Carbon Mobile: Leichtes und dünnes Smartphone aus Karbon

Werkstoffe aus Kohlefaser sind leicht und stabil, leider aber auch undurchlässig für Funkwellen. Für Smartphones also eher ungeeignet – bis jetzt.

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Carbon Mobile: Leichtes und dünnes Smartphone aus Karbon

Zwei Prototypen des Carbon 1 MKII

(Bild: heise online)

Lesezeit: 5 Min.
Inhaltsverzeichnis

Das Berliner Startup Carbon Mobile hat ein Android-Smartphone mit einem Gehäuse aus Karbon-Verbundstoffen vorgestellt. Dank des neuartigen Werkstoffs ist das "Carbon 1 MKII" dünner und leichter als vergleichbare Geräte. Dafür mussten die Produktentwickler aber Hindernisse überwinden, das den Einsatz von Karbonfasern für Smartphones bisher im Weg stand: Das Material schirmt Funkwellen ab und auch die Hitzeverteilung im Gerät stellt ein Problem dar.

Verbundmaterialien aus Kohlenstofffasern zeichnen sich durch hohe Festigkeit bei geringem Gewicht aus. Sie kommen in Bereichen zum Einsatz, wo jedes Gramm zählt, aber auch die Belastungen des Materials hoch sind: Raumfahrt, Flugzeugbau, Fahrzeugindustrie oder Rennsport setzen schon seit Jahren auf das Material. Auch für Fotostative, Sportgeräte und Fahrräder werden mitunter Karbon-Verbundstoffe benutzt.

Für Smartphones haben die Hersteller bisher hauptsächlich auf Metall, Kunststoff oder Glas gesetzt. Carbon Mobile will das ändern und hat eine Kombination von Verbundstoffen entwickelt, die Funkwellen nicht abschirmt. Der Hybrid Radio Enable Composite Material (HyRECM) getaufte Werkstoff kommt nun im ersten Smartphone des jungen Startups zum Einsatz. Das soll allerdings nur der Anfang sein, geplant sind außerdem ein Notebook, ein Tablet und Zubehör.

Ein Vorteil des Materials ist seine Langlebigkeit und die gute Wiederverwertbarkeit. Schon jetzt besteht das Rohmaterial für die Gehäuse zu einem Teil aus Produktionsresten anderer Branchen. Langfristig will Carbon Mobile die Recyclingquote beim Materialeinkauf weiter steigern.

Carbon 1 MKII (9 Bilder)

(Bild: Carbon Mobile)

Bei der Verarbeitung des Materials galt es aber Schwierigkeiten zu überwinden. Der Herstellungsprozess ist komplexer als beim Kunststoff, der im Spritzgussverfahren eine schnelle Produktion mit hohem Ausstoß garantiert. Karbonfasern werden in mehreren Schritten verarbeitet, das Gehäuse muss "gebacken" und anschließend ausgefräst werden. Damit steigen die Produktionszeit und die Fehleranfälligkeit, die Ausbeute der Produktion ist niedriger als bei Kunststoff. Die Hitzeverteilung im Gerät ist dagegen ein vergleichsweise leicht zu lösendes Problem.

Damit sich die Massenproduktion eingrooven kann, arbeitet Carbon Mobile zunächst mit einem chinesischen Auftragsfertiger zusammen. Wenn das läuft, will der Hersteller mittelfristig auf "Made in Germany" hinarbeiten. Einen Partner dafür hat das Startup auch schon gefunden, erzählt das Management gegenüber heise online: ein ehemaliger Motorola-Standort in Flensburg, an dem Know-how, Personal und Maschinen noch vorhanden sind.

Das Carbon 1 MKII ist trotz des großen 6-Zoll-Displays erstaunlich leicht (125 Gramm) und liegt gut in der Hand. Die heise online gezeigten Vorseriengeräte machten einen solide verarbeiteten Eindruck. Ein nettes Detail ist das beleuchtete Logo auf der Rückseite. Das nur 6,3 Millimeter dünne Karbongehäuse ist aus einem Stück. Die Antennen liegen wie bei herkömmlichen Smartphones unter den Kappen an den Enden. Hier wird das für Funkwellen durchlässigere Verbundmaterial verwendet. Das auffällige Design der Rückseite folgt der Funktion.

