​Personalisierte Fernsehwerbung ​

Jahrelang haben sich der TV-Werbemarkt und der Online-Werbemarkt ein Wettrennen geliefert. Mit den neuen Standards der HbbTV Asso­ciation verschmelzen beide Welten.

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​Personalisierte Fernsehwerbung ​
Lesezeit: 6 Min.
Von
  • Torsten Kleinz
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Samstagabend, eine große TV-Show läuft im linearen Fernsehen. Bevor die Jury die Gewinner des Abends kürt, kommt der unvermeidliche Werbeblock. Doch während auf dem Schirm des 40-jährigen Mannes ein Spot für einen neuen Rasierer mit gleich sieben Klingen zu sehen ist, wird bei seiner Nachbarin ein Werbespot für die neueste Ausgabe eines Frauenmagazins ausgestrahlt. Möglich wird dies durch die Verschmelzung von Online- und TV-Inhalten.

Die neue Form der TV-Werbung soll über die nächsten Jahre Alltag werden. Den Weg dazu macht die HbbTV Association frei, die den herstellerunabhängigen Standard zur Einbindung von Online-Inhalten auf dem TV-Bildschirm verwaltet. Dank „Hybrid broadcast broadband TV“ können die Sender etwa ihre Mediathek-Angebote auf jedem Fernseher ausspielen, auch wenn der Kunde keine spezielle App des Senders installiert hat. Ende Februar stellte die Organisation neue separate Spezifikationen für personalisierte Werbung vor: die HbbTV specification for targeted advertising (HbbTV-TA).

„Mit der Veröffentlichung eröffnen wir ein neues Kapitel in der digitalen Transformation der Sender“, erklärte Vincent Brivet, Chef der HbbTV-Association. Zwar haben viele Sender ihr Geschäftsmodell bereits um digitale Werbung ergänzt. Doch die neuen Standards sollen dazu führen, dass sich das Modell nun in der Masse verbreiten kann.

Wer einen Fernseher mit Internet­anschluss betreibt, kennt die neue Werbewelt wahrscheinlich schon: Schaltet man auf einen privaten Free-TV-Sender um, wird man oft kurz nach dem Kanalwechsel mit Werbebotschaften beschickt, die das normale TV-Bild L-förmig einrahmen. Auch tauchen bei Werbespots kurze Botschaften auf, mit denen der Zuschauer über den „Red Button“ auf der Fernbedienung mehr Infos zu einem Produkt aufrufen oder etwa an einem Gewinnspiel teilnehmen kann.

Nach Angaben von d-force, einem Joint Venture von ProSiebenSat.1 und der Mediengruppe RTL, können derzeit 18 Millionen Geräte in Deutschland solche simplen Werbeformen anzeigen – zumindest in der Theorie. In der Praxis hakt es zuweilen. Besitzer älterer Samsung-Ge­räte müssen zum Beispiel immer wieder feststellen, dass schon die simpelste Werbeform die Ressourcen der Fernsehgeräte überfordert. Während der Fernseher die Online-Informationen verarbeitet, ist er für andere Aufgaben wie die Verarbeitung von Fernbedienungsbefehlen erst mit deutlicher Verzögerung ansprechbar.

Mit zunehmend schnelleren Prozessoren und neueren Geräten sind jedoch auch deutlich komplexere Werbeformen möglich. So ist es bei Geräten mit dem HbbTV-Standard 1.5 möglich, Videowerbung einzuspielen – dies ist bei circa 12 Millionen Geräten in Deutschland der Fall. Dabei kann ein klassischer TV-Spot von einem Online-Spot so komplett überlagert werden, dass der Zuschauer keine Ahnung hat, dass diese Werbung auf ihn persönlich zugeschnitten wurde.

Mit dem neuen Standard soll insbesondere sichergestellt werden, dass die Übergabe zwischen dem normalen Broadcast-Signal und den Online-Spots möglichst reibungslos funktioniert. Hier gab es in der Vergangenheit häufig Probleme, wie eine Präsentation der HbbTV-Association offenlegt. So bestünden Anzeigenkunden darauf, dass eine Anzeige tatsächlich abgespielt wird – und nicht aus technischen Gründen abbricht. Dies sei nur möglich, wenn die Fernseher die Spots vorher in ihren Speicher laden und bei Bedarf abspielen. Um die Spezifikationen zu erfüllen, sollen die Geräte künftig mindestens 30 Sekunden Internetwerbung im Voraus speichern können.

