"Mit Quantencomputern können wir die Natur besser verstehen"

Im Interview mit Technology Review erklärt Google-CEO Sundar ­Pichai, warum Quanten-Computing für Google so wichtig werden könnte wie KI.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht
"Mit Quantencomputern können wir die Natur besser verstehen"

(Bild: Google)

Lesezeit: 6 Min.
Von
  • Gideon Lichfield

TR: Google hat einen Quantencomputer gebaut, der eine sehr spezifische Aufgabe erfüllt. Was wäre nötig, um die Quantenüberlegenheit für ein reales, nützliches Problem zu zeigen?

Sundar Pichai: Sie müssten einen fehlertoleranten Quantencomputer mit mehr Qubits bauen, die über längere Zeiträume stabil sind, sodass sie komplexere Algorithmen ausführen können. Aber wissen Sie, wenn man in einem Bereich einen Durchbruch haben will, muss man irgendwo anfangen. Um eine Analogie zu gebrauchen, nehmen Sie die Brüder Wright. Das erste Flugzeug flog nur zwölf Sekunden lang, und damit gab es dafür keine praktische Anwendung. Aber sie konnten zeigen, dass ein Flugzeug wirklich fliegen kann.

Eine Reihe von Unternehmen haben Quantencomputer. IBM zum Beispiel hat einige von ihnen online, die in der Cloud ­genutzt werden können. Warum können IBMs Maschinen nicht das tun, was Googles Quantenchip getan hat?

Für mich ist die wichtigste Frage, warum unser Team in der Lage war, das zu tun. Das würde ich gern kommentieren. Es erfordert eine Menge Systemintegration – die Fähigkeit, auf allen Ebenen des Systems zu arbeiten. Sie fangen buchstäblich mit einem Wafer an. Es gibt ein Team, das die Gates in den Wafer ätzt und sich dann durch alle Schichten des Systems arbeitet, bis dahin, KI zu nutzen, um das Ergebnis zu simulieren und besser zu verstehen.

Der letzte Satz der Google-Veröffentlichung über die Quantenüberlegenheit in "Nature" lautet: "Wir sind nur einen krea­tiven Algorithmus entfernt von wertvollen Anwendungen." Was könnten diese Anwendungen sein?

Das Aufregende an Quanten ist, dass das Universum grundsätzlich quantenmechanisch arbeitet, sodass wir mit Quantencomputern die Natur besser verstehen können. Die Technologie steckt noch in den Anfängen, aber sie ist dort besonders stark, wo es darum geht, Moleküle und molekulare Prozesse zu simulieren. Die Entdeckung von Medikamenten ist ein gutes Beispiel. Oder Düngemittel – das Haber-Bosch-Verfahren produziert zwei Prozent der weltweiten Kohlenstoffemissionen. In der Natur wird der gleiche Prozess effizienter durchgeführt.

Selbst Leute, die an Quantencomputern arbeiten, sagen, dass wirklich brauchbare derartige Rechner noch 50 Jahre entfernt sind. Warum sind Sie trotzdem so begeistert davon?

Das Moore’sche Gesetz hat es uns ermöglicht, unsere Rechnerkapazität zu erweitern, um Milliarden von Benutzern bei vielen Produkten zu bedienen. Aber das Moore’sche Gesetz steht möglicherweise am Ende seines Zyklus. Quanten-Computing ist eine der vielen Komponenten, mit denen wir weitere Fortschritte im Bereich der Datenverarbeitung erzielen werden. Die Möglichkeit, im Labor zu sein und das Qubit tatsächlich physisch zu manipulieren und es in einen Überlagerungszustand zu versetzen, eröffnet eine ganze Reihe neuer Möglichkeiten, die es bis heute nicht gab.

Wie organisiert man Geduld in einem Unternehmen, das es gewohnt ist, sehr schnell voranzukommen?