Das Carbon 1 MKII bringt knapp 125 Gramm auf die Waage.

(Bild: heise online)

Weniger Begeisterung kommt bei den inneren Werten auf: Angefangen beim im 12-nm-Verfahren gefertigten Mediatek P90 läuft das Carbon Mobile auf Standardware, ist mit 8 GByte Arbeitsspeicher aber vergleichsweise gut ausgestattet. Die Wahl des SoCs von Mediatek begründet Carbon-CEO Firas Khalifeh im Gespräch mit heise online mit der Offenheit und Flexibilität, die der taiwanische Chiphersteller auch einem vergleichsweise kleinen Kunden wie Carbon entgegenbringt.

Carbon Mobile setzt stark auf solche Partnerschaften, mit weniger als 20 festen Mitarbeitern hat das Startup ein vergleichsweise kleines Kernteam. Auch mit Glashersteller Corning arbeitet das Unternehmen zusammen, das Display liegt unter besonders dünnem Gorilla-Glas.

Das Carbon 1 MKII soll ab Sommer in Deutschland und anderen europäischen Ländern erhältlich sein, vorbestellen können interessierte Kunden das Smartphone ab sofort. Die ersten tausend Exemplare gehen an frühe Unterstützer einer Crowdfunding-Kampagne. Ausgeliefert wird das Gerät mit Android 10 und leichten Software-Anpassungen. Der Hersteller verspricht "Betriebssystem-Upgrades sowie kontinuierliche Sicherheitsupdates". Die Preisempfehlung lautet auf 799 Euro.

Der Hersteller ist sich darüber im Klaren, dass das Carbon 1 MKII ein Nischenprodukt für eine kleine, aber innovationsfreudige Zielgruppe von "Early Adoptern" ist. Für das erste Jahr rechnet das Startup mit "einigen Zehntausend" verkauften Geräten. Allerdings steht noch ein Fragezeichen hinter dem Auslieferungsbeginn: Wegen der Verbreitung des Coronavirus in China und der Auswirkungen auf Lieferketten und Fertigungsindustrie könnte sich die geplante Massenfertigung noch verschieben.

Das Virus hat Carbon Mobile auch die internationale Premiere des Carbon 1 MKII versaut: Eigentlich wollte das Startup sein neues Smartphone auf dem MWC Barcelona vorstellen. Hier hätte sich das neue Konzept direkt unter den Augen eines internationalen Fachpublikums beweisen müssen. Doch hat der Veranstalter den MWC wegen der Bedrohung durch das Coronavirus abgesagt; auch andere Messen wurden inzwischen abgesagt oder verschoben.

Carbon 1 MKII
Betriebssystem Android 10
Prozessor / Kerne Mediatek Helio P90 OctaCore
2×Cortex A75 bis 2,2 GHz
6×Cortex A55 bis 2,0 GHz
GPU PowerVR GM 9446
Arbeitsspeicher 8 GB
Flash-Speicher 128 GB
SIM /Wechselspeicher 1× NanoSIM
1× Hybrid NanoSIM/microSD
Display 6“ Amoled Full HD (2:1)
2160×1080 Pixel (402 ppi)
Corning Gorilla Glass 6 (0,4 mm)
SIM 2× Nano SIM (Hybrid)
WLAN 802.11 a/b/g/n/ac
Bluetooth 5.0 LE aptX & aptX HD
USB-Anschluss USB Typ C
Akkukapazität 3050 mAh
Hauptkamera 16 MP Dualkamera
Frontkamera 20 MP
Gehäuse Karbonfaser, HyRECM
Abmessungen (H × B × T) 154×74×6,3 mm
Gewicht 125 g
Sonstiges Fingerabdrucksensor (seitlich), NFC
Farbvarianten Grau, Weiß (geplant)
Preis (UVP) 799 €
Erhältlich ab Sommer 2020

(vbr)