Fritsche & zu Guttenberg: Enge Kontakte zwischen Kanzleramt und Wirecard

Die Bundesregierung hat detailliert aufgelistet, wann welche Lobbyisten für Wirecard beim Kanzleramt anklopften und wie sich Merkel für die Firma einsetzte.

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Fritsche & zu Guttenberg: Enge Kontakte zwischen Kanzleramt und Wirecard

(Bild: Wirecard)

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Unter hohem öffentlichen Druck hat die Bundesregierung eine Erklärung zu Gesprächen zwischen Fürsprechern von Wirecard und dem Bundeskanzleramt in den vergangenen zwei Jahren herausgegeben. Die Kontakte zwischen der Regierungszentrale und dem aufgrund einer Bilanzaffäre in Misskredit geratenen Finanzunternehmen waren demnach deutlich enger und von vertraulichen persönlichen Kontakten geprägt als bisher öffentlich bekannt geworden war.

Am 13. August 2019 wandte sich demnach Klaus-Dieter Fritsche, der frühere Beauftragte für die Geheimdienste des Bundes, an das Kanzleramt. Bei seiner einstigen Dienststelle bat der CSU-Mann um einen Gesprächstermin für Wirecard beim Leiter der Wirtschafts- und Finanzabteilung, Lars-Hendrik Röller, am 11. September 2019.

Die Unterredung mit Fritsche, dem Wirecard-Finanzvorstand Alexander von Knoop und dem strategischen Vorstandsberater Burkhard Ley, Strategischer fand an diesem Datum auch statt und diente laut Regierungsangaben "in erster Linie dem gegenseitigen Kennenlernen". Zudem habe der Zahlungsdienstleister "in allgemeiner Form" über seine Geschäftsaktivitäten in Fernost berichtet.

Fritsche erklärte gegenüber dem Spiegel, für seine Vermittlung ein für externe Berater übliches Salär von dem damaligen Dax-Konzern erhalten zu haben. Von Geldwäschevorwürfen gegen Wirecard sei so gut wie nicht die Rede gewesen. Der 67-Jährige, der nach seinem Ausscheiden aus dem Regierungsdienst etwa auch den Ex-Innenminister Österreichs, Herbert Kickl von der rechtskonservativen FPÖ, beriet und im NSA-Untersuchungsausschuss keine gute Figur gemacht hatte, habe keinerlei Grund gehabt, an der Seriosität der Starfirma am Himmel der "digitalen Zukunft" zu zweifeln.

Um sich abzusichern, hatte die Arbeitsebene des Kanzleramts vor der Zusage der Gesprächsrunde telefonisch das Bundesfinanzministerium kontaktiert und um Informationen über Wirecard gebeten. Dieses übermittelte in Folge per E-Mail am 23. August vor allem bereits öffentliche Antworten der Bundesregierung auf Anfragen der Oppositionsfraktionen die Linke, der Grünen und der FDP etwa auch zum Verdacht auf Marktmanipulation oder zum sogenannten Leerverkaufsverbot. Dazu kamen Links zu einschlägigen Publikationen der Finanzaufsicht BaFin und zu aktuellen Presseberichten.

Schon am 19. November 2018 hatte Digitalstaatsministerin Dorothee Bär (CSU) an einer Betriebsbesichtigung der Wirecard AG in Aschheim in Gegenwart des damaligen Vorstandschefs Markus Braun, Ley und Vizepräsident Jörn Leogrande teilgenommen. Kurz darauf wollte das Büro von Braun über Bär einen Termin mit Kanzlerin Angela Merkel direkt sowie dem Chef des Bundeskanzleramts, Helge Braun (beide CDU), einfädeln. Diesem Wunsch kam die Regierungsspitze nicht nach. Eine Alternative für ein Gespräch mit Röller schlug der Firmenführer im Januar 2019 aus.

Auch zu den bereits publik gewordenen Gesprächen zwischen Merkel und Ex-Bundeswirtschaftsminister Karl-Theodor zu Guttenberg, der ebenfalls als Berater für Wirecard beim Kanzleramt ein gutes Wort einlegte, nennt die Regierung Details. Die Kanzlerin sprach demnach am 3. September 2019 im Vorfeld einer zwei Tage später angetretenen Reise nach China mit ihrem einstigen Kabinettskollegen. Zu Guttenberg unterrichtete im Anschluss umgehend Röller per E-Mail über das Konto seiner Firma Spitzberg Partners über den beabsichtigten chinesischen Markteintritt von Wirecard.

Das Schreiben enthielt einen Kurzsachstand über die geplante Übernahme des chinesischen Unternehmens AllScore Financial mit Hauptsitz in Peking mit dem Ziel, im Reich der Mitte eine Lizenz als Zahlungsdienstleister zu erhalten. Zu Guttenberg verwies weiter darauf, dass für das ambitionierte Vorhaben eine zeitnahe Zustimmung der Regulierungsbehörde, der People’s Bank of China, benötigt werde. Wirecard würde dann zum ersten Unternehmen weltweit, das eine direkte Mehrheit an einem chinesischen Pendant halte.

"Die Bundeskanzlerin hat das Thema der Übernahme von AllScore durch Wirecard bei ihrer Chinareise angesprochen", räumt die Regierung ein. Damals habe sie aber "keine Kenntnis von möglichen schwerwiegenden Unregelmäßigkeiten" bei der bayerischen Firma oder über vergangene strafrechtliche Ermittlungen gegen AllScore gehabt. Röller habe zu Guttenberg nach der Reise auf den neuesten Stand gebracht und "weitere Flankierung zugesagt". Diese sei in Form von Gesprächen mit dem deutschen Botschafter in Peking sowie dem chinesischen Botschafter in Berlin erfolgt.

Erst am 13. Mai 2020 bat das Büro von Markus Braun dann wieder um einen Termin mit Röller, diesmal für ein Telefonat. Darin habe der Wirecard-Chef den in der Presse zirkulierten Vorwurf der Bilanzfälschung zurückgewiesen und "vollständige Aufklärung" zugesichert. Am 10. Juni war Braun noch bei einer Videokonferenz der Kanzlerin mit Vertretern der Dax-30-Unternehmen dabei, auf der die Regierung die Corona-Warn-App präsentierte. Erst am 30. Juni sei das Kanzleramt vom Finanzressort über den Bilanzskandal mit fehlenden 1,9 Milliarden Euro und die Insolvenz des Dax-Unternehmens informiert worden.

Die Regierung legt Wert auf den Hinweis, dass sie nicht verpflichtet sei, sämtliche geführten Gespräche zu erfassen und die auf Anfrage an Medienvertreter verschickte Dokumentation "somit möglicherweise nicht vollständig" sei. Eine Sprecherin konnte am Mittwoch zunächst nichts dazu sagen, wie viele Interessenvertreter, die zuvor im Kanzleramt tätig waren, im vorigen Jahr sonst noch als "Türöffner" für Firmen fungierten. Sie gehe zudem nicht davon aus, dass Merkel an der für den 29. Juli geplanten Sondersitzung des Finanzausschusses des Bundestags zur Wirecard-Affäre teilnehmen werde.

(mho)