Zahlen, Bitte! Mit dem RFC 1 begann eine Erfolgsgeschichte

Das Internet kennt viele Geburtstage. Heute ist einer, denn vor 51 Jahren verschickte Steve Crocker den allerersten "Request for Comment" – mit der Post.

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Zahlen, Bitte! Mit dem RFC 1 begann eine Erfolgsgeschichte
Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Detlef Borchers

Vor 51 Jahren schrieb Crocker in der Nacht in einem Badezimmer den allerersten "Networking Group Request for Comment: 1" auf sieben Schreibmaschinenseiten nieder. Crocker gehörte zu einer Gruppe junger Nachwuchswissenschaftler, die sich für die Forschungsagentur ARPA Gedanken über ein Netzwerk von Computern machte. Der RFC 1 behandelte die Art und Weise, wie diese Computer, Hosts genannt, arbeiten sollten. Er war in einem respektvollen Ton geschrieben, denn Crocker und seine Mit-Studenten verschiedener Universitäten hatten große Angst, den offiziellen Protokollentwicklern des ARPA-Netzes nicht zu nahe zu treten. Steve Crocker, Steve Carr, Jeff Rulfison, Bill Duvall und Gerard DeLoche von der Networking Group wussten nicht, dass sie selbst diese Protokollentwickler waren.

Zahlen, bitte!

In dieser Rubrik stellen wir immer dienstags verblüffende, beeindruckende, informative und witzige Zahlen aus den Bereichen IT, Wissenschaft, Kunst, Wirtschaft, Politik und natürlich der Mathematik vor.

Der RFC 1 entstand im Frühjahr 1969, nachdem sich eine Gruppe von Studenten der Universitäten von Kalifornien, Utah und der Universität Stanford Gedanken darüber gemacht hatten, wie die Host-Software des künftigen ARPA-Netzwerkes arbeiten sollte. Die eigentliche Verbindung zwischen den Rechnern sollte ein Spezialrechner, der Interface Message Processor (IMP) besorgen, der von der Firma Bolt, Beranek & Newman (BBN) gebaut und an die Universitäten ausgeliefert werden sollte. Crocker und seine Mitstreiter sollten sich Gedanken darüber machen, wie der Handshake zwischen zwei Host-Computern aussehen könnte. Sie arbeiteten damit eine Ebene über dem Protokoll der IMPs an der Host-Software. "Wir malten uns alle möglichen neue Anwendungen aus – interaktive Grafik, verteilte Prozesse, automatische Datenbankabfragen, elektronische Post, doch keiner wusste, wo anfangen", erinnerte sich Crocker später. Im RFC 1000 schrieb er seine Erinnerungen auf.

Steve Crocker schrieb und zeichnete RFC 1 in einem Badezimmer bei Freunden, wo er gerade übernachtete. Er ließ bei der Beschreibung der Host-Kommunikation seine Person aus dem Spiel, auch die Gedanken seiner Mitstreiter waren anonymisiert. Der freundliche Ton inspirierte Hunderte von RFCs, die noch folgen sollten. "Ich fühlte mich nicht ausgeschlossen von einem exklusiven harten Kern von Protokollkönigen, sondern einbezogen in eine offene, nette Gruppe von Leuten, die erkannt hatten, dass der Sinn der Vernetzung darin bestand, alle einzubeziehen", erinnerte sich Brian Reid, der von der Carnegie-Mellon-Universität zur Gruppe stieß.

Scan von RFC 1

(Bild: heise online/Detlef Borchers)

Der respektvolle und freundliche Ton ließ die RFCs zu einer Textgattung eigener Art werden, in der Nerds miteinander kommunizierten. Neben zahlreichen Aprilscherzen lässt sich so mit RFC 527 das ARPA-Gedicht lesen oder die Arbeit einer unendlichen Menge von Affen diskutieren. Parodien auf das Internet wie der Einsatz von Brieftauben gehören ebenso dazu wie das heutzutage nachgefragte Allwissenheitsprotokoll der US-Regierung.

Besonders schön sind die RFCs zu den Geburtstagen des Internets. Sie gehen auf RFC 439 zurück, als Vint Cerf im Jahre 1972 zur allerersten Netz-Geburtstagsfeier (seiner Erinnerung nach) am Host der Universität Stanford das Skriptprogramm "Parry" startete, während am Massachusetts Institute of Technology das Programm "Eliza" lief. Parry war als paranoider schizophrener Bot konzipiert, der überall Verschwörungen witterte, während Eliza einen verständnisvollen Psychotherapeuten emulierte. Zum 50. Jahrestag der RFCs gab es einen eigenen Geburtstags-Artikel.

Wer die ersten RFCs studiert, sollte nicht vergessen, dass sie mit der Schreibmaschine geschrieben und von Hand illustriert wurden. Manche waren lediglich handschriftliche Aufzeichnungen, die kopiert wurden, wie etwa RFC 7 und RFC 8 von Gerard DeLoche. Wo heute in RFC 1 das schlichte Wort "Terminal" steht, zeichnete Steve Crocker etwas unbeholfen ein Telefon und einen Drucker mit Endlospapier, der wie eine Zipfelmütze aussah. Dass man vor einem Bildschirm sitzen könnte, hatten Joseph Licklider und Robert Taylor zwar schon 1968 in ihrem Text The Computer as a Communication Device erwähnt und zeichnen lassen, doch so futuristisch sollte ein Arbeitspapier wie das RFC 1 nicht aussehen. (mho)