Alzheimer: Der Keim des Vergessens

Hunderte Milliarden Euro wurden in der Alzheimer-Forschung auf einem Irrweg ­verschwendet. Nun erhärtet sich eine bislang wenig ­beachtete These zur Ursache der Demenz und macht Hoffnung auf die ersten wirksamen Medikamente.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 1 Kommentar lesen
3

Robert Moir war einer der Wegbereiter für die Alzheimer-Infektionstheorie.

(Bild: Massachusetts General Hospital)

Lesezeit: 2 Min.
Von
  • Nike Heinen
  • Veronika Szentpetery-Kessler

n Australien ist es schon acht Uhr abends. Trotzdem ruft Stephen Robinson gleich zurück – endlich hört ihm jemand zu. Er wird eine Stunde lang erzählen und beginnt: "Es tut mir leid für all diese Familien. Und natürlich die Toten." Es geht um eine Krankheit: Alzheimer. Und es geht um Forscher, die nach seiner Überzeugung Widersprüche systematisch ignorierten und wissenschaftliche Argumente blockierten.

Robinson ist Professor für Psychologie und forschte lange als Neurowissenschaftler an der University of Melbourne an dieser Form der Demenz. Derzeit leiden laut aktuellem Report von Alzheimer’s Disease International – der Vereinigung aller Alzheimer-Fachgesellschaften – etwa 30 Millionen Menschen an der Krankheit. Im Schnitt sterben sie sieben Jahre nach der Diagnose an dem Verfall ihres Gehirns. Seit Jahren fließen millionenschwere Industrie- und Fördermittelbudgets in die Forschung, trotzdem gibt es bislang nichts, das den Verlauf aufhält.

Im Mittelpunkt der bisherigen Alzheimer-Forschung stehen Beta-Amyloide. Das sind Proteine, die entstehen, wenn ein bestimmtes Protein der Zellmembran zerschnitten wird. Der Stoff ist verdächtig, weil er sich in den sogenannten Plaques befindet – Klumpen aus Amyloid und allerlei Zelltrümmern, die sich zwischen den sterbenden Nervenzellen von Alzheimer-Patienten anhäufen. Bisher wurden viele Hundert Milliarden Euro für die Entwicklung von Impfstoffen gegen diese Ablagerungen ausgegeben. Allerdings scheiterten alle bisherigen Studien – und zwar nicht weil, sondern obwohl sie das Peptid wie geplant attackieren. Trotzdem hält ein großer Teil der Szene an seinen Versuchen fest, Beta-Amyloid zu eliminieren – nur jetzt früher, in dem Krankheitsstadium, bevor Patienten erste Symp­tome zeigen.

Robinson ist anderer Ansicht, und vielleicht liegt es daran, dass er auch Zoologe ist und einen weiteren Blick hat als seine Kollegen aus der Humanmedizin. Amyloid-ähnliche Peptide sieht er fast überall in der Natur: bei Pflanzen, Quallen und auch bei Wirbeltieren. Nacktmulle produzieren ein Amyloid in besonders hoher Konzentration, das dem für Alzheimer typischen Beta-Amyloid sehr ähnlich ist. Alzheimer bekommen sie nicht. Aber die Tiere sind bekannt dafür, fast unempfindlich gegenüber Bakterien und Viren zu sein. Das brachte Robinson auf die Spur der Infektion. Könnte es sein, dass Beta-Amyloide nur ein Symptom waren, aber nicht die eigentliche Ursache? Dass der menschliche Körper sie bildete, um Krankheitserreger zu bekämpfen – und diese in Wahrheit den Verfall der Nervenzellen herbeiführen?

(jle)