Zahlen, bitte! 18.000 Mannjahre Arbeit für eine Pyramide

In Ägypten gibt es jede Menge Pyramiden, aber auch viele Fragen. Etwa die danach, wie viele Arbeiter wie lange mit deren Errichtung beschäftigt waren.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 248 Kommentare lesen
Zahlen, bitte! 18.000 Mannjahre Arbeit für eine Pyramide
Lesezeit: 5 Min.
Von
  • Detlef Borchers
Inhaltsverzeichnis

"Wer baute das siebentorige Theben? In den Büchern stehen die Namen von Königen. Haben die Könige die Felsbrocken herbeigeschleppt?" Die Fragen eines lesenden Arbeiters, die Bertolt Brecht in seinem schönen Gedicht sammelte, sollen heute erweitert werden. Wie viele Menschen bauten eigentlich eine Pyramide im alten Ägypten? Ein neuer Ansatz versucht, mit einer Bierdeckel-Rechnung eine Antwort zu finden.

Zahlen, bitte!

In dieser Rubrik stellen wir immer dienstags verblüffende, beeindruckende, informative und witzige Zahlen aus den Bereichen IT, Wissenschaft, Kunst, Wirtschaft, Politik und natürlich der Mathematik vor.

Im Jahre 2900 vor Christus begannen die Menschen unter Pharao Snofru in Ägypten damit, Pyramiden für ihre Herrscher zu errichten. Berühmt wurden die drei Pyramiden von Giza (Gizeh), über die sich schon die Griechen, Römer und Araber den Kopf zerbrachen, nicht ohne sie umstandslos als Steinbrüche für eigene Bauvorhaben zu benutzen. Bei der vor 4600 Jahren errichteten Cheops-Pyramide wurden 2,6 Millionen Kubikmeter Stein bis zu einer Höhe von 146,6 Metern aufgeschichtet, gemessen mit dem verschwundenen Pyramidion auf der Spitze. An seiner Stelle hämmerte die preußische Pyramiden-Expedition unter Richard Lepsius 1842 altägyptische Hieroglyphen in den Stein, die den Geburtstag des Preußenkönigs Friedrich Wilhelm IV feierten.

Lepsius und seine Mannen machten sich keine Gedanken darüber, wer die Pyramide errichtete. Damals dachte man, dass jeder Pharao zu Beginn der Herrschaft eine Standard-Pyramide errichten ließ, um für alle Fälle ein Grab zu haben. Jahr für Jahr wäre dann ein neuer Mantel über den alten Kern gebaut worden, woraus man die Regierungszeit von Cheops mit 25 Jahren berechnete. Lepsius und andere Forscher verließen sich ansonsten auf die Zahlen, die der Geschichtsschreiber Herodot (5. Jahrhundert v. Chr.) nach Gesprächen vor Ort aufgeschrieben hatte, als er Ägypten zur Zeit der ersten Perserherrschaft besuchte.

Danach arbeiteten jeweils 100.000 Arbeiter in dreimonatigen Schichten über 20 Jahre lang am Bau der Pyramide. Herodot empörte sich als freier Grieche über die Sklavenarbeit und fantasierte, dass Pharao Cheops (Chufu) seine Tochter ins Bordell schickte, damit sie Geld für den Bau der Pyramide einbrachte. Das Problem: Als Herodot sich die Pyramiden anschaute, waren diese auch schon 2000 Jahre alt.

Etwas genauer waren die Angaben von Diodor, der die Pyramiden um 60 v. Chr. besuchte. Das liegt daran, dass er aus Werken zitieren konnte, die in der Bibliothek von Alexandria lagerten. Diodor kommt auf eine Gesamtzahl von 360.000 Arbeitern, die in 20 Jahren die Pyramide bauten.

Es dauerte aber noch eine ganze Weile, bis die Frage nach der Zahl der Arbeiter wissenschaftlich gestellt wurde. Das Publikum war mehr an spannenden Geschichten über Ausgrabungen interessiert. In den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts beschäftigte sich der deutsch-britische Physiker Kurt Mendelssohn mit dem Pyramidenbau. 1974 erschien sein Buch über "Das Rätsel der Pyramiden". Für die Cheops-Pyramide kam Mendelssohn auf eine Bauzeit von 20 Jahren, bei der 10.000 Menschen dauerhaft am Grabmal arbeiteten und in der eigentlichen (kühlen) Bau-Jahreszeit von 70.000 Saisonarbeitern unterstützt wurden.

Mendelssohns Buch und seine Berechnungen wurden von Ägyptologen abgelehnt, weil er einige Pyramiden als fehlkonstruktiert charakterisierte, obwohl Einstürze sehr lange nach dem Bau erfolgten. Immerhin konnte er zeigen, wie man von der Cheops- über die Chephren- bis zur Mykerinos-Pyramide die Technik verbesserte.

Die neueste Berechnung kommt vom tschechisch-kanadischen Umweltwissenschaftler Vaclav Smil. Er veröffentlichte im IEEE Spektrum eine Berechnung der Energie, die nötig ist, um 2,6 Millionen Kubikmeter Stein aufeinander zu schichten und kam auf 2,4 Billionen Joule. Diese Zahl teilte er durch 450 Kilojoule, die ein ausgewachsener Arbeiter am Tag zur Arbeit einsetzen kann. Unter der Annahme, dass man im alten Ägypten 300 Tage im Jahr arbeitete, kam Smil auf 18.000 Mannjahre. Diese umgerechnet auf die Bauzeit von 20 Jahren ergeben, dass 900 Arbeiter die Pyramide von Cheops erbauten. Selbst mit allem Drumherum kommt er auf lediglich 7000 Arbeiter, keine untragbar große Menge angesichts einer Gesamtbevölkerung von rund anderthalb Millionen Ägyptern.

Im Internet gibt es zahlreiche Web-Angebote, die sich mit den Pyramiden und der Pyramidologie befassen. Wer detailliertere Informationen über die Rampen, Schlitten und Seile sucht, mit denen die Steinklötze zu Pyramiden gestapelt wurden, wird bei Pyramidengeheimnisse fündig. Zur Lage und kosmologischen Ausrichtung der drei hintereinander gebauten Pyramiden von Gizeh liefert die Pyramidenforschung von Hans Jelitto interessante Details. Schon der französische Astronom Abbé Moreux schrieb in seinem Werk über die Pyramiden, dass sie alle Erkenntnisse der modernen Wissenschaft erhalten. In diesem Sinne gibt es noch viele Zahlen zu entdecken.

(jk)