Ein Monat Corona-Warn-App: Bisher bleibt der Effekt aus

Die Corona-Warn-App ist gut und funktioniert, wie sie soll. Nur das Drumherum wirft Fragen auf.

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Ein Monat Corona-Warn-App: Bisher bleibt der Effekt aus

So sieht es aus, wenn die Corona-Warn-App einen Nutzer vor einem potenziell risikobehafteten Kontakt warnt.

(Bild: Yakup K.)

Lesezeit: 8 Min.
Von
  • Fabian A. Scherschel
Inhaltsverzeichnis

Vor etwas über einem Monat hat die Bundesregierung die Corona-Warn-App vorgestellt, die hierzulande den Ausbruch des Virus SARS-CoV-2 eindämmen soll. Die App wurde seitdem auf knapp 16 Millionen Geräten installiert.

Ob die App so funktioniert, wie sie soll, ist nach wie vor unklar. Hinweise auf einen nennenswerten Einfluss der App auf den Verlauf der SARS-CoV-2-Epidemie in Deutschland gibt es jedenfalls nicht. Trotzdem zeigen sich Politiker und das für die App zuständige Robert-Koch-Institut (RKI) des Bundes zufrieden.

Das RKI feiert einen "erfolgreichen Start, der für ein großes Interesse und Akzeptanz in der Bevölkerung" spreche. Und auch die Entwickler der App zeigten sich gegenüber der Tagesschau zufrieden: "Wir waren der erfolgreichste Launch im deutschen App-Store, den es jemals gegeben hat." Trotz dieses ersten Triumphs ist die Verbreitung der App noch lange nicht da, wo sie sein müsste, um handfeste Erfolge bei der Pandemiebekämpfung zu zeigen.

Woran liegt das? Erstens weiß das RKI nicht, auf wie vielen der 16 Millionen Geräte, welche die App heruntergeladen haben, sie noch installiert oder gar aktiv im Einsatz ist. Und zweitens müssen selbst laut konservativeren Schätzungen von Epidemiologie-Experten mindestens 42 Millionen Menschen in Deutschland die App andauernd im Einsatz haben, damit sie effektiv Wirkung zeigen kann. Davon sind wir momentan weit entfernt.

Die von SAP und der Telekom in einem beispiellosen Open-Source-Projekt entwickelte Corona-Warn-App selbst scheint bisher ziemlich gut zu funktionieren. Auch wenn einige Nutzer durch diverse Fehlermeldungen verunsichert werden, scheint die App (beziehungsweise die Contact-Tracing-Schnittstelle von Apple und Google im Betriebssystem selbst) trotzdem in den meisten Fällen im Hintergrund brav ihre Dienste zu verrichten.

Fehler, die das Contact Tracing per Bluetooth komplett zum Erliegen bringen, finden sich vor allem unter iOS. Aktuell scheinen zum Beispiel manche Nutzer, die ihr Gerät auf die neueste Version 13.6 des Betriebssystems aktualisiert haben, die Contact-Tracing-Schnittstelle (und damit auch die Corona-Warn-App) gar nicht mehr nutzen zu können.

Wie viele Nutzer im ersten Monat vor potenziell infektiösen Kontakten gewarnt wurden, lässt sich aufgrund der dezentralen Natur des Protokolls nicht sagen. Gesichert ist, dass die Anzeige solcher Warnungen funktioniert und dass bisher mindestens 513 TeleTANs von der zuständigen Hotline vergeben wurden. Was bedeutet, dass mindestens 513 Personen gegenüber der App eine positive Infektion hätten melden können. Wie viele das genau getan haben, ist nicht bekannt, da es sich dabei um eine freiwillige Entscheidung jedes einzelnen Nutzers handelt. Beobachter der Diagnose-Schlüssel auf den Servern der App und der Daten des RKI gehen davon aus, dass zwischen 4 und 6 Prozent der als positiv getesteten Personen dies anschließend der App mitgeteilt haben.

Kritik gibt es momentan weniger an der App selbst als an der Infrastruktur drumherum. Linus Neumann vom Chaos Computer Club kritisiert hier vor allem, dass nicht genug Testlabore und Gesundheitsämter in Deutschland digital in den Melde-Prozess eingebunden sind. Viele positiv Getesteten würden nach wie vor auf dem Postweg informiert und müssten sich dann langwierig per Telefon eine TAN für die App besorgen. Das müsse digital in der App erfolgen, schließlich sei eine Beschleunigung dieses Prozesses eine wichtige Funktion der Corona-Warn-App. Die App sei momentan "zu modern für Deutschland", so das Fazit des CCC-Sprechers. Das sei nach einem Monat "katastrophal" und man müsse hier schnellstens nachbessern, sagt Neumann.

