Daten-Leak bei Autovermietung Buchbinder: 3 Millionen Kundendaten offen im Netz

10 Terabyte sensibler Kundendaten der Autovermietung Buchbinder waren wochenlang für jedermann im Netz zugänglich. Betroffen sind auch Kunden anderer Mietportale.

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SPERRFRIST MITTWOCH 13 UHR!!! Daten-Leak bei Autovermietung Buchbinder: Persönliche Informationen von Millionen Kunden offen im Netz

(Bild: Albert Hulm / c't)

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Es ist wohl eines der größten Datenlecks in der Geschichte der Bundesrepublik: Persönliche Daten von drei Millionen Kunden der Autovermietung Buchbinder standen wochenlang ungeschützt im Netz, darunter Adressen und Telefonnummern von Prominenten und Politikern wie Robert Habeck von den Grünen. Zugänglich waren außerdem Unfallberichte sowie Mails und Zugangsdaten von Mitarbeitern der Buchbinder-Gruppe. Das ergab eine gemeinsame Recherche des Computermagazins c't und der Wochenzeitung DIE ZEIT.

Ursache des Lecks war ein Konfigurationsfehler bei einem Backup-Server. Es stand der Port 445 offen, der Zugriffe über das Netzwerkprotokoll SMB erlaubt. Deshalb konnte jeder Internet-Nutzer die von Buchbinder auf dem Server abgelegten Dateien herunterladen – insgesamt über 10 Terabyte. Ein Passwort war dafür nicht nötig. Man musste lediglich die IP-Adresse des Servers im Windows-Datei-Explorer eingeben, große Festplatten und ein paar Stunden Zeit zum Download investieren.

Buchbinder ist einer der größten deutschen Autovermieter und nach eigenen Angaben "Marktführer im Privatkundensegment PKW und LKW in Deutschland und Österreich". Die Unternehmensgruppe mit Hauptsitz in Regensburg beschäftigt mehr als 2500 Mitarbeiter und betreibt rund 165 Mietstationen in Europa. Die Kerngesellschaft der Gruppe, die Charterline Fuhrpark Service GmbH, machte 2018 laut Jahresabschluss einen Umsatz von knapp 350 Millionen Euro. Ihr zur Seite stehen laut Datenschutzerklärung die Carpartner Nord GmbH sowie die Terstappen Autovermietung GmbH in Duisburg. Seit 2017 gehört Buchbinder zum französischen Europcar-Konzern.

Buchbinders IT-Abteilung nutzte laut Who-is-Abfrage einen durch die Charterline angemieteten Cloud-Rechner bei der PlusServer GmbH in Köln. Auf diesem wurden jeden Wochentag .bak- und .log-Dateien gespeichert – jede davon mehrere hundert Gigabyte bis über ein Terabyte groß.

Den Hinweis auf den offenen Server erhielten c't und DIE ZEIT von dem IT-Sicherheits-Experten Matthias Nehls. Dessen Firma "Deutsche Gesellschaft für Cybersicherheit" war bei Routine-Scans auf den offenen SMB-Server gestoßen. Nehls wandte sich zunächst zwei Mal per Mail an Buchbinder, erhielt nach eigenen Angaben jedoch keine Antwort. Daraufhin informierte der IT-Experte sowohl den zuständigen Landesdatenschutzbeauftragen in Bayern als auch c't und DIE ZEIT.

Die Backups enthielten über 5 Millionen Dateien mit umfangreicher Firmenkorrespondenz samt eingescannter Rechnungen, Verträge, Mails und Schadensbilder von Autos. Es handelt sich dem Augenschein nach um die komplette MSSQL-Firmendatenbank, auf die sich ohne Passwortabfrage zugreifen ließ.

