Der Futurist: Es hat sich ausgeschlafen

Was wäre, wenn wir im Schlaf lernen könnten?

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Der Futurist:  Es hat sich ausgeschlafen

(Bild: Mario Wagner)

Lesezeit: 3 Min.
Von
  • Jens Lubbadeh

„Okay, David, was ist es diesmal?“

Andi war belustigt. Oft schon hatte David ihm eine vermeint­liche Hammer-Erfindung präsentiert. Diesmal war es eine Art Mütze, an ihr hingen Kabel. Als David sie aufsetzte, musste Andi lachen. Sein Freund erinnerte ihn an Doc Brown aus „Zurück in die Zukunft“.

„Damit lerne ich Chinesisch“, sagte David. „In nur einer Woche!“

„Wie bitte?“

„Das ist ein transkranieller Magnetstimulator.“

Andi sah ihn verständnislos an.

„In der Mütze sind kleine Spulen, die Magnetfelder erzeugen. Während man schläft, induziert die Mütze im Gehirn Alpha- und Theta-Wellen. Die sind gut für das Lernvermögen.“

„Und was ist mit Erholung?“

„Acht Stunden sind lang, Zeit genug, um sich zu erholen.“

Andi betrachtete die Mütze. „Du hörst im Schlaf einfach einen Sprachkurs, und am nächsten Morgen kannst du alles?“

„Nein“, sagte David. „Man braucht eine Software, die den Lerninhalt in Wellen codiert. Ist ziemlich teuer, aber man bekommt Rabatt, wenn man Werbung akzeptiert.“

Eine Woche später erhielt Andi eine SMS. David lud ihn zum Essen ein, ins Fu-Long, eine große chinesische Kette mit mehreren Restaurants in der Stadt. Sie legte großen Wert darauf, original chinesisch zu sein.

David sah müde und aufgedunsen aus. Aber er grinste zufrieden. Der Kellner, ein älterer Chinese, trat an ihren Tisch: „Was möchten Sie trinken?“

„Nehmen wir Rotwein?“, fragte David und Andi nickte. Der Kellner wollte schon gehen, als David sagte: „Hóngpútáoji.“

Der Mann blickte ihn irritiert an und sagte: „Nhuì shu Zhngwén ma?“

„W huì shu Zhngwén“, sagte ­David.

Der Mann lächelte.

„Yu càidn ma?“, fragte David, und der Kellner nickte und ging.

Andi traute seinen Ohren nicht. Sein Freund sprach tatsächlich Chinesisch.

„Was hast du gesagt?“

„Na, dass ich Chinesisch kann, wir Rotwein möchten und die Karte haben wollen.“ Er grinste stolz. „Siehst du. Die Mütze funktioniert.“

„Aber schlafen tust du nicht mehr. Hast du dich mal im Spiegel gesehen? Zugenommen hast du auch.“

Davids Miene wurde sorgenvoll. „Ich habe in letzter Zeit Heißhunger auf chinesisches Essen, Snickers und Cola.“

In den nächsten zwei Monaten hörte Andi nichts von seinem Freund. Schließlich klingelte er bei ihm.

Als die Tür geöffnet wurde, erschrak Andi. David sah schlecht aus. Er hatte schwarze Augenringe und zehn Kilo zugelegt. Auf dem Boden lagen Schoko­riegel-Verpackungen, leere Colaflaschen und Essensbehälter von Fu-Long.

„David, was ist los?“

„Die Werbung, diese verdammte Werbung...“ Plötzlich verstand Andi. Die Werbung machte die Sprachkurse zwar billig, dafür aber grub sie sich in Davids Unterbewusstsein ein und manipulierte sein Verhalten.

„Du musst damit aufhören, David!“ Andi riss ihm die Mütze vom Kopf.

Sein Freund schüttelte müde den Kopf. „Ich kann nicht. Ich kann ohne Mütze nicht mehr schlafen.“

Andi recherchierte. Schließlich fand er auf der Seite des chinesischen Herstellers der Mütze die Lösung: ein Schlafkurs. Er kostete 10000 Euro.

(jlu)