Jugend froscht

Erstmals entwerfen Wissenschaftler biologische Maschinen, die sich selbst heilen können.

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Von
  • Peter Glaser

Ein Buch besteht aus Holz, aber es ist kein Baum. Die abgestorbenen Zellen wurden für einen anderen Zweck umfunktioniert. Ein junges Team an der University of Vermont und der Tufts University hat nun Stammzellen aus Froschembryonen wiederaufbereitet und zu völlig neuen Lebensformen zusammengesetzt. Diese millimeterkleinen Xenobots – nach dem griechischen Xeno, der Fremde – können sich auf ein Ziel zubewegen, eine winzige Nutzlast aufnehmen, etwa ein Medikament, das an einen bestimmten Ort innerhalb eines Patienten transportiert werden muss, und sie können sich, auch nachdem sie durch Schnitte fast halbiert wurden, selbst wieder heilen. Das kann keine konventionelle Technologie.

"Es sind neuartige, lebende Maschinen", sagt der Informatiker und Roboterexperte Joshua Bongard, einer der Mitarbeiter der Forschungsgruppe. "Es sind weder traditionelle Roboter noch ist es eine bekannte Tierart. Es ist etwas Neues: lebende, programmierbare Organismen." Die kaum stecknadelkopfgroßen Bio-Bots wurden mit einem dicken Rechenzeitkonto auf dem Deep Green-Supercomputer-Cluster in Vermont entworfen, wobei mit algorithmischer Hilfe eine Art Evolution im Kleinen stattfand.

In immer neuen Durchläufen wurden so tausende der vielversprechendsten Prototypen für die neuen Lebensformen herausgefiltert. Biologen an der Tufts University machten anschließend aus dem virtuellen Konzept konkrete Realität. Der Mikrochirurg Douglas Blackiston baute unter dem Mikroskop die vom Computer in Form von Klötzchenstrukturen vorgeschlagenen Zellformen zusammen und testete sie.

Menschen manipulieren Organismen seit Anbeginn der Landwirtschaft. Zum ersten Mal entwerfen Wissenschaftler nun jedoch mit Computerhilfe vollständig biologische Maschinen von Grund auf. Dazu sammelten die Forscher Stammzellen, die aus den Embryonen des afrikanischen Krallenfroschs gewonnen und sorgsam in einzelne Zellen getrennt wurden, um dann unter Verwendung einer winzigen Pinzette und einer noch winzigeren Elektrode unter dem Mikroskop zu einer möglichst guten Annäherung an die Computerentwürfe zusammengefügt zu werden.

Stammzellen, aus denen einmal Froschhaut hätte entstehen sollen, begannen mit potentiellen Herzmuskelzellen zusammenzuarbeiten, sich geordnet vorwärts zu bewegen und sogar so etwas wie Neugierde zu entwickeln – tagelang erkundeten sie ihre wässrige Umgebung.

Viele Menschen sorgen sich um die Auswirkungen des schnellen technologischen Wandels und komplexer biologischer Manipulationen. "Die Angst ist nicht unbegründet", sagt Michael Levin, der das Zentrum für Regenerative und Entwicklungsbiologie in Tufts leitet. "Wenn wir mit komplexen Systemen herumspielen, die wir nicht verstehen, hat das unbeabsichtigte Folgen."

Er sieht als einen direkten Beitrag dazu, die Angst der Menschen vor solchen unbeabsichtigten Konsequenzen besser in den Griff zu bekommen, seien es nun Viren, autonome Fahrzeugflotten oder eines der vielen anderen komplexen, autonomen Systeme, die uns zunehmend begegnen.

"Der Nachteil von lebendem Gewebe ist, dass es schwach ist und altert", merkt der Robotiker Bongard noch an. "Deshalb verwenden wir für viele Technologien Stahl oder Kunststoff. Aber Organismen haben viereinhalb Milliarden Jahre Erfahrung darin, sich zu regenerieren." Und die Xenobots sind vollständig biologisch abbaubar. Wenn sie nach sieben Tagen ihre Arbeit beendet haben, sind sie nur noch abgestorbene Hautzellen.

(bsc)