Sie umfasste laut den Analysen von c't und ZEIT über neun Millionen Mietverträge, von 2003 bis heute. Neben den Mietern sind auch die Fahrer mit Namen, Adresse, Geburtsdatum, Führerscheinnummer und -Ausstellungsdatum aufgeführt. Viele haben zudem Mobilfunknummern und E-Mail-Adressen angegeben. Kreditkartennummern fanden sich nicht in der Datenbank, wohl aber Zahlungsinformationen und Bankverbindungen auf PDF-Scans von Rechnungen.

In der ungeschützt zugänglichen MSSQL-Datenbank ließen sich Kunden und Fahrer nach sensiblen Arbeitgebern, Ministerien oder auch Botschaften ausfiltern. Von über 3 Millionen Mietern der vergangenen 18 Jahre stammten rund 2,5 Millionen aus Deutschland, etwa 400.000 aus Österreich und die übrigen rund 114.000 aus Italien, der Slowakei und Ungarn. Ihnen zugeordnet sind 3,1 Millionen Fahrer aus aller Herren Länder.

In der ungeschützten SQL-Datenbank ließen sich Kunden und Fahrer nach sensiblen Arbeitgebern, Ministerien oder auch Botschaften ausfiltern.

Außerdem gab es eine Datenbank mit über 500.000 Unfällen, die bis ins Jahr 2006 zurückreichen. Erfasst wurden dort neben Informationen über die Fahrer der gemieteten Autos auch Namen, Adressen und Kennzeichen von Unfallgegnern sowie eventueller Zeugen samt Telefonnummern. Vereinzelt fanden wir auch Namen und Kontaktdaten von Verletzten und tödlich Verunglückten. Neben Zeit und Ort war auch vermerkt, ob eine Blutprobe von der Polizei angeordnet wurde.

Mitarbeiter und Geschäftskunden wurden ebenfalls erfasst. Zudem fanden wir Login-Informationen von Angestellten und Nutzern der Online-Portale sowie dem Flottenmanagement von Buchbinder. Über 3000 von etwa 170.000 Passwörtern waren im Klartext gespeichert.

Die Authentizität der Kundendatenbank verifizierte c't anhand der Informationen von einem Dutzend Buchbinder-Kunden aus dem Kreis der Angestellten von Heise Medien. Das Datenleck betrifft offenbar auch Personen, die nicht direkt bei Buchbinder gebucht haben. Ein ZEIT-Redakteur, der ein Auto über billiger-mietwagen.de und Car Del Mar gemietet hatte, fand seine persönlichen Informationen ebenfalls in der Datei – obwohl er selbst nicht wissentlich Kunde von Buchbinder war.

Die Buchbinder-Gruppe arbeitet offenbar mit vielen solchen Vermittlern und Vergleichsportalen zusammen, die dafür laut Firmendatenbank eine Provision erhalten. Kunden wissen am Ende mitunter gar nicht, dass ihr Fahrzeug von Buchbinder stammt und ihre Daten dort gespeichert sind. Organisiert werden Fahrzeugvermietungen oft über die Carpartner Nord GmbH. Über Global Rent-a-Car vermittelt Buchbinder zudem weltweit Fahrzeuge.

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Oft sind Konfigurationsfehler schuld, wenn Kundendaten im großen Stil im Netz landen. Bereits ein Klick an der falschen Stelle genügt – und schon ist das System auf der ganzen Welt erreichbar. Stellt man einen Dienst ins Netz, ist es nur eine Frage von Minuten oder höchstens Stunden, bis das jemandem auffällt und Zugriffsversuche starten. Wenn ein Datendieb wie bei Buchbinder dabei keinerlei Schutzmechanismen umgehen muss, handelt es sich dabei im juristischen Sinne nicht einmal um einen "Hackerangriff".

Um solch exponierte Systeme aufzuspüren, ist keine Handarbeit nötig: Open-Source-Tools wie der Netzwerkscanner ZMap klopfen in weniger als einer Stunde sämtliche IPv4-Adressen auf offene Dienste ab.

