Living Machines: Wie Biologen und Ingenieure sich gegenseitig inspirieren

Das Verstehen biologischer Systeme kann zum Bau besserer Roboter führen. Aber auch das Nachbauen solcher Systeme fördert das Verständnis über sie.

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Living Machines: Wie Biologen und Ingenieure sich gegenseitig inspirieren

Der Plantoid-Roboter bewegt sich wie eine Pflanzenwurzel fort.

(Bild: BSR Bioinspired Soft Robotics lab (Screenshot YouTube))

Lesezeit: 5 Min.
Von
  • Hans-Arthur Marsiske
Inhaltsverzeichnis

Die Entwicklung von Technologien nach biologischen Vorbildern wird als Biomimetik bezeichnet und verfolgt zwei Ziele: Zum einen soll das Verständnis der Funktionsweise biologischer Systeme durch deren Nachbau besser verstanden werden. Zum anderen erhoffen sich Ingenieure durch deren Studium Anregungen für die Konstruktion technischer Systeme. Beides zählt zum Themenspektrum der Konferenz "Living Machines".

Ursprünglich hätten sich die Teilnehmer der Tagung "Living Machines 2020" in dieser Woche in Freiburg treffen sollen, müssen sich wegen der Corona-Pandemie aber mit einem Gedankenaustausch per Videokonferenz begnügen. Den Auftakt machte am Montag ein Workshop, der unter dem Titel "Growing Structures" der Frage nachging, inwieweit Architektur und Robotik von der Biologie lernen können. Als Lehrmeister standen dabei insbesondere Insekten und Pflanzen im Mittelpunkt.

So referierte der Zoologe Fritz Vollrath (Oxford University) über Spinnen, die ihre Netze je nach Umgebung sehr unterschiedlich gestalten können. Da sie fliegende Objekte fangen sollen, müssen sie zugleich nachgiebig und stabil sein. Dabei helfen mikroskopisch kleine Tröpfchen, die über die Fäden verteilt sind und in denen gewissermaßen eine Fadenreserve aufgewickelt ist. Beim Aufprall eines Insekts kann der Faden daher kurzzeitig gedehnt und wieder zusammengezogen werden. Dieses Auf- und Abwickeln könne millionenfach wiederholt werden, so Vollrath. Da Spinnenseide bei Kälte noch stabiler werde, hält er sie für ein vielversprechendes Material, um damit Strukturen im Weltraum zu errichten.

Mirko Kovac (Imperial College London) bezog sich in seinem Vortrag zwar auf Bienen, von denen er Inspiration für die Programmierung fliegender Roboter bezieht. Aber auch diese Roboter arbeiten mit Fäden, etwa wenn sie ein Netz zwischen zwei Bäumen spannen und sich dabei an der Nachgiebigkeit der Fäden orientieren. In einem anderen Video zeigte Kovac, wie eine Drohne ein Seil an einem Haken oder einem Ast befestigen konnte, um dann in Ruhe die Wand oder den Baum zu inspizieren. Als Vision formulierte er den Bau von Gebäuden in additiver Fertigung mithilfe von Drohnen, die das Baumaterial Schicht um Schicht auftragen. Das erfordere allerdings sehr leichtes Material. Anders als die Züricher Architekten Fabio Gramazio und Matthias Kohler, die Hochhäuser aus Fertigteilen errichten wollen, die zentral gesteuert von Drohnen transportiert werden, setzt Kovac eher auf dezentrale Steuerung mittels Schwarmintelligenz.

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Auf ähnliche Weise errichten auch Termiten ihre Bauten, wie Justin Werfel (Harvard University) erläuterte. Die Aktivitäten der einzelnen Insekten, die jeweils nur über lokale Informationen verfügten, würden über die gemeinsame Umgebung koordiniert. In der Biologie wird das als Stigmergie bezeichnet, wobei unterschieden wird, ob die Umgebung von den Insekten markiert wird, etwa mit Duftstoffen, oder lediglich die Veränderungen der Umgebung eine Rolle spielen.

Anders als bislang vermutet, spielten Duftstoffe beim Termitenbau offenbar keine Rolle, sagte Werfel. Agentenbasierte Simulationen hätten zudem gezeigt, dass nicht nur der Bau selbst und seine Entwicklung für die Koordination wichtig sei, sondern auch der Ort, von dem die Termiten das Baumaterial beschaffen. In einem fortgeschrittenen Stadium orientierten sich die Tiere dann auch an der Umgebungsfeuchtigkeit, die im Innern höher sei als außen. Auch diese Erkenntnis verdanke die Forschung einem Roboterexperiment, so Werfel.

Während bei den Termiten die Zoologen demnach offenbar mehr von der Robotik profitiert haben als umgekehrt, scheint das Verhältnis bei den Botanikern etwas ausgeglichener zu sein. So betonte Nicholas Rowe (CNRS), wie hilfreich Drohnen bei der Erforschung der Funktion von Lianen seien. Auch Beobachtungen mit automatischen Kameras seien nützlich, um Fragen nach der Mechanik dieser Pflanzen und ihrer Reichweite bei der Suche nach Haltepunkten zu beantworten. Noch besser wäre allerdings ein lianenartiger Roboter. Den gibt es noch nicht, wohl aber den Plantoid, der sich in der anderen Richtung bewegt, indem er das Wurzelwachstum imitiert. Barbara Mazzolai (Italian Institute of Technology), die jetzt das Folgeprojekt Growbot koordiniert, erläuterte, wie dieser Roboter von der Spitze her seinen eigenen Körper durch additive Fertigung erzeugt.

Eine interessante Anwendung solcher sich vorwärts schlängelnder Roboter könnten chirurgische Fäden sein, die sich von selbst verknoten und die genähte Wunde zusammenziehen, sagte Andreas Lendlein (Helmholtz-Zentrum Geesthacht).

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Achim Menges (Uni Stuttgart) zeigte beeindruckende Pavillons, die mit Roboterhilfe aus Kohle- und Glasfasern errichtet wurden. Barbara Imhof (Liquifer Systems Group, Wien) schließlich vermittelte einen Eindruck, wie hoch hinaus die Pläne der Architekten reichen: Sie berichtete von Experimenten, aus Sonnenlicht und Mondstaub (Regolith) Bausteine für zukünftige Mondsiedlungen zu erzeugen. Die mit einem mobilen 3D-Drucker und einer ebenfalls mobilen Fresnel-Linse gefertigten Bauelemente könnten Druck aushalten, aber keinen Zug. Sie kämen daher für eine kuppelartige Bauweise in Frage. Imhof räumte aber auch ein, dass die heutigen Raumschiffe und Raumstationen noch keine lebenden Maschinen seien, sondern bislang nur – Maschinen.

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(olb)