"Wasteland 3" angespielt: Schmerzhafte Entscheidungen und schwarzer Humor

Das Urgestein der postapokalyptischen RPGs ist zurück und bleibt sich treu: "Wasteland 3" ist genauso dreckig, blutig und geschmacklos wie immer. Gottseidank.

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Wasteland 3 angespielt: Schmerzhafte Entscheidungen und viel schwarzer Humor

(Bild: heise online)

Lesezeit: 8 Min.
Von
  • Fabian A. Scherschel
Inhaltsverzeichnis

Ältere Gamer aus der MS-DOS-Generation erinnern sich vielleicht noch an "Wasteland", damals eins der beeindruckendsten PC-Rollenspiele überhaupt und das Spiel, aus dem schließlich das "Fallout"-Franchise hervorging. Mehr als dreißig Jahre nach dem Erscheinen dieses Urgesteins der Videospiele-Geschichte bleiben sich die ursprünglichen Entwickler mit dem jetzt erschienenen "Wasteland 3" treu. Und das ist, nicht zuletzt wegen der Entwicklung, die Fallout seitdem durchgemacht hat, ein Segen.

Die Fallout-Spiele mögen massentauglicher und damit erfolgreicher sein als die "Wasteland"-Serie, aber der kleine Bruder bringt mehr Spaß für Gamer alter Schule, die detailverliebten RPGs nachtrauern. "Wasteland 3" hat sich den dreckigen Humor, die blutige Story und die brettharten Taktik- Gefechte seiner Vorgänger erhalten.

Sicher, "Wasteland 3" gewinnt keine Schönheitspreise für seine Grafik und eine wirkliche Innovation des RPG-Genres findet hier auch nicht statt, aber das Spiel bietet genau das, was Fans der Serie erwarten: Herausfordernde Kämpfe, eine durchgeknallte Geschichte, irre Figuren, moralisch ausweglose Situationen und viel Humor. Und es bessert einige Schwachstellen seines unmittelbaren Vorgängers aus, denn das Spiel hat schon bei Launch viel weniger Bugs und erklärt Anfängern die eigenen Spielmechaniken viel besser
als "Wasteland 2". Und endlich sind wir auch mal in einer Spielwelt unterwegs, die nicht komplett braun ist. Okay, im Gegensatz zur richtigen Wüste ist die Schneewüste Colorados, in der "Wasteland 3" spielt, fast komplett weiß, aber immerhin ändern sich die Farben der Einöde.

"Wasteland 3" angespielt (7 Bilder)

Die neue Kampfansicht in "Wasteland 3" ist aufgeräumt und viel übersichtlicher als beim Vorgänger.
(Bild: heise online)

Nach Jahrzehnten Pause und einer ganzen Gamer-Generation, der "Wasteland" völlig unbekannt war, erschien 2014 in Folge der ersten großen Kickstarter-Welle bei Videospielen mit "Wasteland 2" ein von vielen Fans sehnsüchtig erwarteter Nachfolger des ersten postapokalyptischen Videospiels von 1988. Mit "Wasteland 3" legen die Entwickler von InXile Entertainment, nach wie vor unter der Ägide von Brian Fargo, dem Chefentwickler des ersten "Wasteland"-Spiels, nun eine weitere Fortsetzung der Kultserie vor. Untypischerweise geht es für die Desert Ranger aus Arizona diesmal ins verschneite Colorado, wo allerhand durchgedrehte Hillbillies darauf warten, mit dem langen Arm des Gesetzes (samt Schlagring) Bekanntschaft zu machen.

