Gebärneid von Gerätemännern

Einige Grabungen zu den Wurzelspitzen der Technikbegeisterung.

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Lesezeit: 3 Min.
Von
  • Peter Glaser

Eine der unbeantworteten Fragen unserer Zeit ist die nach dem Ursprung der Technikfaszination, welche in Abständen mit der Wucht eines lokalen Urknalls in Erscheinung tritt und im weitgehend männlichen, jüngeren Teil der Zivilisation eine Pandemie quasireligiöser Inbrunst bei der Beschäftigung mit neuen Formen von Technik nach sich zieht.

"In meiner Jugend nahmen die neuen Mittel der drahtlosen Kommunikation meine Jünglingsphantasie gefangen", schreibt der Kulturphilosoph Lewis Mumford. "Nachdem ich meinen ersten Radioapparat zusammengebastelt hatte … fuhr ich fort, mit neuen Geräten zu experimentieren, um noch lautere Botschaften von weiter entfernten Sendestationen zu empfangen. Aber ich machte mir nie die Mühe, das Morsealphabet zu lernen." In den 20er-Jahren erfasste die Menschen mit der Möglichkeit, Raketen nicht nur in SF-Romanen anzuhimmeln, sondern sie tatsächlich bauen zu können, ein beispielloser Geschwindigkeitsrausch. In Berlin-Tegel wurde der erste Raketenflugplatz der Welt gegründet. Mit unter den Euphorisierten der ersten Stunde ein Student namens Wernher von Braun. Nur kurz gestreift: die Nachkriegstechnikbegeisterung mit ihren Zukunftsvorstellungen von Kuppelstädten, Vollautomatismen und Büchern, die "Unser Freund, das Atom" hießen.

Danach gelangen wir zur aktuellen Ausgabe der Euphorie – der Digitalisierung vermittels Computer und Internet. Die Wellen des Wandels, die hiervon seit mehr als einem Vierteljahrhundert um den Planeten wandern, werden von, fast hätte ich gesagt: von Moden durchkreuzt. Aktuelle Unvermeidlichkeit ist die Künstliche Intelligenz. Sie führt die Tradition der Technikfaszination, zu einer bemerkenswerten Totalität erweitert, fort. Schon vor Jahrzehnten hatten KI-Pioniere wie Marvin Minsky oder Hans Moravec damit begonnen, Roboter mit hochempfindlichem Sensorium zu entwerfen, das einem Computer unterstellt sein sollte, der die Verarbeitungsgeschwindigkeit und Speicherkapazität unseres Gehirns weit übersteigt.

Das Vorhaben ist nicht nur von wissenschaftlicher Neugierde geleitet, zu erkennen an dem erklärten Ziel, einen künstlichen Menschen zu schaffen, der perfekter ist als sein natürliches Vorbild. Moravec, der daran glaubt, dass sich das Wesen einer Person vollständig digitalisieren lässt, nennt diese Kopfgeburten "mind children". Minsky zufolge sollten wir alle froh sei, wenn wir von den künftigen Weltherrschern noch wie Haustiere gehalten werden, ehe wir aussterben. Nichtrobotiker werden nicht danach gefragt, ob sie mit dem Projektziel des Aussterbens der eigenen Art einverstanden sind.

Das wissenschaftliche Streben, künstliche Geschöpfe zu schaffen, findet in der KI sein Inbild. Bereits 1965 rief Charles C. Price, Präsident der American Chemical Society, seine Kollegen auf "Lasst uns alle unsere wissenschaftlichen Kräfte einsetzen, um Leben zu erschaffen!" Der Traum der Alchimisten, einen Homunculus in der Retorte zu erzeugen, wurde in den nüchternen Chemikertraum übersetzt und anschließend virtualisiert und dem jungen, attraktiven Sammelgebiet der KI ins Bettchen gelegt. Kritiker wie der Computerexperte Joseph Weizenbaum sehen einen männlichen Gebärneid als Motiv dafür, dass Forscher künstliche Kinder zur Welt bringen wollen, die perfekter sind als die der Frauen. Um herauszufinden, wie sich ein solcher Organismus ohne Geschichte verhalten wird, kann man Mary Shelleys Beschreibung von Frankensteins Monster lesen.

(bsc)