Robotik-Konferenz ICRA: Laufen lernen mit einem Exoskelett

Exoskelette sind hinsichtlich der Hardware schon weit fortgeschritten. Der größere Entwicklungsbedarf liegt bei der Software, wie Beiträge zur ICRA zeigen.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 48 Kommentare lesen
ICRA: Laufen lernen mit Roboterhilfe

(Bild: WANDERCRAFT)

Lesezeit: 5 Min.
Von
  • Hans-Arthur Marsiske
Inhaltsverzeichnis

Als vor sechs Jahren erstmals ein Querschnittsgelähmter mithilfe eines Exoskeletts den Anstoß bei der Fußball-WM ausführen sollte, wurde aus dem ursprünglich geplanten spektakulären Auftritt zwar nur eine wenige Sekunden dauernde Episode am Spielfeldrand. Die aber immerhin demonstrierte den Fernsehzuschauern in aller Welt das Potenzial der Technologie, die nicht nur Gelähmten neue Beweglichkeit verspricht, sondern auch gesunde Nutzer bei körperlich fordernden Tätigkeiten unterstützen könnte. Dennoch haben Exoskelette bis heute noch keine große Verbreitung gefunden. Denn damit sie die Intentionen des Nutzers erkennen und den von ihm beabsichtigten Bewegungen folgen, statt ihn womöglich zu schädigen, müssen zuverlässige und effiziente Kontrollverfahren entwickelt werden. Daran wird intensiv geforscht, wie allein die Zahl entsprechender Studien bei der diesjährigen International Conference on Robotics and Automation (ICRA) erkennen lässt.

So berichtet Alexis Duburcq vom französischen Hersteller Wandercraft, dass die Bewegungsplanung (trajectory planning) bislang offline erfolge. Das führe bei klinischen Rehabilitationsmaßnahmen zu Wartezeiten und mache das System abhängig von externen Rechenkapazitäten. Nicht nur für jeden Patienten, sondern auch für jede Gangart müssten Modellierung und Optimierung erneut durchgeführt werden, was jeweils etwa fünf Minuten dauere. Um dem abzuhelfen, wollen die Forscher das Exoskelett zunächst eine allgemein gültige Näherungsfunktion für alle Wege offline lernen lassen, die dann als komprimiertes, schnell abzurufendes Bewegungsgedächtnis Online-Planung ermöglicht und auf jedes Robotersystem übertragbar ist.

Bei der Optimierung des Laufverhaltens gehe es darum, das beste Verhältnis von Energieaufwand und Machbarkeit der Bewegung zu finden, so Duburcq. Auf Grundlage dieser Lösung würden dann mithilfe eines neuronalen Netzes Bewegungsabläufe zur Erfüllung einer Aufgabe gelernt, die der optimalen Lösung möglichst nahe kommen. Die gleichzeitige Optimierung aller möglichen Trajektorien sei allerdings nicht vollständig, sondern nur näherungsweise lösbar. Aufbauend auf dem Verfahren ADMM (Alternating Direction Method of Multipliers) haben die Forscher dafür den Algorithmus GTL (Guided Trajectory Learning) entwickelt und auf dem von Wandercraft entwickelten Exoskelett Atalante getestet. Die Methode habe sich beim Laufen mit verschiedenen Schrittlängen und -dauern als stabil erwiesen, müsse aber noch verfeinert werden, um in Echtzeit angewendet werden zu können.

Forscher des California Institute of Technology (Caltech) geben zu bedenken, dass die Optimierung quantitativer Größen wie der Schrittlänge allein nicht ausreiche. Es müssten auch qualitative Aspekte wie die Nutzerzufriedenheit berücksichtigt werden, sagen Maegan Tucker und Ellen Novoseller. Das bei Experimenten erhobene Feedback der Nutzer, bei dem sie den jeweils bevorzugten von zwei Läufen nennen und zusätzliche Anregungen geben können, fließe in den von den Kaliforniern entwickelten Algorithmus CoSpar ein. Der bewährte sich bei Experimenten mit dem Exoskelett Atalante, wobei auf vorprogrammierte Gangarten in einer gait library zurückgegriffen wurde. Drei Parameter (Schrittlänge, -weite, -dauer) wurden bei den Experimenten angepasst, andere wie etwa Hüftbewegungen oder maximale Fußhöhe wurden zunächst nicht beachtet, sollen aber zukünftig mit der Weiterentwicklung LineCoSpar optimiert werden.

Bei den Experimenten, an denen zunächst nur gesunde Versuchspersonen teilnahmen, konnten die Forscher Zusammenhänge zwischen den von Nutzern bevorzugten Gangarten und objektiven Kriterien für dynamische Stabilität beobachten. Zukünftig sollen Experimente auch mit Querschnittsgelähmten durchgeführt werden, um deren Präferenzen zu ermitteln. Hierfür soll auch das qualitative Feedback erweitert werden.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

Mit Ihrer Zustimmmung wird hier ein externes YouTube-Video (Google Ireland Limited) geladen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen (Google Ireland Limited) übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.

Das Laufen auf ebenem Boden ist schon schwierig genug. Wenn dann noch Treppen ins Spiel kommen, stoßen viele Gehhilfen an ihre Grenzen. Jantzen Lee (Vanderbilt University) stellt auf der ICRA eine Knieprothese vor, die helfen soll, auch dieses Hindernis zu überwinden. Die meisten Knieprothesen arbeiten ohne Antrieb, weil beim Laufen auf einer Ebene der Unterschenkel in der Schwungphase von selbst wieder in die richtige Position für den nächsten Schritt kommt und zusätzlich durch Hüftbewegungen gesteuert werden kann. In der Stemmphase können Mikroprozessoren dafür sorgen, dass sich das Gelenk versteift, was beim Herunterlaufen auf Treppen hilft. Um aufwärts zu laufen, sei dagegen ein aktiver Antrieb erforderlich, so Lee. Solche Prothesen seien jedoch teuer, schwer, groß und laut, was die Möglichkeiten der Steuerung durch Hüftbewegungen, auch als „ballistisches Laufen“ bekannt, einschränken oder ganz unmöglich machen könne. Die Nutzer müssten sich dann ans Knie anpassen statt umgekehrt. Das von ihm mit entwickelte Stance Controlled Swing Assisted (SCSA) Knee stellt gewissermaßen einen Kompromiss dar: Indem es dem Nutzer erlaubt, das Knie zu beugen, unterstützt es die Schwungphase, ohne die Fähigkeit zum ballistischen Laufen einzuschränken.

Getestet wurde die Prothese bisher nur an einer Person, zeigte da aber deutliche Vorteile gegenüber einer herkömmlichen Prothese. Weil der Unterschenkel weit genug nach hinten gebeugt werden kann, um das Bein ohne Hüftverrenkungen über die nächste Stufe zu heben, war es möglich, Treppen hinauf zu steigen, ohne immer erst beide Füße auf eine Stufe stellen zu müssen. Zukünftige Tests sollen den Unterschied zu voll angetriebenen Prothesen genauer bestimmen. Außerdem ist geplant, mit Sensoren am Treppengeländer zu messen, welche Rolle die Hände beim Treppensteigen spielen.

(bme)