Ich habe einige Zeit mit Hartmut Neven verbracht, der das Quantenteam zusammen mit John Martinis leitet. Und ich habe ihm erzählt, dass ich damals meine Doktorarbeit in Materialwissenschaften abgebrochen habe. Ich habe an Hochtemperatursupraleitern gearbeitet. Das war vor 26 Jahren, und ich saß im Labor und dachte: „Wow, das wird eine Menge Geduld ­erfordern, um das durchzuarbeiten.“ Und ich fühlte mich, als hätte ich nicht diese Art von Geduld.

Ich habe also großen Respekt vor den Menschen im Team, die diesen Weg so lange Zeit verfolgt haben. Aber so ziemlich alle grundlegenden Durchbrüche funktionieren auf diese Weise. Man braucht eine langfristige Vision, um sie zu erreichen.

Können Sie über den Unterschied im Ansatz zwischen Google und IBM sprechen? IBM hat Quantencomputer, die es in die Cloud stellt, während Sie Quanten-Computing als internes Forschungsprojekt betreiben.

Es ist großartig, dass IBM Quanten-Computing als Cloud-­Lösung anbietet und auf diese Weise Entwickler anzieht. Ich denke, wir als Team haben uns darauf konzentriert, sicher­zustellen, dass wir uns selbst und der wissenschaftlichen Gemeinschaft beweisen, dass wir diesen wichtigen Meilenstein der Quantenüberlegenheit erreichen können.

IBM kritisiert, der Begriff "Quantenüberlegenheit" sei irreführend, weil er impliziert, dass Quantencomputer letztendlich alles besser machen werden als klassische Computer. Sie werfen Ihnen vor, überzogene Erwartungen zu wecken.

Meine Antwort darauf wäre: Quantenüberlegenheit ist ein Fachbegriff. Die Menschen in der Community verstehen genau, was dieser Meilenstein bedeutet. Deshalb halte ich es für wichtig, dass wir in wissenschaftlichen Zeitschriften veröffentlichen. Es ist wichtig, dass wir der Öffentlichkeit helfen zu verstehen, wo wir stehen, wie sehr die Technologie noch am Anfang steht und warum wir klassisches Computing auch in Zukunft auf die meisten Probleme anwenden werden.

Mehr Infos

Die KI generiert für Google Geschäfte auf sehr vielen Ebenen. Denken Sie, dass Quanten-Computing für Google letztendlich auch so allgegenwärtig wird?

Das tue ich auf jeden Fall. Übrigens haben wir in KI investiert und KI entwickelt, bevor wir wussten, dass es für uns auf allen Ebenen funktionieren würde. Wir nutzen die KI-Technologie nicht nur für uns selbst, wir stellen sie Kunden auf der ganzen Welt zur Verfügung. Wir kümmern uns um die Demokratisierung des KI-Zugangs. Das Gleiche wird auch für das Quanten-­Computing gelten.

Was könnte Quanten-Computing für die KI selbst bedeuten? Könnte es uns helfen, menschenähnliche künstliche Intelligenz zu schaffen, wenn wir beides kombinieren?

Das wird eine sehr mächtige Symbiose. Ich denke, dass die KI die Quanteninformatik beschleunigen kann und die Quanteninformatik die KI beschleunigen kann. Das ist, was wir brauchen werden, um einige der hartnäckigsten Probleme zu lösen, mit denen wir konfrontiert sind, etwa den Klimawandel.

Gibt es noch eine andere Technologie, von der Sie im Moment ebenfalls begeistert sind?

Für mich persönlich sind es radikal verbesserte Möglichkeiten zur Erzeugung sauberer erneuerbarer Energien, die viel Potenzial haben. Im Gesundheitswesen stehen wir meiner Meinung nach kurz vor Durchbrüchen in den nächsten zehn Jahren, die tiefgreifend sein werden. Aber ich würde auch sagen, dass die KI selbst – die nächste Generation von KI-Durchbrüchen, neue Algorithmen, bessere, allgemeinere Modelle, Transferlernen und so weiter – gleichermaßen spannend ist.

(bsc)