SevenOne Media vermarktet bereits „Adressable TV“-Spots, die zielgrup-pengesteuert klassi-sche Spots ersetzen.

Die neue Technik erschließt das Broad­cast-Fernsehen für die neuen Werbemarktplätze, die im Online-Bereich längst dominant sind. Beim sogenannten „programmatischen Advertising“ buchen Werbetreibende keine festen Werbeplätze auf Websites, sondern bestimmte Zielgruppen. So wird über Cookies umfassend erfasst, auf welchen Websites sich ein Nutzer bewegt und damit ein umfassendes Werbeprofil erstellt.

Über die Kombination von Online- und Linear-Inhalten können Fernsehsender an diesem Geschäft teilhaben und im Prinzip den gleichen Werbeplatz mehrfach verkaufen. „Das Targeting kann dabei grundsätzlich nach unterschiedlichsten Kriterien wie Tageszeiten, Wetter, Soziodemografien et cetera erfolgen“, erklärt Jens Pöppelmann, Geschäftsführer von d-force auf Anfrage der c’t. Ein Werbekunde kann zum Beispiel unterschiedliche Spots abspielen, je nachdem wer vor dem Bildschirm sitzt oder wo sich das Fernsehgerät befindet. Auch lassen sich Informationen über lokale Filialen des Werbetreibenden einspielen.

Noch potenter ist jedoch das individuelle Targeting. So überträgt der HbbTV-Dienst von RTL und ProSiebenSat.1 alle zwei Minuten ein sogenanntes Heartbeat-Signal. So bekommen die Sender einen Eindruck davon, ob sie es mit einem Zuschauer zu tun haben, der eher die Nachmittagstalkshows oder die Blockbuster-Filme am Samstagabend guckt.

Aus den pseudonymisierten Daten generieren sie Interessenprofile, die über die Art der künftig eingespielten Werbungen entscheiden. In den Datenschutzeinstellungen des HbbTV-Dienstes kann der Zuschauer zwar bestimmte Personalisierungs-Optionen abschalten – ausgespielt wird Werbung aber auch weiterhin. Und mitunter sogar mehrmals dieselbe: Denn mit den Cookies wird das „Frequency capping“ ermöglicht, das kontrollieren soll, wie häufig ein bestimmter Spot ausgespielt wird. Wer die Zustimmung verweigert, bekommt mitunter bei jedem Umschaltvorgang die gleiche Werbung angezeigt. Wenn die Nutzer sich zusätzlich bei den Mediatheken der Sender einloggen, können die Sender die Nutzer gar über das Fernsehprogramm hinaus verfolgen.

Mit den neuen Werbeformen lassen sich Kampagnen Sender- und ...

... Senderfamilien-übergreifend buchen.

Die TV-Sender müssen sich den Bildschirm aber mit anderen Anbietern teilen. So hat etwa Samsung auf allen seit 2014 produzierten Smart-TVs sein eigenes Werbeprogramm aktiviert, das dem TV-Zuschauer ebenfalls personalisierte Werbung einspielt. Allerdings haben die Fernsehsender erreicht, dass ihr TV-Signal tabu ist: Gerätehersteller dürften ihre Werbung nur auf der Benutzeroberfläche ausspielen, wenn das TV-Signal nicht zu sehen ist.

Deshalb zeigt Samsung die eigene Werbung etwa auf dem Startbildschirm oder dem eigenen Streaming-Dienst „Samsung TV Plus“ an. Wer sich der neuen Werbewelt verweigern will, kann versuchen, den Datenverkehr über einen Filter-Proxy laufen zu lassen – oder sollte die Netzverbindung überhaupt nicht erst einrichten. Allerdings muss man dann auf Komfortfunktionen verzichten.

Dieser Artikel stammt aus c't 9/2020. (jo)