Wahrheit und Fake im postfaktisch-digitalen Zeitalter: Wie relativ ist die Wahrheit?

Fake News oder Alternative Fakten? Wie alternativ mit Wahrheit umgegangen werden kann, diskutierten Wissenschaftler auf der Berliner Fake-News-Konferenz.

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Berliner Fake-News-Konferenz: Wie relativ ist die Wahrheit?

(Bild: Olivier Le Moal/Shutterstock.com)

Lesezeit: 5 Min.
Von
  • Hans-Arthur Marsiske
Inhaltsverzeichnis

Seit mittlerweile drei Jahren ist der Begriff in der Welt: Alternative Fakten. Kellyanne Conway, Wahlkampfmanagerin von US-Präsident Donald Trump, reagierte damit auf die Bemerkung, dass dessen Amtseinführung weniger Zuschauer angezogen hätte als die seines Vorgängers Barack Obama. Über diese und andere Alternativen im Umgang mit der Wahrheit wurde jetzt in Berlin diskutiert.

Auf der Konferenz "Wahrheit und Fake im postfaktisch-digitalen Zeitalter" in der Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen zeigten gleich mehrere Redner die Bilder von den Amtseinführungen der beiden US-Präsidenten, auf denen deutlich unterschiedlich große Menschenmengen zu sehen sind. Christer Petersen, Medienwissenschaftler an der Brandenburgischen Technischen Universität (BTU), verwies in diesem Zusammenhang darauf, dass die Idee der alternativen Fakten gar nicht so neu sei. So habe bereits der postmoderne Denker Jean Baudrillard 1978 im Zuge seiner Überlegungen zu Simulationen die Differenz zwischen Realität und Imagination in Frage gestellt und eine von der Kommunikationsindustrie geschaffene "Hyperrealität" postuliert. In dieser Hyperrealität, so Petersen, bewege sich Trump wie ein Fisch im Wasser.

Petersen betonte den Unterschied zwischen Fake News und Alternativen Fakten. Erstere würden die Korrespondenztheorie der Wahrheit, wonach sich Aussagen über die Wirklichkeit auf eine objektiv existierende Welt beziehen, nicht in Frage stellen. Alternative Fakten dagegen stifteten Verwirrung, auch um dem Vorwurf gezielter Falschmeldungen zu entgehen. Im Unterschied zu postmodernen Philosophen betreibe Trump jedoch keine Dekonstruktion, hinterfrage also zum Beispiel nicht, inwieweit die Größe einer Menschenmenge bei der Amtseinführung eines Präsidenten überhaupt etwas über die Zustimmung oder Ablehnung seiner Person oder Politik aussage. Vielmehr höhle er das korrespondenztheoretische Paradigma von innen aus, so Petersens Fazit.

Auch Thomas Zoglauer, der an der BTU Philosophie lehrt, bezog sich auf den Postmodernismus. Einzelne Strömungen dieser Denkweise hätten zur Aufweichung des Wahrheitsbegriffs beigetragen, die heute unter dem Titel "Post-Truth" in der Philosophie diskutiert werde. Als prominenten Vertreter nannte Zoglauer den US-amerikanischen Soziologen Steve Fuller, der Wissenschaft zu einem Machtspiel erklärt habe und wissenschaftliche Erkenntnisse komplett auf soziologische Kategorien zurückführe. Laut Fuller sei Präsident Trump wie ein Fuchs, der gewinne, indem er die Regeln ändere.

Trumps Politik lasse sich postmodern rechtfertigen, sagte Zoglauer. Als Urvater des radikalen Wahrheitsrelativismus, der letztlich zum Wahrheitsnihilismus führe, nannte er den Philosophen Paul Feyerabend, der durch seinen wissenschaftstheoretischen Anarchismus bekannt geworden ist. Als Gegenpol bezog sich Zoglauer auf Ludwig Wittgenstein, der bemerkt habe, dass jeder Zweifel sich auf Aussagen stützen müsse, die über Zweifel erhaben sind. Die Wahrheit sei als regulative Idee unverzichtbar, betonte Zoglauer. Nicht alle Perspektiven auf eine Fragestellung seien gleichwertig.

Noch weiter zurück in die Vergangenheit schaute Rafael Capurro, Gründer des Internationalen Zentrums für Informationsethik (ICIE). Er untersuchte, wie in der griechischen Antike mit der Wahrheit umgegangen wurde. Zunächst sei das Vertrauen in die Übermittler entscheidend gewesen, Nachrichten wurden durch das Vertrauen in die Boten legitimiert. Da dieses Vertrauen unter anderem davon abhing, wer den Boten geschickt hatte, sprach Capurro von einer "vertikalen" Legitimation von oben. Erst die Sophisten hätten dann den Logos, die Vernunft, und damit die "horizontale" Suche nach der Wahrheit im Dialog ins Spiel gebracht. Das Christentum wechselte dann mit den Engeln als himmlischen Boten wieder zur vertikalen Perspektive und hinterließ den Philosophen des Mittelalters das Problem, beides irgendwie zusammenzubringen.

Mit der Moderne und der Erfindung des Buchdrucks habe dann die empirische Wissenschaft die Stelle der Religion als Garant der Wahrheit übernommen und bis ins 20. Jahrhundert innegehabt – bis die Philosophie ihr diese Position wieder nahm: Wissenschaftstheoretiker wie Carl Gustav Hempel oder Rudolf Carnap konnten aufzeigen, dass sich wissenschaftliche Sätze nicht beweisen, sondern nur widerlegen lassen. Sie bewahrheiten sich nicht, sondern bewähren sich. Das habe der Relativierung die Tür geöffnet, sagte Capurro, gleichwohl führe kein Weg dahinter zurück. Mit Bezug auf das Engelreich, das stets die Machtstruktur auf der Erde widergespiegelt habe, verwies er auf Computer und Künstliche Intelligenz, die heute die Position der Engel als Boten der Wahrheit eingenommen hätten.

Das wiederum war Wasser auf die Mühlen von Peter Klimczak (BTU), der zuvor versucht hatte, die Unterschiede von Fakten, Fakes und Fiktionen mengentheoretisch abzubilden. Was damit an Erkenntnis gewonnen sei, wurde er am Ende seines Vortrags gefragt. Die mathematische Modellierung erlaube die Implementierung der Theorie in technischen Systemen. Die Formalisierung diene damit als Mittlerin zwischen Geistes- und Ingenieurwissenschaften. Nach Capurros Ausführungen könnte man ergänzen: Es ist auch die Sprache der neuen, digitalen Engel. Und hinter die führt auch kein Weg zurück. Wie die Verständigung mit ihnen verbessert werden kann, wird Thema des letzten Konferenztages sein. (olb)