Über Cambridge Analytica: "Eine gefährliche, im Dunkeln arbeitende Industrie"

Brittany Kaiser war bis 2018 für die Mutterfirma von Cambridge ­Analytica tätig. Sie berichtet, wie es mit der Branche weitergeht.

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»Eine gefährliche, im Dunkeln arbeitende Industrie«

(Bild: Web Summit)

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  • TR Online

Kaiser packte unter anderem vor dem Sonderermittler Robert Mueller aus, der 2019 die mögliche Beeinflussung der US-Wahlen durch Russland untersuchte. Seit Januar veröffentlicht sie auf Twitter unter #hindsight E-Mails aus ihrer Zeit bei Cambridge Analytica. Vor Kurzem ist ihr Buch „Die Daten-Diktatur“ bei HarperCollins erschienen.

TR: Sie haben die erste Facebook-Seite für die Wahlkampagne von Barack Obama aufgesetzt. Dann haben Sie bei Cambridge Analytica angeheuert und geholfen, Donald Trump ins Amt zu heben. Wie bringen Sie das zusammen?

Brittany Kaiser: Die Technologie als solche ist ja nicht gut oder schlecht, es kommt darauf an, wie wir sie einsetzen. In der Obama-Kampagne hatten wir eine Art Ehrenkodex, an den wir uns gehalten haben: keine negativen Werbebotschaften. Wir haben auch Daten und Targeting benutzt, aber eben nur Obama und seine Politik beworben. Die zweite Obama-Kampagne 2012 hat schon deutlich mehr Daten genutzt, denn da hatten wir, anders als 2008, Zugriff auf die Friends API.

Über die API konnten Entwickler gegen Gebühr Zugang zu den privaten Daten der Nutzer bekommen. Sie konnten also Werbung nach psychologischen Gesichtspunkten ausspielen oder Fake News gezielt streuen. Viele zweifeln allerdings, dass Cambridge Analytica wirklich so effektiv das Wahlverhalten beeinflusst hat, wie das Unternehmen vorgab.

Wenn Wahlen aufgrund kleinster Mehrheiten entschieden werden, kann die Methode den Ausschlag geben. Ohne Cambridge Analyticas Rolle überzubewerten, ich habe Zahlen von Dritten gesehen, die zeigen, dass es wirkt. Die Leute müssen verstehen, diese Taktiken haben extreme Folgen. Die Trump-Kampagne hat beispielsweise Hillary Clintons Unterstützer mit Fake News dazu gebracht, nicht zu wählen.

Wollten Sie auch mit deutschen Parteien ins Geschäft kommen?

Wir haben einen Pitch bei der CDU gemacht. Dort hat man uns gesagt, solche Datennutzung entspräche nicht der politischen Natur Deutschlands (lacht). Es gab Gespräche mit den Sozialdemokraten und den Grünen, aber wir haben keine Treffen bekommen. Eventuell hätte die AfD auf Steve Bannons (Chefstratege von Trumps Wahlkampfteam; Anm. d. Red.) Empfehlung hin Gebrauch gemacht, aber es kam nie zu einem Treffen. Das erste Nein kam übrigens von Frankreich. Der Geschäftsführer Alexander Nix zeigte in der Präsentation, wie man Daten sammelt, wie man gezielt die Leute anspricht, es ging um die Kampagne für Sarkozy. Da sind die wirklich ausgerastet (lacht). Sie sagten, wir verlieren die Wahl, wenn das jemand rauskriegt. Haut ab. Ich dachte damals, das ist völlig verrückt, die wissen gar nicht, wie der Hase läuft.

TR 3/2020

Ihr Kollege Chris Wylie hat Sie kritisiert, Sie kämen als Whistleblower reichlich spät. Cambridge Analytica ist Geschichte, Sie haben keinen Job mehr, und er bezweifelt, ob wirklich Ethik Ihre zentrale Motivation ist.

Die Definition für Whistleblower ist nicht, dass man der Erste ist (lacht). Ein Whistleblower verschafft Strafverfolgern oder Journalisten neue Informationen, im öffentlichen Interesse.

In Ihrem Buch schreiben Sie allerdings, dass Sie den Job bei Cambridge Analytica auch des Geldes wegen gemacht haben. Womit verdienen Sie heute Ihr Geld?

Abgesehen vom Buch mit Honoraren für Vorträge. Ich sammle allerdings auch Geld für meine Stiftung. Mit den ersten Spenden werden wir ab Frühjahr anfangen, acht- bis zwölfjährigen Schülern Kurse in digitaler Kompetenz zu geben. Basis ist ein vom Weltwirtschaftsforum erstelltes Programm, anfangs bin ich der Trainer. Ich habe außerdem vier juristische Abschlüsse und will mich um eine Zulassung als Anwältin für Datenrecht bemühen.

Gibt es bereits Nachfolger, die den Platz von Cambridge Analytica eingenommen haben?

Leider zu viele. Eine ganze Reihe von ehemaligen Angestellten von Cambridge Analytica arbeitet weiter in der Politik, auch Alexander Nix. Ich weiß auch von mindestens zwei oder drei kleineren Unternehmen, die aus der Firma heraus entstanden sind. Einige arbeiten für die Trump-Kampagne 2020. Die Oxford University hat zudem eine Studie zu Propaganda-as-a-Service-Anbietern gemacht und listet darin Hunderte von Firmen, die wie Cambridge Analytica arbeiten, nur dass sie noch schlimmer sind. Denn die Technologie hat sich weiterentwickelt, und wir haben noch keine Regulierung.

Reicht Regulierung? Sie klingen eher, als wäre ein Verbot besser.

Ich glaube, es gibt eine Zukunft für Data Science und KI. Sie können uns helfen, einige unserer größten Probleme zu lösen, die Klimakrise, Verkehrsoptimierung, die Verhinderung der nächsten Massenschießerei, die Bekämpfung von Krebs. Aktuell haben wir aber eine gefährliche, im Dunkeln arbeitende Industrie geschaffen. Es gibt keine Transparenz, keinen Rechtsrahmen, keine Aufsicht, die den Menschen hilft, ihre Privatsphäre zu schützen. Darum fordere ich Regulierung.

Wie sähe die aus?

Wir stehen vor einer schwierigen Aufgabe. Ich mache noch nicht einmal den Tech-Firmen einen Vorwurf. Niemand konnte vorhersagen, dass Russland Facebook nutzt, um Black Lives Matter und Blue Lives Matter aufeinanderprallen zu lassen, um gewalttätige Auseinandersetzungen zwischen solchen Gruppen zu provozieren. Jetzt wissen wir es. Daher müssen die Unternehmen in ihre Technologie investieren, um das zu verhindern. Von wo loggen sich Leute ein, welche Aktivitäten weichen signifikant von denen eines normalen Users ab. Handelt es sich um Bots? Ist eine Trollfarm im Spiel? Dabei hilft KI.

Dann müssten allerdings die Plattformen selbst aktiv werden. Trauen Sie ihnen das tatsächlich zu?

Es ist nicht toll, sich vorzustellen, dass Mark Zuckerberg derjenige sein wird, der entscheidet, was meine Kinder auf dem Schirm sehen werden. Deshalb müssen Regierungen dringend bestehende Gesetze gegen Verleumdung, Desinformation, Wählerunterdrückung durchsetzen. Aber erstens reichen die besten Gesetze allein nicht. Und zweitens können wir nicht auf die Regierungen warten – wissen Sie, wie langsam die sind?

(bsc)