Biometrie: Das Gesicht lässt sich nicht abschalten

Entwickler arbeiten daran, Personen in Echtzeit im öffentlichen Raum zu identifizieren. Die erfassenden Kameras sind dabei oftmals nicht mal zu erkennen.

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Biometrie: Das Gesicht lässt sich nicht abschalten
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Was Sie mit Ihrem Smartphone machen, wohin Sie mit ihm gehen, wonach Sie im Internet suchen und mit wem Sie kommunizieren: Sie müssen immer davon ausgehen, dass Dritte Ihre Online-­Aktivitäten auswerten könnten. Aber als c’t-­Leser ­wissen Sie das und haben gelernt, möglichst wenig Datenspuren zu hinterlassen.

Früher oder später wird man Sie allerdings verfolgen können, ohne dafür diese Spuren auswerten zu müssen. Der Schlüssel dafür ist Ihr Gesicht. Längst arbeiten Entwickler daran, Personen in Echtzeit im öffentlichen Raum wiederzuerkennen. Können maschinelle Gesichtserkenner erst einmal zuverlässig Menschen in freier Wildbahn aus­machen, wären Sie identifizierbar, wo immer eine Kamera Sie erfasst. Besonders perfide: Sie sehen oft nicht einmal die Kameras, die Sie im Bild haben.

Dass einige Unternehmen auf dem Feld der ­Gesichtserkennung mit wenig Skrupel agieren, ­zeigte die Firma Clearview AI. Sie hat sich ohne nachzufragen drei Milliarden bei Facebook und anderen sozialen Medien veröffentlichte Fotos heruntergeladen, um ihre Personensuchmaschine zu trainieren. Wer nicht freiwillig zum Daten­spender werden will, darf seine Bilder daher nur privat teilen oder muss sie für Gesichtserkenner unbrauchbar machen. Das ist auch deshalb wichtig, weil man diese Fotos für Identitätsdiebstahl missbrauchen kann.

Noch arbeiten die Gesichtserkenner nicht sonderlich zuverlässig. Systeme, die bei der Fahndung nach Verbrechern zum Einsatz kommen, produzieren viel zu viele falsche Treffer, wobei sie Menschen mit dunkler Hautfarbe überproportional oft mit Gesuchten verwechseln. IBM, Amazon und Microsoft haben daher unter dem ­Eindruck der Massenproteste gegen Rassismus und ­Polizeigewalt die Konsequenzen gezogen: Microsoft und Amazon bieten ihre Software den US-­Polizeibehörden nicht mehr an. IBM zieht sich sogar vollständig aus dem Geschäft mit Gesichtserkennung zurück. Doch das verschafft uns allenfalls ein wenig Zeit, in der wir noch nicht unter Massenbeobachtung stehen. Wir sollten sie nutzen, um zu diskutieren, ob eine solche Technik überhaupt zu einer freiheitlichen ­Gesellschaft passt.

Jo Bager


Dieser Artikel stammt aus c't 14/2020. (jo)