Klimaschutz: EU-Kommission will die Klimaneutralität "in Stein meißeln"

Die EU-Kommission hat vorgestellt, wie sie die Treibhausgasneutralität bis 2050 erreichen will. Greta Thunberg spricht von einer "Kapitulation".

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Klimaschutz: EU-Kommission will die Klimaneutralität "in Stein meißeln"

Europaparlamentspräsident David Sassoli begrüßt Greta Thunberg, bevor sie an einer Sitzung des Umweltausschusses teilnahm.

(Bild: EU-Parlament)

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Die EU-Kommission hat am Mittwoch einen Entwurf für ein Klimaschutzgesetz vorgelegt. Damit will sie den Treibhausgasausstoß der Gemeinschaft bis zum Jahr 2050 netto auf Null senken. Die Mitgliedsstaaten sollten dann zusammen nur noch so viele Schadstoffe verbreiten, wie sie durch Aufforstung oder CO₂-Speicherung wieder ausgleichen. Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen meinte, mit dem Klimagesetz als "das Herzstück des Grünen Deals" würden die Ziele der Klimaneutralität "in Stein" gemeißelt.

Bislang hat sich die EU verpflichtet, ihre Treibhausgas-Emissionen bis 2030 um 40 Prozent unter die Werte von 1990 zu senken. Die Kommission will dieses Ziel nun anheben und die Emissionen um 50 bis 55 Prozent senken. Zuvor will sie mit einer Folgenabschätzung bis September prüfen, ob auch 60 oder 65 Prozent möglich sind. Ambitioniertere Vorgaben nach 2030 könnte die Kommission alle fünf Jahre auf Basis der "neuesten wissenschaftlichen Befunde" durch "delegierte Rechtsakte" festlegen. Diese könnten schon wirksam werden, wenn sich keine qualifizierte Mehrheit aus Mitgliedstaaten und Abgeordneten querlegt. Auch für die Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) setzte die Kommission auf dieses Mittel, musste nach Widerstand der anderen Gesetzgebungsgremien aber zurückstecken.

"Dieses Klimagesetz ist eine Kapitulation", warnte Greta Thunberg gemeinsam mit 33 weiteren Aktivisten in einem am Dienstag veröffentlichten offenen Brief. "Wir brauchen Ziele nicht erst für 2030 oder 2050. Wir brauchen sie vor allem für 2020, für jeden folgenden Monat und jedes folgende Jahr." Um die verbliebenen Chancen zu ergreifen, die globale Temperaturerwärmung im Sinne des Pariser Abkommens auf weniger als 1,5° zu begrenzen, sei nur noch ein weltweites Budget für den Ausstoß von weniger als 340 Gigatonnen CO₂ übrig. Mit dem gegenwärtigen "Business as usual" reiche dieses nur noch rund acht Jahre. EU-Kommissar Frans Timmermans verwies darauf, dass die Kommission auch auf neue Technik baue, um Emissionen zu verringern.

Auch zwölf EU-Staaten mahnen in einem Brief an Timmermans, dass die Gemeinschaft ihrer Verantwortung gerecht werden und im Klimaschutz ehrgeiziger sein müsse. Mit einem spätestens bis Juni aufgestockten Ziel könne die EU mit gutem Beispiel vorangehen und helfen, international die nötige Dynamik zu erzeugen, sind die Benelux-Staaten, Dänemark, Frankreich, Italien, Österreich, Spanien und Schweden einig. Die Bundesregierung hat sich nicht beteiligt, da sie vor der im Juli beginnenden EU-Ratspräsidentschaft unabhängig bleiben will. Länder wie Polen, Tschechien oder Ungarn wehren sich gegen verschärfte Klimaziele.

Abgeordnete konservativer Parteien und der Liberalen zeigten sich verwundert, dass Thunberg eine Sondererlaubnis bekommen hat, an der Debatte des Umweltausschusses des EU-Parlaments am Mittwoch teilzunehmen. Es müssten gleiche Regeln für alle gelten. Zuvor hatte der Chef der konservativen Europäischen Volkspartei (EVP), Manfred Weber (CSU), angeregt, dass die Kommission weniger auf bunte Bilder mit der Schwedin setzen und sich stärker um die neue Flüchtlingskrise an der türkisch-griechischen Grenze kümmern sollte. Die Grünen halten den Entwurf dagegen für zu wenig ehrgeizig.

Uwe Leprich, Ex-Abteilungsleiter für Klimaschutz und Energie des Umweltbundesamtes meint, was von der Kommissionspräsidentin im Dezember unter "Green deal" als europäisches Mondlandeprojekt verkündet worden sei, drohe nun "bereits an der Startrampe zu versanden". Es gebe keine verbindlichen CO₂-Budgets und nur möglicherweise "Empfehlungen" für Mitgliedstaaten, die beim Klimaschutz passiv bleiben.

Der IT-Branchenverband Bitkom plädierte dafür, bei der "Mammutaufgabe" des europaweiten klimafreundlichen Umbaus von Industrie, Energie, Landwirtschaft und Verkehr "von Anfang an digitale Lösungen mit zu berücksichtigen". Eine "drastische Reduktion des CO₂-Ausstoßes bis 2030" lasse sich nur so bewältigen.

Zugleich hat die Kommission eine öffentliche, drei Monate laufende Konsultation für einen "europäischen Klimapakt" gestartet. Bürger und Interessenträger sollen darüber mitreden können, wenn neue Klimaschutzmaßnahmen konzipiert werden. (anw)