Zahlen, bitte! Gödel und der US-Verfassungszusatz Nummer 5

Kurt Gödel war ein Mathematiker, der bedeutende Beiträge zur Logik leistete. Außerdem meinte er, eine Lücke in der US-Verfassung gefunden zu haben.

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Zahlen, bitte: Gödel und der US-Verfassungszusatz Nummer 5
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Von
  • Detlef Borchers
Inhaltsverzeichnis

Der 28. April ist der Geburtstag von Kurt Gödel. Er wird wahlweise als Mathematiker, Logiker und als Philosoph beschrieben. Gödel führte den Beweis, dass ein formales System nicht logisch konsistent und zugleich vollständig sein kann: "Jedes hinreichend mächtige, rekursiv aufzählbare formale System ist entweder widersprüchlich oder unvollständig."

Neben diesem ersten Unvollständigkeitssatz – dem ein zweiter folgte ("Jedes hinreichend mächtige konsistente formale System kann die eigene Konsistenz nicht beweisen.") – wollte Gödel eine logische Lücke in der US-Verfassung entdeckt haben, die es gestattet, dass ein Diktator die Macht ergreift.

Kurt Gödel wurde vor 114 Jahren in Brünn (Brno) geboren. Die Stadt gehörte damals zu Österreich-Ungarn, womit Gödel ein k.-k.-Staatsbürger war. Nach dem Ersten Weltkrieg lebte Gödel in Wien und nahm noch als Gymnasiast 1923 die österreichische Staatsbürgerschaft an. An der dortigen Universität studierte er zunächst theoretische Physik, doch widmete er sich unter dem Einfluss seiner Lehrer bald mathematischen Problemen, besonders in der formalen Logik und der Mengenlehre.

1930 promovierte Gödel mit einer Arbeit "Über die Vollständigkeit des Logikkalküls". Seine Arbeit revolutionierte die Mathematik, auch wenn er bei der öffentlichen Präsentation seines Unvollständigkeitssatzes auf der Tagung der Mathematiker 1930 in Königsberg auf vollständiges Unverständnis seiner Kollegen traf.

In den USA wurde seine Zertrümmerung des Hilbertprogramms etwas besser aufgenommen. Gödel wurde an das Institute for Advanced Studies nach Princeton eingeladen und reiste 1933 nach Amerika. Nach Wien zurückgekehrt, verlor er nach dem "Anschluss" Österreichs ans Dritte Reich seine Dozentur. Lehraufträge in Princeton und an der University of Notre Dame hielten ihn über Wasser. Noch einmal nach Europa zurückgekehrt, musste Gödel feststellen, dass seine Forschung nicht mit der Deutschen Mathematik der Nationalsozialisten vereinbar war. Er und seine Frau Adele emigrierten in die USA.

Am Institut in Princeton half ihnen der eingebürgerte österreichische Landsmann Oskar Morgenstern beim Einleben und Einrichten in den Alltag. Noch wichtiger war für Kurt Gödel die Bekanntschaft mit Albert Einstein, mit dem ihn zeitlebens eine tiefe Freundschaft verband. Einstein erklärte einmal, er arbeite nur deshalb am Institut, damit er abends gemeinsam mit Gödel nach Hause spazieren darf.

Zahlen, bitte!

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Morgenstern und Einstein waren bereits US-Staatsbürger und rieten Gödel, seine Einbürgerung zu beantragen. Ganz im Stil seiner wissenschaftlichen Arbeit begann Gödel damit, für die Prüfung bei der Einbürgerung alle Gesetzestexte zu lesen und die Geschichte der USA zu studieren. Dabei stieß er auf eine logische Lücke in der US-Verfassung, über die er sich nach einer Tagebuch-Notiz von Oskar Morgenstern zufolge sehr aufregte.

Am 5. Dezember 1947 fuhr Kurt Gödel mit Oskar Morgenstein und Albert Einstein als Zeugen zur Einbürgerungs-Anhörung in die Bezirksstadt Trenton. Über die Verhandlung vor dem Richter gibt es viele Berichte aus dritter Hand, etwa eine "szenische" Spiegel-Geschichte, in der der Richter "blaffte" und Gödel "aufbrausend" antwortete.

Erst im Jahren 2006 fand man die Erinnerungen von Oskar Morgenstern an diesen denkwürdigen Tag wieder. Der vergnüglich zu lesende Bericht des Augenzeugen Morgenstern schildert den Dialog zwischen dem examinierenden Richter Philip Forman und Kurt Gödel so:

"Nun, Mister Gödel, wo kommen Sie her?"
"Wo ich herkomme? Österreich."
"Was für eine Regierung hatten sie in Österreich?"
"Es war eine Republik, doch die Verfassung war so, dass sie in eine Diktatur verwandelt wurde."
"Oh, das ist schlecht. Das kann in diesem Land nicht passieren."
"Aber ja. Ich kann es beweisen."
"Oh Gott. Lassen wir uns da nicht ins Detail gehen."

Richter Philip Forman war ein Freund von Albert Einstein und folgte vielleicht einem Wink oder einem Augenrollen. Jedenfalls brach er die Befragung zur großen Erleichterung von Morgenstern und Einstein ab. Am 2. April 1948 konnte Kurt Gödel seinen Eid auf die US-Verfassung ablegen, die er für unvollständig hielt.

Wie Gödels Beweis ausgesehen haben mag, ist damit nicht bekannt. Für Juristen und Logiker gibt es eine ausführliche Studie von Enrique Guerra-Pujol, die alle möglichen gödelisierende und nicht-gödelisierenden Möglichkeiten aufführt, wie in den USA eine Diktatur entstehen kann. Darunter befindet sich die bizarre Idee, dass ein Präsident so viele (ihm gesonnene) neue Bundesstaaten in die US aufnimmt, bis er in allen Kammern und Staaten die Mehrheit hat.

Mehrheitlich wird vermutet, dass Gödel den Zusatzartikel 5 der US-Verfassung gemeint haben könnte, mit dem die Verfassung selbst revidiert werden kann. Damit die Verfassung geändert werden kann, müssen jeweils zwei Drittel des Repräsentantenhauses und des Senats sowie drei Viertel der Bundesstaaten zustimmen. Eine solche Generalklausel gibt es in vielen Verfassungen, nur nicht im deutschen Grundgesetz. Nach den Erfahrungen des Nationalsozialismus legten die Väter unserer Verfassung fest, dass jedwede Änderungen der Artikel 1 und 20 des Grundgesetzes ungültig sind.

Eine interessante Erklärung von Gödels Einsicht in den Fehler der US-Verfassung hat der Informatiker Peter Dietz in seinem Buch "Menschengleiche Maschinen" über Gödels Logik formuliert: "In eine einfachere Sprache übersetzt lautet die Konsequenz daraus, dass selbst Mathematiker, die Adepten der formal strengsten Disziplin, die Wahrheit einer Aussage oft eher *sehen*, als dass sie diese mit einem Algorithmus zu beweisen in der Lage sind. Computer aber können nur algorithmisch vorgehen; folglich sind sie dem Menschen prinzipiell unterlegen."

[Update 28.04.2020 14:14]:

Die Ewigkeitsgarantie im deutschen Grundgesetz gilt für Artikel 1 und 20, nicht für Artikel 1 bis 20:

Artikel 1

(1) Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.
(2) Das Deutsche Volk bekennt sich darum zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt.
(3) Die nachfolgenden Grundrechte binden Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung als unmittelbar geltendes Recht.


Artikel 20

1) Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat.
(2) Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt.
(3) Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden.
(4) Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist. (mho)