Quanten-Tricks für bessere Computer-Medizin

Zwei Forscher bei einem Anbieter einer Diagnose-App wollen mit künstlicher Intelligenz Ursachen und Wirkungen von Krankheiten bestimmen statt bloßer Korrelationen – mit Anleihen aus der Quantenkryptografie.

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Quanten-Tricks für bessere Computer-Medizin

(Bild: Joshua Coleman | Unsplash)

Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Douglas Heaven
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Wer verstehen will, wie die Welt funktioniert, muss den Zusammenhang zwischen Ursachen und Wirkungen verstehen. Bloße Korrelationen verraten, dass bestimmte Phänomene gehäuft gemeinsam auftreten. Nur kausale Verbindungen aber lassen erkennen, warum ein System sich verhält, wie es sich verhält oder wie es sich entwickeln könnte. Korrelation ist noch keine Kausalität, wird dazu gern erklärt.

In der Medizin ist das ein bedeutendes Problem, denn hier kann eine enorme Zahl von Variablen zusammenwirken. Computer sind sehr gut darin, Muster zu erkennen – aber das sind nur Korrelationen. Anish Dhir und Ciarán Lee von dem britischen Digital-Gesundheitsunternehmen Babylon Health wollen das ändern: Sie haben ein Verfahren entwickelt, um kausale Beziehungen über verschiedene Datensätze hinweg zu identifizieren. Dadurch könnten große Datenbanken mit bislang ungenutzten medizinischen Daten auf Ursachen und Wirkungen ausgewertet werden – und so vielleicht neue Kausalbeziehungen zutage treten lassen.

Mit der Chatbot-App von Babylon Health können Nutzer Symptome eingeben, um eine vorläufige Diagnose und Ratschläge zur Behandlung zu bekommen. Dadurch sollen Personen ausgefiltert werden, die vielleicht gar keinen Arzt brauchen. Das kann beiden Seiten Zeit sparen, und überarbeitetes Medizin-Personal soll sich auf die Fälle konzentrieren können, die am dringendsten Hilfe brauchen.

Allerdings steht die App in der Kritik. So warnen Ärzte, sie würde manchmal Anzeichen für schwere Krankheiten übersehen. Auch andere Unternehmen wie Ada Health (zuletzt wegen Datenschutzmängeln in der Kritik) oder Your.MD bieten Chatbot-Diagnosen an, Babylon Health aber lud Kritiker geradezu ein, weil das Unternehmen übertriebene Behauptungen veröffentlichte; 2018 etwa gab es bekannt, seine KI könne gesundheitliche Probleme besser diagnostizieren als ein menschlicher Arzt. Wenige Monate später erschien eine Studie in der Fachzeitschrift Lancet, laut der die Aussage nicht stimmte: Das System sei nicht nur nicht besser, sondern in manchen Fällen signifikant schlechter als echte Mediziner.

Trotzdem verdient die neue Arbeit der beiden Forscher bei Babylon eine nähere Betrachtung. Ihre Studie wurde von Fachkollegen überprüft und sollte bei einer Konferenz der angesehenen Association of Artificial Intelligence vergangene Woche in New York vorgestellt werden. Im Prinzip könnte die Technologie den von dem Unternehmen angebotenen Service deutlich verbessern.

Laut Lee, der zusätzlich am University College London an Maschinenlernen und Quantencomputern forscht, könnte das Benennen von Kausalbeziehungen in der App zudem das Vertrauen der Nutzer in sie stärken. "Gesundheit ist ein Feld mit hohem Risiko. Wir wollen keine Black-Box einsetzen", sagt er.

Bei seinen Bemühungen wurde dem Forscher-Duo schnell klar, dass es ganz von vorn beginnen musste. "Als wir nachsahen, zeigte sich, dass niemand das Problem wirklich gelöst hatte", berichtet Lee. Die Herausforderung liege darin, unterschiedliche Datensätze mit gemeinsamen Variablen zusammenzubringen und daraus möglichst viele Informationen über Ursache und Wirkung zu extrahieren.

Die dafür genutzte Methode basiert nicht auf Maschinenlernen, sondern ist von Quantenkryptografie inspiriert, in der sich mathematisch beweisen lässt, dass eine Kommunikation von niemandem abgehört wurde. Dhir und Lee behandelten Datensätze als Kommunikation und Variablen, die kausalen Einfluss auf diese Daten haben, als Abhörer. Mithilfe der Mathematik von Quantenkryptografie kann ihr Algorithmus dann erkennen, ob solche Effekte auftreten oder nicht.

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Die Forscher testeten ihr System an Datensätzen, bei denen die Kausalbeziehungen bereits bekannt waren, beispielsweise mit Messungen zu Größe und Beschaffenheit von Brust-Tumoren. Die KI stellte korrekt fest, dass es keinen Kausalzusammenhang zwischen Größe und Beschaffenheit gibt, aber dass beides ursächlich davon abhängt, ob ein Tumor bösartig oder gutartig ist.

Laut Dhir und Lee kann ihr Algorithmus anhand von Rohdaten Kausalbeziehungen zwischen Variablen ebenso gut erkennen, wie es in einer klinischen Studie möglich wäre – aber eben allein anhand bereits vorhandener Daten. Lee räumt ein, dass dafür noch Überzeugungsarbeit nötig ist, und hofft, dass das System anfangs zumindest als Ergänzung zu Studien genutzt wird. Wie er allerdings anmerkt, werden neue Medikamente von Behörden wie der Food and Drug Administration in den USA bereits auf der Grundlage von reinen Korrelationsstudien zugelassen. "Die Untersuchung von Medikamenten durch randomisierte und kontrollierte Studien ist weniger überzeugend als die Verwendung dieser Algorithmen", sagt er.

(sma)