Die Deutsche Gesellschaft für Cybersicherheit war auf den offenen Port bei einem ihrer Routine-Scans gestoßen. Die Firma unterhält eine Online-Datenbank namens cyberscan.io, die Firmen bei der Abdichtung eventueller Sicherheitslöcher helfen soll. Die SMB-Freigabe von Buchbinder war aber nicht nur cyberscan.io aufgefallen. Die auf Sicherheitslücken spezialisierte Suchmaschine Shodan.io zeigte den Rechner ebenfalls an – zusammen mit 125 weiteren Servern mit ungeschützten SMB-Freigaben für Backups in Deutschland.

Für Neugierige war der Buchbinder-Server also relativ leicht zu entdecken. Jeder, der wusste, wo er nachzuschauen hatte, konnte sich frei daran bedienen.

Die öffentlichen Backups von Buchbinder enthielten über fünf Millionen Dateien mit sensiblen Firmen-Dokumenten.

Die bei Buchbinder geleakten Daten sind für Cyber-Schurken enorm wertvoll. Es handelt sich um valide Informationen von Millionen Bürgern – einschließlich Name, Firmenzugehörigkeit, Anschrift, Geburtsdatum, Telefon- und Führerscheinnummer. Im Unterschied zu Daten, die Nutzer etwa für die Teilnahme an einem Gewinnspiel angeben, müssen die bei Buchbinder hinterlegten Daten echt sein, damit es zum Abschluss eines gültigen Mietvertrags kommen kann.

Den größten Schaden hat gewiss Buchbinder: Die Kundendaten gehören zu den größten Schätzen eines Unternehmens, die Datenbank wurde über mehr als ein Jahrzehnt aufgebaut. Wer jetzt alles darauf Zugriff hatte, lässt sich nicht mehr nachvollziehen. Mitbewerber könnten unbezahlbare Einblicke in die Flotte des Unternehmens erhalten haben. Der Leak dürfte auch zu einem erheblichen Vertrauensverlust seitens der Kunden führen – ganz zu schweigen von etwaigen DSGVO-Bußgeldern und eventuellen Schadenersatzforderungen.

Die erbeuteten Daten könnten sich auf verschiedene Arten missbrauchen lassen. Zunächst geht es ums große Geld: Ein Angreifer könnte etwa gezielt nach Mietvorgängen von Unternehmenskunden suchen, um die persönlichen Kontaktdaten der involvierten Mitarbeiter herauszusuchen. Anschließend könnte er diese Daten nutzen, um im Namen des Mitarbeiters mit dessen Kollegen oder Chef zu kommunizieren, um sich Vertrauen zu erschleichen und sich weiter vorzuarbeiten.

Denkbar wäre auch ein groß angelegter Phishing-Angriff auf Buchbinder-Kunden: Der Täter könnte Phishing-Mails verschicken, die dazu auffordern, die bei der Autovermietung hinterlegten Kreditkartendaten zu aktualisieren. Er könnte vorgeben, dass es bei einer Abbuchung zu einem Problem gekommen ist und sich dabei sogar konkret auf eine Vermietung beziehen. Für die Empfänger wäre eine solche Mail kaum von einer echten zu unterscheiden.

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Spam, Phishing, Einkäufe im fremden Namen oder anderer Identitätsklau stehen erst am Ende der Verwertungskette und könnten noch Jahre später eintreten, wenn der Vorfall längst vergessen ist. Dazu ließe sich die Datenbank etwa in kleinere Häppchen aufteilen. Da viele Kunden einen Wagen auf Geschäftskosten mieten, lassen sich einzelne Personen leicht verschiedenen Firmen, Vereinen und Parteien zuordnen.

Unter den Kunden findet man beispielsweise zahlreiche Prominente aus Sport und Unterhaltung, Spitzenpolitiker von CSU und AfD sowie Robert Habeck von den Grünen – mit Privatadresse, Handynummer und E-Mail-Adresse. Darüber hinaus sind mehrere hundert Angehörige verschiedener Botschaften gelistet – nicht nur aus Deutschland und Österreich, sondern auch aus den USA, Russland, China, Beirut, Israel, Iran, Saudi-Arabien oder auch Nord-Korea.

