Das Rennen um die Rekonstruktion des Coronavirus

Synthetische Versionen des tödlichen Virus könnten helfen, Behandlungen zu testen. Doch welche die Risiken bestehen, wenn Viren von Grund zusammengebaut werden können?

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Das Rennen um die Rekonstruktion des China-Coronavirus

(Bild: creativeneko / Shutterstock.com)

Lesezeit: 6 Min.
Von
  • Antonio Regalado
Inhaltsverzeichnis

Die Welt beobachtet alarmiert Chinas Schwierigkeiten, das gefährliche neue – auf SARS-CoV-2 umgetaufte – Virus einzudämmen. Das Land hat ganze Städte unter Quarantäne gestellt und die USA haben Rückkehrern pauschal die Einreise verboten. Gesundheitsbeamte bemühen sich zu verstehen, wie das Virus übertragen wird und wie Patienten behandelt werden sollten. In einem Labor der Universität von North Carolina ist unterdessen ein ganz anderes Wettrennen im Gange: Forscher um den Coronavirus-Experten Ralph Baric versuchen, eine Kopie des Virus anhand seiner genetischen Sequenz herzustellen, die von chinesischen Labors vergangenen Monat veröffentlicht wurden. Ihr Ziel: Mit den Kopien neuen Behandlungen und Impfstoffe zu testen.

Die bemerkenswerte Fähigkeit, solche konstruierten Viren aus ihrer genetischen Programmierung heraus zu "booten", wird von spezialisierte DNA-Synthese-Unternehmen wie Integrated DNA Technology, Twist Bioscience und Atum ermöglicht, die DNA-Moleküle mit gewünschten Sequenzen herstellen. Bestellt man die richtigen Gene für einige tausend Dollar und fügt sie zu einer Kopie des Coronavirus-Genoms zusammen, ist es theoretisch möglich, das genetische Material in Zellen zu injizieren und das Virus zum Leben zu erwecken.

Es ist eine wichtige Möglichkeit, auf einen plötzlichen Ausbruch wie den aktuellen zu reagieren. Denn die Rezepte für synthetische Viren bieten Forschern Versuchsobjekte, um Behandlungen und Impfstoffe zu testen und auch zu untersuchen, wie Mutationen die Erreger gefährlicher machen können. Barics Labor ist auf diese Entwicklung von Viren spezialisiert. In einem Telefoninterview gab der Forscher bekannt, dass sein Team letzten Monat bei einem Hersteller eine Bestellung für die passende DNA aufgegeben habe. Der erste Schritt bestand darin, online zu gehen und nach den genetischen Sequenzen des Virus zu suchen. Anschließend verglichen die Forscher mehrere verfügbare Sequenzen, die sich geringfügig unterscheiden, und wählten eine sogenannte Konsens-Version für die Herstellung aus.

Sobald Baric die Viren-DNA erhalten hat, was einen Monat dauern könnte, plant er, die genetischen Anweisungen in Zellen zu injizieren. Wenn die Dinge wie geplant verlaufen, sollten die Zellen anfangen, tatsächlich infektiöse Viruspartikel zu produzieren.

Durch die Neusynthese erhalten Wissenschaftler auch dann Zugang zu Viren, wenn sie diese nicht direkt aus einem betroffenen Land bekommen können. Baric sagt, dass bisher Proben des lebenden Virus von Patienten aus China nicht allgemein verfügbar gemacht wurden. "Dies ist die Zukunft in Bezug darauf, wie die medizinische Forschungsgemeinschaft auf eine neue Bedrohung reagiert", sagte der Forscher weiter.

Das echte Virus und das synthetische sollten grundsätzlich identisch sein. Aber mit der synthetischen "haben wir eine DNA-Kopie, auf die wir immer und immer wieder zurückgreifen können, um genetisch identische Viren herzustellen", sagt Timothy Sheahan, ein Forscher bei UNC, der mit Baric zusammenarbeitet. In diesen Kopien können Wissenschaftler Gene entfernen, andere hinzufügen und auf diese Weise herausfinden, wie sich der Keim ausbreitet und wie er sich Zugang zu menschlichen Zellen verschafft. Sheahan möchte versuchen, Mäuse mit dem Virus zu infizieren und verschiedene Medikamente an ihnen zu testen, um zu sehen, was den Keim aufhalten könnte.

Künstliche Kopien können Wissenschaftlern auch dabei helfen, mit der unvorhersehbaren Ausbreitung besser Schritt zu halten. "Ich mache mir Sorgen, dass dieses Virus im Verlauf der Epidemie mutieren wird, und dies würde es mir ermöglichen, zu untersuchen, welche Auswirkungen diese Mutationen haben", sagt Stanley Perlman, ein Mikrobiologe, der an der Universität von Iowa an Coronaviren arbeitet. "Das synthetische Virus ist nur ein Ersatz für das eigentliche Virus, aber mit dem DNA-Klon können Sie es manipulieren, die Schwachstellen finden und eine Therapie entwickeln." Dennoch benötigen die meisten Forscher nur ein oder zwei Gene des Virus, um die Arbeit an Tests und Impfstoffen voranzutreiben. Barics Labor in North Carolina ist das einzige in den USA, von dem bekannt ist, dass es versucht, das Virus vollständig aus bestellten DNA-Teilen wiederherzustellen.

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Die Technologie verursachte allerdings schon früh Sorgen, dass sich mit ihrer Hilfe Biowaffen erschaffen lassen. Was wäre etwa, wenn Terroristen die Technik zur Wiederbelebung der Pocken einsetzen würden? Das ist bisher nicht geschehen. Trotzdem bedeutet die Technologie auch, dass Menschheitsgeißeln wie Polio, die Pocken – und jetzt das chinesische Coronavirus – niemals wirklich ausgelöscht werden können. Forscher der US-Zentren für die Kontrolle und Prävention von Krankheiten (CDC) demonstrierten diese Möglichkeit 2005 sehr deutlich, als sie das Influenzavirus für Forschungszwecke wiederbelebten, das von 1918 bis 1919 zig Millionen Menschen tötete.

Um die Technologie nicht in die Hände von Übeltätern gelangen zu lassen, haben sich die DNA-Synthese-Unternehmen vor einigen Jahren zusammengeschlossen, um den Zugang zu gefährlichen Genen zu beschränken. Die großen US-Spieler haben sich alle darauf geeinigt, eingehende DNA-Bestellungen mit einer Datenbank von etwa 60 tödlichen Keimen und Toxinen zu vergleichen, die als "ausgewählte Wirkstoffe" bezeichnet werden, sodass nur autorisierte Labors jemals die DNA erhalten können, die für ihre Wiederbelebung erforderlich ist.

Derzeit können nur sehr wenige hochentwickelte Zentren einen Virus neu booten. Es gibt keine Chance, dass es jemand daheim in seiner Garage schaffen könnte. "Wir sind an dem Punkt angelangt, an dem die Besten der Besten gleichzeitig mit dem Ausbruch mit der Synthese dieses neuen Virus beginnen können. Aber das sind nur ein paar Labore“, sagt Nicholas G. Evans, der biologische Bedrohungen an der University of Massachusetts in Lowell erforscht. "Glücklicherweise sind wir noch weit von dem Punkt entfernt, an dem viele Menschen alles synthetisieren können."

(vsz)