Das von Neumann umrissene Problem stellt sich wie folgt dar: Wenn es durch den postalischen Meldeprozess ein oder zwei Tage dauert, bis ein App-Nutzer informiert wird, dass er infiziert ist, begibt sich dieser nicht nur später in Quarantäne, sondern die App-Nutzer, die mit ihm Kontakt hatten, werden auch um diese ein oder zwei Tage verzögert gewarnt. In dieser Zeit könnten sie dann wiederum Kontakt mit anderen Menschen haben und diese eventuell anstecken. Die App soll ja gerade auch solche Zeiten, in denen Menschen, die sich für gesund halten, andere eventuell anstecken, verringern. Aber da nützt die ganze digitale Agilität nichts, wenn trotzdem für den Prozess unbedingt nötige Informationen auf dem langsamen Postweg befördert werden.

Der technische Unterbau der Corona-Warn-App führt zu weiteren Unwägbarkeiten. Hierbei geht es nicht um den von SAP und der Telekom entwickelten Code oder die Feinjustierung, mit der das RKI die Infektiosität eines App-Nutzers festlegt, sondern um die Contact-Tracing-Schnittstelle von Apple und Google selbst. Diese im jeweiligen Smartphone-Betriebssystem verankerte Softwarekomponente kümmert sich um die Abstandsmessung per Bluetooth und verteilt die Schlüssel, welche die Smartphones gegenseitig aufzeichnen. Das Austauschen der Schlüssel scheint dabei problemlos zu funktionieren, allerdings wirft die Abstandsmessung mittels Bluetooth Low Energy (BLE) nach wie vor Fragen auf.

Obwohl Vertreter von Forschungseinrichtungen, welche den Staat bei der Entwicklung und beim Testen der Corona-Warn-App unterstützen (etwa beim Fraunhofer-Institut für Integrierte Schaltungen IIS) von bis zu 80-prozentiger Genauigkeit der Bluetooth-Messungen ausgehen, sprechen stichprobenartige Versuche von unabhängigen Forschern im In- und Ausland zum Teil eine deutlich andere Sprache.

Das mag unter anderem daran liegen, dass Institute wie das Fraunhofer IIS unter Laborbedingungen gemessen haben. Beim Test im eigenen Zuhause zeigt sich dann mitunter, dass je nach Position beider Smartphones, die Contact-Tracing-Keys austauschen, Entfernungen manchmal mehr als zehnmal größer erscheinen, als sie eigentlich sind – je nachdem, welche Materialien oder Körper sich zwischen den beiden Smartphones befinden und wie diese die Funkwellen schlucken. Reflektionen hingegen können, vor allem im Freien, anscheinend dazu führen, dass Geräte, die eigentlich außerhalb der Empfangsreichweite sein sollten, plötzlich sehr nah erscheinen.

Diese Faktoren spielen vor allem eine Rolle, wenn nur wenige Daten erhoben werden. Einige wissenschaftliche Publikationen zu diesem Thema empfehlen deshalb, sehr viele Messungen durchzuführen und belastbare Mittelwerte zu erheben. Dazu müsste allerdings die API von Apple und Google angepasst werden, um viel häufiger zu funken, als das aktuell der Fall ist. Was dann auch mehr Strom verbrauchen würde.

Weder Apple noch Google haben bisher technische Anfragen zu ihrer Contact-Tracing-Schnittstelle im Detail beantwortet. Allerdings arbeitet man wohl an Verbesserungen der API für kommende Android- und iOS-Versionen. Wer weiß, vielleicht schrauben die Entwickler ja dabei auch an der Bluetooth-Entfernungsmessung.

Für die Open-Source-Entwickler der deutschen Corona-Warn-App ist die Frage, ob die BLE-Entfernungsmessung überhaupt belastbare Daten liefern kann, jedenfalls "out of scope" – das heißt, etwaige Probleme der Betriebssystem-Schnittstelle werden nicht als Teil ihres Entwicklungsauftrages betrachtet. Solche Bug-Reports werden dementsprechend auch recht schnell geschlossen.

Schaut man sich die Daten des Robert-Koch-Institutes zu den aktuellen Infektionszahlen in Deutschland an, dann hat die App augenscheinlich bisher keinen Effekt gehabt. Trotz des proklamierten Erfolgs vonseiten des RKI, der Entwickler und von Gesundheitsminister Spahn müssen also noch viel mehr potenzieller Nutzer dafür gewonnen werden, die App zu installieren und auch wirklich aktiv zu nutzen.

Und auch die vom Chaos Computer Club angemahnten Schwachstellen in der Infrastruktur bei Laboren und Gesundheitsämtern sollten schnellstens behoben werden. Die beste App nützt halt wenig, wenn es drumherum überall Fragezeichen gibt. Vielleicht haben wir im Moment in Deutschland aber auch einfach zu wenige SARS-CoV-2-Fälle, als dass die App überhaupt einen merklichen Einfluss entwickeln könnte. Aber das ist ja dann eher etwas Gutes – sollte aber, genausowenig wie eine grün leuchtende Corona-Warn-App, dazu führen, dass wir das Infektionsrisiko auf die leichte Schulter nehmen.

(fab)