Dutzende Einträge führen zu Mitarbeitern verschiedener Bundesministerien, darunter ein ehemaliger hochrangiger Beamter des Verfassungsschutzes. Zu den Betroffen zählt unter anderem auch der Präsident des Bundesamtes für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) Arne Schönbohm. Gegenüber den Kollegen von der ZEIT erklärte er: "Der Fall zeigt leider, dass auch sehr sensible personenbezogene Daten immer wieder nur unzureichend geschützt werden. Egal ob ich – wie in diesem Fall – persönlich betroffen bin oder nicht, solche Fälle ärgern mich sehr, weil sie vermeidbar wären."

Betroffen sind auch Mitarbeiter der Polizei und der Bundeswehr. Aus Österreich hatte 2008 sogar ein Mitglied des "Einsatzkommando Cobra Süd" einen Wagen gemietet, eine Art Pendant zur GSG 9 in Deutschland. Aus Deutschland findet man beispielsweise zwei Mitarbeiter von FinFisher, einem öffentlichkeitsscheuen Hersteller von Spionage-Software.

c't und DIE ZEIT informierten Buchbinder am 20. Januar über das Datenleck: "Sofort nach Kenntnisnahme des Sachverhalts haben wir unverzüglich die Schließung der entsprechenden Ports durch unseren mit der Betreuung und Absicherung der Server beauftragten Vertragspartner veranlasst", teilte uns die zur Buchbinder-Gruppe gehörende Terstappen Autovermietung GmbH schriftlich mit. Auf Fragen, wie lange das Datenleck bestand und wie viele Zugriffe es von außen gab, ging das Unternehmen ebenso wenig ein wie auf die Rechtsgrundlage, auf der Kunden- und Unfalldaten weit über zehn Jahre gespeichert wurden.

Aus juristischer Sicht ist ein derart offener Server ein geradezu katastrophaler Verstoß gegen die Vorgaben der DSGVO. Sollten die zuständige Aufsichtsbehörden einen Verstoß gegen die DSGVO feststellen, wäre ein sehr hohes Bußgeld fällig.

Erschwerend kann im vorliegenden Fall sein, wenn besonders sensible personenbezogenen Daten im Sinne von Art. 9 DSGVO betroffen sind, die noch stärker geschützt werden müssen. In der Buchbinder-Datenbank lassen sich beispielsweise Kunden politisch, religiös, nach sexuellen Vorlieben oder Erkrankungen zuordnen. So findet man Fahrten von Kreis- und Landesverbänden aller im Bundestag vertretenen Parteien, wie auch der DKP und NPD. Gelistet sind mehrere Hundert islamische Vereine, Einträge jüdischer Gemeinden wie auch von Schwulen- und Lesben-Vereinen sowie Selbsthilfegruppen von Süchtigen.

Mehr Infos

Zur DSGVO und aktuellen Entwicklungen siehe:

Die aktualisierte und stark erweiterte Ausgabe des c't-Sonderhefts zur Datenschutz-Grundverordnung mit noch mehr FAQs, Checklisten und Mustern für die aktuellen Probleme des Datenschutzes.

Wer wissen will, ob seine Informationen in der Datenbank gespeichert und von dem Leck betroffen sind, kann dies bei Buchbinder erfragen. Wir haben für eine solche Anfrage ein Formular vorbereitet, das Sie an die Charterline Fuhrpark Service GmbH, Kulmbacher Str. 8.10, 93057 Regensburg adressieren und per E-Mail an datenschutz@buchbinder.de schicken können. Die für private Zwecke kostenlos verwendbare Vorlage ist unter ct.de/ycyu abrufbar.

Wie sich Betroffene darüber hinaus schützen können, was Firmen beachten sollten, um nicht den selben Fehler wie Buchbinder zu begehen und was der Daten-GAU für Auswirkungen in Bezug auf die DSGVO hat, werden wir auf ct.de in den kommenden Tagen genauer analysieren.

(cwo)