Auch das noch: Die Lötzinn-Krise

Eine gewisse Panik macht sich breit, seit einige Händler verbleites Lötzinn ausgelistet haben. Ist das Ende des sorglosen Lötens nahe?

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 395 Kommentare lesen
Auch das noch: Die Lötzinn-Krise
Lesezeit: 3 Min.
Von
  • Carsten Meyer

Bei kommerziell angebotenen Geräten ist bleihaltiges Lötzinn seit Jahren verboten – mit wenigen Ausnahmen (z.B. Raumfahrt, medizinische Geräte). Für den Heimgebrauch oder zur Reparatur historischer Geräte ist es bislang aber noch zulässig, solange die verlöteten Baugruppen nicht in den Verkehr gebracht werden. Profis und Maker schätzen an den Blei-Legierungen ihr gutes Schmelz- und Benetzungsverhalten – die Lötstellen sehen nach kurzer Übung einfach gut aus.

Allerdings macht sich bei Heimlötern in den letzten Wochen eine gewisse Panik breit: Verschiedene Händler, darunter so prominente wie Reichelt und Conrad, haben bleihaltiges Lötzinn aus ihrem Programm gestrichen. Besonders hinterhältig: Die Google-Anzeige "Bleihaltiges Lötzinn kaufen bei Reichelt" linkt direkt auf das Bleifrei-Angebot des Distributors. Ähnlich bei Conrad, wo der bewährte Sn60Pb40-Draht nur noch über den im Conrad-Marketplace gelisteten Großhändler RS Components zu bekommen ist.

Gestiegene Preise sind bereits zu verzeichnen: Für eine 1-kg-Rolle des bewährten Stannol HS10 oder Felder ISO-Core mit 1 mm Durchmesser, noch vor einem Jahr für rund 40 Euro zu ergattern, werden bisweilen über 70 Euro aufgerufen, in unlauteren ebay-Angeboten noch mehr. Wer notgedrungen bleihaltiges Lötzinn in China bestellt, erhält oft minderwertige bis gefälschte Ware – so geschehen bei einem Kollegen. Trotzdem gibt es keinen Grund für Hamsterkäufe: Bleihaltiges Lötzinn ist nach wie vor zu bekommen – die Großhändler haben es im Angebot, ebenso kleinere Händler abseits des "Mainstreams".

Handgelötete Bleifrei-Lötstellen sehen oft etwas "angeklebt" und unschön grau aus, weil die Benetzungsfähigkeit der Bleifrei-Legierungen einfach nicht an die Sn60Pb38- oder Sn60Pb40-Legierungen herankommt. Insbesondere für Löt-Anfänger ist das Bleifrei-Löten eine Herausforderung, während sich altgediente Lötprofis erst an das etwas "harte" Lötgefühl und die längeren Lötzeiten gewöhnen müssen.

Der Hobby-Anwender ist wegen der ungünstigen Fließeigenschaften und des höheren Schmelzpunkts von Bleifrei-Loten versucht, mit höherer Spitzentemperatur zu löten, was aber kontraproduktiv ist: Das Bleifrei-Flussmittel verbrennt schneller als das von bleihaltigen Loten und wirkt dann nicht mehr. Von einem Lötprofi, der bei einem Hersteller für Lötanlagen arbeitet, bekamen wir den Tipp, es stattdessen mit geringerer (!) Temperatur von 345 Grad zu versuchen. Tatsächlich erreicht man damit bessere Ergebnisse, natürlich auf Kosten längerer Lötzeiten.

Kommerziell vertriebene Baugruppen und Platinen sind natürlich seit Jahren bleifrei gelötet, die Hersteller haben den Lötprozess an sich inzwischen sehr gut im Griff.

Die Langzeitfolgen erleben wir dagegen immer wieder: Bei mechanisch, thermisch oder elektrisch hochbelasteten Lötstellen (z.B. in Schaltnetzteilen aufgrund von Mikro-Vibrationen und hohen Strömen) kristallisiert die Lötstelle förmlich aus und wird irgendwann versagen.

Bei miniaturisierten Schaltungen kämpft man dagegen mit einer Whisker-Bildung, die vor allem bei hochzuverlässigen Geräten Probleme bereitet. Bei bleifrei gelöteten Schaltungen ist die Lebensdauer – abhängig von den Umweltbedingungen – somit oft schon durch die Lötstellen begrenzt, was bei einem biannualen Neukauf von Smartphones und ähnlicher Konsumelektronik wohl in Kauf genommen wird. (cm)