Was kostet die (Um-)welt?

Die Massenfertigung hat das Leben billig gemacht. Nun macht sie es zu billig. Dabei können wir uns höhere Preise leisten – wenn wir es gerecht anstellen.

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Was kostet die (Um-)welt?

(Bild: Pavel Ilyukhin/Shutterstock.com)

Lesezeit: 5 Min.
Von
  • Robert Thielicke
Inhaltsverzeichnis

Der Sandwichmaker für 10 Euro, das T-Shirt für einen Euro oder 380 Milliliter Kaffeegetränk für 65 Cent. Ist das noch der Segen der Massenproduktion – oder schon ihr Wahnsinn? Über Jahrzehnte hinweg haben Industria­lisierung und Automatisierung die Preise sinken lassen, und lange war es eine große Erfolgsgeschichte: Luxus wurde demokratisch.

Inzwischen allerdings sind viele Produkte so billig geworden, dass wir nicht mehr nur kaufen, was wir brauchen, ­sondern was wir können. Jüngstes, aber nicht ­einziges Beispiel, ist der Trend zu Ultrafast-Fashion: Was immer in sozialen Medien ­gerade Anklang findet, wird innerhalb weniger Wochen auf den Markt gebracht – und verschwindet ebenso rasch wieder.

Bis zu 4.500 neue Stücke produziert Marktführer Asos etwa jede Woche, so jedenfalls hat es das Beratungsunternehmen CoreSight analysiert. Andere Marken wie Missguided oder Boohoo kommen immerhin auf 250 beziehungsweise 100 neue ­Teile. Und wie Wachstumsraten von 13 Prozent (Asos) bis 48 Prozent (Boohoo) zeigen, kaufen die Menschen sie auch. Schon vor diesem Trend, im Jahr 2015, ­ergab eine Umfrage von Greenpeace, dass Konsumenten ein Fünftel ihrer Kleidungsstücke so gut wie nie tragen. Mit Ultrafast-­Fashion wird sich das sicherlich nicht bessern.

Überfluss zu beklagen war lange ungefähr so sexy, wie ­trockene Haferflocken zu essen. Spätestens mit der Debatte um den Klimaschutz ist jedoch klar, dass es um mehr geht als ­moralische Geißelung und übertriebene protestantische Ethik. Höhere Preise können den Verbrauch senken, damit Kohlendioxid einsparen und die natürlichen Ressourcen schonen. Es geht nicht darum, den Herstellern größere Gewinne oder den Konsumenten größere Opfer zuzumuten. Es geht darum, die gleiche Menge Geld anders auszugeben.

Was kostet die (Um-)welt? (7 Bilder)

Wer Entsprechendes fordert, erntet schnell Kritik. Gutes ­aktuelles Beispiel ist die Debatte um eine CO2-Steuer: Der Weg sei unsozial und gehe zulasten der wirtschaftlich Schwachen. Als Beleg wird oft die französische Gelbwesten-Bewegung genannt, die sich formierte, als Präsident Emmanuel Macron mit einer höheren Besteuerung fossiler Kraftstoffe die Energie­wende finanzieren wollte.

Es wäre ein völlig gerechtfertigtes Argument und ein guter Grund für Nervosität unter Politikern – wenn an dieser Erzählung nicht die Hälfte fehlen würde. Denn im gleichen Zug schaffte Macron auch die Vermögenssteuer ab. Er nahm Geld von allen, bot aber nur den Reichen eine Gegenleistung. Der Kern der Proteste war daher nicht die Wut über eine punktuelle Preiserhöhung, sondern über eine grund­legende Ungerechtigkeit.

Das Beispiel zeigt also keineswegs, dass eine Verteuerung die Menschen zwangsläufig auf die Barrikaden bringt. Es zeigt eher, wie wichtig es ist, sie fair durchzuführen. Eine CO2-Steuer, die Einkommen wieder über andere Kanäle an die Bürger ausschüttet, ist dabei nur eine Möglichkeit unter vielen. In der Tiermast etwa könnte man höhere Produktionsstandards setzen, über die Verteuerung den Fleischkonsum senken und gleichzeitig kleineren Landwirten eine Chance zum Überleben geben.

Die Schweiz geht genau diesen Weg. 2017 lag der Pro-Kopf-Verbrauch in dem Alpenland bei 48,4 Kilogramm, hierzulande bei 88,1 Kilogramm. In Städten könnte man Parkplätze verknappen, indem man Parkhäuser in Apartments verwandelt – und gleichzeitig den Wohnungsmarkt entschärft. Bei Elektrogeräten könnte eine längere Garantie zur Pflicht werden, sodass sich für Firmen eine Reparatur lohnt – was Menschen Arbeit bringt.

Der Weg dahin ist lang und kompliziert, insbesondere bei Produkten, die international gehandelt werden und deren Hersteller global konkurrieren müssen. Aber es ist Zeit für den ­ersten Schritt, und er bestünde in einer ehrlichen Bestands­aufnahme, ob höhere Preise wirklich eine von Grund auf schlechte Idee sind. Dazu ein Blick in die Statistik: Seit 2008 sind nach Angaben des Statistischen Bundesamts die Löhne ­jedes Jahr stärker gestiegen als die Verbraucherpreise.

Ausnahmen waren nur 2009 und 2013 – und in diesen beiden Jahren betrug die Differenz gerade einmal 0,1 Prozent. In einigen Bereichen liegen die Preise sogar niedriger oder genauso hoch wie vor einigen Jahren: Das gilt ausgerechnet dort, wo derzeit am heftigsten um Teuerungen gerungen wird: Die Flugpreise in der Economy Class etwa liegen heute auf dem Niveau von 2012. Kraftstoff für 100 Kilometer war 2017 fast genauso teuer wie vor 19 Jahren – nämlich im Schnitt 6,87 Euro (siehe Grafiken). Bei vielen Gütern haben wir also noch nie so billig gelebt wie ­heute. Die Massenfertigung hat ihr Versprechen übererfüllt. Vielleicht ist es also an der Zeit, sie neu zu denken.

(rot)