Maschinentext beim Ingeborg-Bachmann-Preis

Der Literaturwettbewerb aus Klagenfurt beging in diesem Jahr gleich zwei Premieren: erstmalige Übertragung per Livestream und ein Maschinen-Beitrag. Wo wird das noch hinführen?

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Wer erinnert sich nicht daran? Es war 1983. In seiner stakkatohaften, ja explosiven, super-hibbeligen Art liest der Autor Rainald Goetz seinen Text beim Ingeborg-Bachmann-Preis vor. "Ich schneide ein Loch in meinen Kopf. In meine Stirn schneide ich das Loch. Mit meinem Blut soll mir das Hirn auslaufen", liest er – und tut es gleichfalls. Er greift zur Rasierklinge, hebt sein buschiges Haar hoch und ritzt. In einem feinen Rinnsal fließt das Blut über Goetz‘ Stirn. Ein Skandal damals – und vom Schriftsteller der Versuch, den gelesenen Text ins Jetzt, ins Leibhaftigkeite zu übertragen.

Derlei Körpereinsatz brauchte es bei der diesjährigen Ausgabe des traditionsreichen Literaturwettbewerbs aus Klagenfurt nicht. Körper waren in diesem Jahr – natürlich Corona-bedingt – auch eigentlich nur virtuell zugegen. Die sieben Jurymitglieder, die das Vortragen und die Texte bewerten, waren per Livestream zugeschaltet. Die vorlesenden Autoren und Autorinnen waren in aufgezeichneten Videos präsent.

Mit dem Beitrag von Jörg Piringer hielt erstmals auch künstliche Intelligenz Einzug in den Wettbewerb und somit auch in den Literaturbetrieb. Der Wiener Piringer las gleich am ersten Wettbewerbstag aus seinem Text "kuzushi", ein Text über einen Softwareentwickler zu Zeiten, als das Internet für die Massen aufkam, als die Mauer fiel. Das lyrische Ich beschreibt zudem ein ein Softwareprogramm, das es selbst entwickelt hat und das selbst Texte verfassen kann. Fragen nach dem Kreativitätspotenzial werden thematisiert und auch die Black-Box-Problematik. Die zweite Textebene beschäftigt sich mit Judo, woraus auch der Titel der Geschichte entlehnt ist.

Bei der Jury erhielt der Text ein geteiltes Echo. Manche mochten den Ton des Erzählers nicht, andere fanden das "maschinenhafte" gerade angebracht. Auf Nachfrage des Jurymitglieds Michael Wiederstein kam dann heraus, dass der Autor eine Stelle des Textes von einer künstlichen Intelligenz hatte verfassen lassen. Das Programm dafür habe er selbst geschrieben. Passen würde das. Piringer ist Informatik-Absolvent und setzt sich mit der Schnittstelle zwischen Sprache, bildender Kunst und Technologie auseinander. So umfasst sein bisheriges Schaffen etwa ein Buch namens "Datenpoesie", Soundpoetry und diverse Videos und Performances.

Genaueres über das entwickelte Programm ist nicht bekannt, doch wurde der Wettbewerb allein mit der Behauptung um eine spannende Dimension erweitert. Wo wird das noch hinführen? Ein Wettbewerb für die fähigste KI, den besten Fiktionstext zu erstellen, etwa? Interessant wäre es dann natürlich auch, wenn die KI ihr Werk nicht nur selbst vorlesen, sondern auch für ihren Text argumentieren könnte. Der IBM Project Debater beispielsweise hat sein Können auf dem Gebiet des Debattierens bereits in der Cambridge Society, einem traditionsreichen studentischen Debattierclub, vorgeführt. Die KI stritt zum Thema "KI bringt mehr Schaden als Nutzen" und trat dabei gegen sich selbst an, indem sie beide Seiten vertrat. Statt der 38.000 Statements zu dem Thema, mit denen die schlaue Software trainiert wurden, könnte man die KI im Fall des Literaturwettbewerbs etwa auf literaturwissenschaftliche Argumente und Theorien trainieren. Ob die Jury dann noch aus menschlichen Vertretern oder ebenfalls aus der Maschinen-Fraktion stammt, ließe sich in einem weiteren Schritt überlegen.

TR-Autor Hans Dorsch schlägt außerdem vor, über einen – wie auch immer – erstellten Text noch eine zweite KI, wie etwa die App Textio, laufen zu lassen. So hätte, Dorsch zufolge, der für TR drei Anwendungen testete, die versprechen, die Textqualität zu verbessern, Textio "auf jeden Fall noch ein paar wolkige Adjektive eingestreut". Traditionellen Literaturwettbewerben könnten solche Entwicklungen sicher neuen Schwung bringen.

(jle)