Wilsons Gesetz

Klimaschutz oder die Rettung von Walen, Gorillas und Tropenbäumen reichen zur Nachhaltigkeit mitnichten, meint der Biologe Edward Wilson. Der Mann hat recht.

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Von
  • Niels Boeing

Ich muss zugeben, dass meine Tierliebe als eingefleischter Stadtmensch nicht allzu ausgeprägt ist. Als ich letzte Woche im Mittelmeerwasser eine ätzende Begegnung mit Quallen hatte, ging mir die typische Städter-Frage durch den Kopf: Warum muss es eigentlich Quallen geben? Derselbe Reflex beim derzeitigen Wespen-Angriff aufs Frühstück: Wespen würden mir auch nicht fehlen. Und Mücken sowieso nicht.

Edward Wilson würde darüber nur den Kopf schütteln. Der Biologe und "Ameisen-Guru" hat kürzlich in einem Interview mit dem New Scientist seine Forderung bekräftigt, wir sollten zusätzlich zum Klimarat IPCC einen internationalen Biodiversitätsrat gründen. Das Problem des Klimawandels hätten wir zwar langsam begriffen, die Gefahr, die ein fortschreitender Verlustes an Biodiversität darstellt, aber noch nicht annähernd.

Während mich an dem gegenwärtigen Gerede über Nachhaltigkeit stört, dass die soziale Dimension unterbelichtet bleibt (Stadtmensch eben), beklagt Wilson, dass zu viele Leute nur an Umweltverschmutzung oder Trinkwasserknappheit dächten. Außerdem würde immer nur über Pflanzen und Säugetiere geredet. Sich in erster Linie um die Rettung von Eisbären, Walen oder Tropenbäumen zu kümmern, ist für Wilson eine Verzerrung: "Die Welt wird von kleinen Geschöpfen gewuppt, von denen die meisten Menschen noch nichts gehört haben; 99 Prozent aller Organismen auf der Erde sind extrem klein." So wie Mücken zum Beispiel. Aber wie viele Leute würden im Ernst für Insekten auf die Straße gehen?

Auch wenn es nur ein nutzwertiges Beispiel ist: Richtig nachvollziehen konnte ich diese Problematik zum ersten Mal beim Bienensterben der vergangenen zwei Jahre. Schließlich hängt von ihnen ein Teil der landwirtschaftlichen Produktion ab. Abstrakt blieb sie trotzdem. Aber der Klimawandel ist letztlich auch ziemlich abstrakt.

Natürlich werden einige sagen: Oh ja, wieder so eine Idee zur Beschaffung von Fördergeldern für Wissenschaftler. Wilson selbst ist allerdings unverdächtig. Mit 80 Jahren und etlichen Meriten ist man über solche Motive erhaben, denke ich. Wilsons Argument ist denn auch ein anderes. Er nennt es "Wilsons Gesetz":

"Wenn Sie die lebendige Umwelt retten, retten Sie automatisch die materielle Umwelt. Wenn Sie versuchen, nur die materielle Umwelt zu retten, werden Sie beide verlieren. Das ist ein vertretbares Gesetz."

Abdul Zakri, Leiter des United Nations University Institute for Advanced Studies in Tokio, hat sich im vergangenen Jahr in Nature für dieselbe Idee stark gemacht. Und abgeschätzt, was ein Biodiversitätsrat pro Berichtszyklus kosten würde: etwa 30 Millionen Dollar. Soviel hat das Millennium Ecosystem Assessment (MA) gekostet, das von 2001 bis 2005 durchgeführt wurde und die Blaupause für die Arbeit eines Biodiversitätsrats ist. Soviel kostet auch ein IPCC-Berichtszyklus.

Ausgehend von den Ergebnissen 2005 könnte man Entwicklungsziele für die Biodiversität formulieren, analog zu den Zielen für Treibhausgasemissionen auf der Basis des Jahres 1990. Biodiversität umfasst dabei nicht nur Artenvielfalt, sondern auch genetische und Ökosystemvielfalt. Angesichts einer weiter steigenden Weltbevölkerung, die durch mehr landwirtschaftliche Produkte ernährt werden muss, ohne dass diese Steigerung mit einem Raubbau einhergeht, halte ich eine Art globales Ökosystem-Management für unausweichlich. Schließlich schaffen wir es auch, globale Standards für die Informationstechnik zu vereinbaren, die das neue digitale Ökosystem fördern.

Die gegenwärtige Lage ist zumindest zum Teil günstig. Die Ideologen der freien Marktkräfte, die solche überstaatlichen Ansätze schon per se für verwerflich halten, haben derzeit kein Oberwasser. Das einzige ernsthafte Hindernis ist das Gefangenendilemma der Nationalstaaten, die auch beim kommenden Klimaschutzpoker in Kopenhagen wieder die für alle Beteiligten zweitbeste Lösung erreichen werden. Am Geld wird es prinzipiell nicht liegen: Wenn Banken Milliarden bekommen, wird sich die internationale Staatengemeinschaft wohl noch 30 Millionen Dollar über fünf Jahre für das nächste MA leisten können.

Gemeinsam mit Simon Stuart, Leiter der Kommission für das Überleben der Arten bei der Weltnaturschutzunion IUCN, schreibt Edward Wilson derzeit einen Entwurf für einen Weltbiodiversitätsrat. Ich hoffe, dass die beiden damit Gehör finden. Und will nie wieder abfällig über Quallen, Wespen und Mücken denken. (wst)