooth Audio Sharing kreiert, das sowohl auf Kopfhörern und Hörgeräten als auch auf Fernsehern und in Veranstaltungsstätten genutzt werden soll.

In Kombination mit Multistream-Audio lassen sich dabei wiederum Gruppen bilden, auch mehrere parallel. So ist die Übertragung eines Audiodatenstroms in Stereo ebenso möglich wie die mehrerer Streams mit unterschiedlichen Sprachfassungen – wahlweise jeweils wiederum in Mono oder Stereo. Genutzt werden soll diese Technik für ein sogenanntes „Bluetooth Audio Sharing“.

Im privaten Umfeld könnten so beispielsweise mehrere Freunde gemeinsam über Kopfhörer Musik hören. Das Haupteinsatzgebiet dürfte künftig aber im öffentlichen Raum anzutreffen sein. In Museum könnte Audio Sharing beispielsweise dafür sorgen, dass man für die Nutzung von Audio Guides seine eigenen Ohrhörer nutzen kann. Konferenzteilnehmer können sich Übersetzungen in der eigenen Sprache auf den Kopfhörer streamen lassen.

Vor allem in den USA sind auch Fitnessstudios und Flughäfen ein großer potenzieller Markt für Audio Sharing. Aktuell laufen an diesen Orten oft Fernseher stumm mit Untertiteln vor sich hin. Hier könnte man sich künftig mit einem Knopfdruck in den TV-Audio-Stream einklinken.

Nach Ansicht der SIG wird Audio Sharing auch in vielen Kinos und sogar bei Theatervorstellungen Standard. Hier geht es nicht nur um alternative Sprachfassungen, sondern Nutzer mit Hördefiziten können den Ton direkt auf ihr Hörgerät geleitet bekommen. Eine Lösung, die sich wiederum auch daheim am TV anbietet.

Damit sich nicht Unbefugte in die Übertragung einklinken können, sieht das System eine optionale verschlüsselte Ausstrahlung vor, an der man nur nach Eingabe eines Passcodes am Empfangsgerät teilnehmen kann. Die Bluetooth SIG sieht in diesem „Audio Sharing“ einen ganz neuen Anwendungsfall für ihr Funkprotokoll.

In US-Fitnessstudios kommen bislang Smartphones mit speziellen Apps zum Einsatz, um den Ton der stummgeschalteten TVs zu empfangen. Mit LE Audio können kommende TVs direkt auf passende Kopfhörer streamen.

Zahlreiche Chiphersteller unterstützen Bluetooth LE Audio, funktionsfähige Prototypen gibt es von Qualcomm und Nordic Semiconductor. Die SIG geht auch aufgrund der fehlenden Spezifikationen aktuell davon aus, dass die ersten Chipsätze in etwa einem Jahr fertig sind und LE Audio in ein bis zwei Jahren in ersten Produkten zu finden sein wird.

Laut der Gruppe wird es dann Geräte geben, die nur Bluetooth LE Audio unterstützen, etwa für Hörgeräte. Die typischen Bluetooth-Audio-Quellen wie Handys, Tablets oder Laptops werden künftig üblicherweise auch weiterhin den „Classic Audio“-Modus beherrschen.


Dieser Artikel stammt aus c't 3/2020.
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