Medizinische Hochschule Hannover und Ubilabs entwickeln Corona-App

Eine App soll dabei helfen, die Ausbreitung der Corona-Epidemie zu verlangsamen. Dafür werden Local-History-Standortdaten von Infizierten als Spende benötigt.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 25 Kommentare lesen
Digitale Epidemologie: Medizinische Hochschule Hannover und Ubilabs entwickeln Corona-App

(Bild: ra2studio/Shutterstock.com)

Lesezeit: 7 Min.
Von
  • Christiane Schulzki-Haddouti
Inhaltsverzeichnis

Die Medizinische Hochschule Hannover entwickelt gemeinsam mit der Hamburger Firma Ubilabs eine Datenanalyseplattform samt App. Mit datengestützter Analyse sollen Behörden und Bürger das Risiko für eine Corona-Infektion exakter ermitteln können, um bessere Präventionsmaßnahmen ergreifen zu können.

Mit einer Datenanalyseplattform und App soll das aktuelle Infektionsrisiko von Epidemien individuell ermittelt werden, indem infizierte Personen den von ihren Smartphones erhobenen Standortverlauf anonym zur Verfügung stellen. Mit dem Datenspende- und Aufklärungsprojekt GeoHealth will Projektleiter Gernot Beutel von der Klinik für Hämatologie, Hämostaseologie, Onkologie und Stammzelltransplantation an der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) vor allem die Ausbreitungsgeschwindigkeit der Corona-Epidemien verlangsamen. Beutel begleitete bisher Forschungsprojekte zur EHEC- (enterohämorrhagische Escherichia) und Schweinegrippe-Pandemie (Influenza A/H1N1).

Gernot Beutel sagte heise online: "Die MHH bietet eine Forschungsumgebung, in der sich Gedankenansätze zu künstlicher Intelligenz und Big Data mit der täglichen Versorgung der Patienten verbinden lassen." Hauptmotiv und Ziel des Projekts sei es, durch Verringerung der Exposition, den Zeitpunkt einer Weiterverbreitung des Coronarvirus nach hinten zu verschieben. So könne man dafür sorgen, dass die Kapazitäten des Gesundheitssystems durch die Epidemie nicht überlastet werden.

Das Konzept für eine Datenanalyseplattform, die mit einem GPS-Trackingansatz einen Verlauf von Epidemien exakter erfassen könnte, hat Beutel bereits Ende 2019 im Gespräch mit dem Ubilabs-Geschäftsführer Jens Wille entwickelt. "Wir verwenden keine Funkzellen-Daten", betont Wille mit Blick auf die bisherige Berichterstattung. Ubilabs hat bereits viele Projekte mit standortbasierten Analysen durchgeführt. Im Kontakt mit dem Jungunternehmer Maxim Gleser, Gesellschafter der IPGloves GmbH, kam im Februar die Idee, dass Patienten mit positivem Corona-Befund ihre Bewegungsdaten über eine Smartphone-App anonym spenden können. Gleser soll jetzt gemeinsam mit ARIT Services, einem bei Hannover ansässigen IT-Unternehmen, das Frontend beziehungsweise die App entwickeln und mit dem Slogan "Spread the app, not the virus" die Bevölkerung zu einem breiten Einsatz motivieren.

Ende Februar hatte das Projektteam eine Projektskizze an das Bundesgesundheitsministerium sowie an das Robert-Koch-Institut übermittelt. Das Ministerium griff diese im Rahmen der COVID-Arbeitsgruppe auf und organisierte ein Treffen mit dem Robert-Koch-Institut und dem Heinrich-Hertz-Institut, über das bundesweit berichtet wurde. Auf Anfragen von heise online reagierte das Ministerium bislang nicht. Das Bundesgesundheitsministerium hat zwar mit dem Health Innovation Hub eine erste Brücke in die Digitalwelt geschlagen, konkrete Programmierungsprojekte setzt das Hub nicht um – es ist vorwiegend beratend tätig.

Dank der GeoHealth-App sollen Nutzer anonymisiert ermitteln können, ob sie sich mit Infizierten über einen bestimmten Zeitraum gemeinsam an einem Ort aufgehalten haben. Damit soll das Infektionsrisiko einer Veranstaltung oder einer Fahrt in öffentlichen Verkehrsmitteln berechnet werden. Das Ansteckungsrisiko soll in der App in Ampelfarben signalisiert werden. Bei "Rot" sollte sich der Nutzer von einem Arzt beraten lassen, "Gelb" soll für die Beobachtung von Krankheitssymptomen sensibilisieren und "Grün" bedeutet Entwarnung. Entsprechend könnten zeitnah Hygienemaßnahmen ergriffen und die Infektionskette an dieser Stelle unterbrochen werden.

GeoHealth wertet die anonymisierten Daten der Location History aus, die zuvor von einem Nutzer aus seinem Konto herunterladen und zur Verfügung gestellt wurde. "Das Robert-Koch-Institut möchte im Rahmen von Interviews erfahren, wo man sich in den vergangenen zwei Wochen aufgehalten hat. Aber dann erwähne ich unter Umständen nicht den Bus, den ich genommen habe", sagt Gleser. "Mit dem digitalen Standortverlauf wäre die Busfahrt aber nachvollziehbar." Mit der App soll der Standortverlauf ab Aktivierung der App ausgewertet werden können. Die Daten potenzieller Kontaktpersonen verlassen hierbei nicht das eigene Smartphone.

Analog zur Blutspende können Infizierte also eine "Datenspende" in Form einer freiwilligen Einwilligung in die Nutzung ihrer GPS-Location-History geben. Den Hauptanreiz sehen die Projektinitiatoren im gesellschaftlichen Nutzen, die Ausbreitung des Virus verzögern zu können. "Wenn ich als Infizierter zu Hause meine Daten spende, wohlwissend, dass sie in guten Händen sind und dass mit ihnen etwas Gutes gemacht wird, dann ist das aus meiner Sicht ein starker Anreiz", sagt Beutel.

Die Verifizierung der Daten erfolgt, indem die Nutzer ihren Befund hochladen, wobei die App Schritt für Schritt bei der Schwärzung und somit Anonymisierung der personenbezogenen Daten unterstützen soll. Der Befund wird dann seitens der Projektbetreiber verifiziert. Alternativ könnten Gesundheitsämter die Betroffenen bitten, ihre Daten anonymisiert der Datenanalyseplattform zur Verfügung zu stellen.

Infektions-Apps sind aus Datenschutzsicht rechtlich machbar. "Wenn voll auf Einwilligung gesetzt wird, wäre ein solches Verfahren aus Datenschutzsicht sauber zu installieren", sagte der Datenschutzexperte Thilo Weichert heise online. Wichtig sei eine saubere Information vor der digitalen Einwilligung. Gleichwohl bleibe, so Weichert "das gewaltige Problem der zweckwidrigen oder zweckändernden Nutzung". Sie müsste ausgeschlossen oder "zumindest massiv eingeschränkt" werden. Das gegenwärtige Recht sehe aber im Moment eine Art Beschlagnahmeverbot der Daten bei freiwilliger Beteiligung an einer Seuchenprävention nicht vor.