"Wasteland 3" beginnt wie alle "Wasteland"-Spiele damit, dass der Spieler sich einen Desert-Ranger-Trupp zusammenstellen muss, um dann von seinem Hauptquartier aus immer wieder ins gefährliche Ödland auszurücken und den Überlebenden des nuklearen Holocaust Hilfestellung zu leisten. "Wasteland 3" ist gewohnt blutig und brutal, alles gespickt mit einer gehörigen Prise dreckigen Humors. Sex und Drogen sind überall; Gewalt und Menschenhandel an der Tagesordnung. Nach ein paar Stunden "Wasteland 3" erscheint die Realität des Jahres 2020 auf einmal geradezu utopisch.

Was nicht heißen soll, dass uns das Spiel keinen Spaß gemacht hat. Ganz im Gegenteil. "Wasteland 3" ist ein äußerst gelungenes Taktik-RPG mit einer sehr schön geschriebenen Story voller interessanter Figuren und abwechslungsreichen Missionen. Die Kämpfe sind gewohnt anspruchsvoll bis bretthart, wer will, kann sich aber im einfachsten Schwierigkeitsgrad voll auf die Story und die Rollenspiel-Elemente konzentrieren.

Wer den Vorgänger gespielt hat, der wird sich bei "Wasteland 3" sofort wie zu Hause fühlen. Aber dank stark verbesserten Tutorials und einer viel besseren Bedienung, vor allem im Kampf und beim Ausrüstungs-Management, finden sich diesmal auch Neulinge schnell zurecht. Trotzdem: "Wasteland 3" ist bei Weitem nichts für jeden. Man muss eigenwillige RPGs mögen und pfiffige Texte schöner Grafikeffekte vorziehen, um hier richtig Spaß zu haben. Wer reine Action bevorzugt, ist bei Fallout besser aufgehoben.

Obwohl sich die "Wasteland"-Formel nach wie vor wenig geändert hat, haben die Entwickler im Vergleich zum Vorgänger einige Dinge klar verbessert. Gut gefallen hat uns der Soundtrack, an dem unter anderem Mary Ramos beteiligt war, die sonst für die Musik der Filme von Quentin Tarantino zuständig ist. Auch die Tatsache, dass in der englischen Sprachausgabe nun alle Dialoge komplett vertont sind, sorgt für Stimmung und erhöht den Spielspaß enorm. Schön ist auch, dass man bei manchen besonders wichtigen Dialogen den Schlüsselfiguren jetzt direkt ins Gesicht schaut – das ähnelt der Dialogansicht von First-Person-RPGs und haucht den Figuren gleich viel mehr Persönlichkeit ein. Es wäre schön gewesen, wenn diese Ansicht noch öfter zum Einsatz käme.

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In den rundenbasierten Kämpfen steuert man nun alle seiner Kämpfer direkt nacheinander, wie man es etwa aus der "XCOM"-Reihe kennt. Im Vorgänger hatte jeder Kämpfer eigene Initiative-Punkte, was dazu führte, dass man sich oft mit der gegnerischen KI in seinen Zügen abwechselte. Die Änderung sorgt dafür, dass die Kämpfe in "Wasteland 3" flüssiger laufen und somit auch mehr Spaß machen. Außerdem kann man besser vorausplanen und taktischer agieren, indem man die verschiedenen Spezialfähigkeiten seiner Kämpfer aufeinander aufbauen lässt.

Insgesamt erscheinen die Kampfsequenzen viel zugänglicher für Neulinge, haben aber trotzdem nichts an Komplexität eingebüßt. Schön ist auch, dass man in manchen Situationen nun das Fahrzeug der Ranger als Waffe einsetzen kann, was angesichts der dicken Panzerung und durchschlagskräftigen Bewaffnung richtig Laune macht.

Nicht immer zünden die Neuerungen: Das neue Dialogsystem ist hakelig und führte in einigen Fällen zu unbeabsichtigten Ergebnissen. Die Verwaltung der Gegenstände, welche die Ranger mit sich rumtragen, hätte an der einen oder anderen Stelle ruhig noch etwas komfortabler gestaltet werden können. Manchmal sind einfache Aktionen, wie etwa einen Gegenstand zu benutzen, nicht besonders intuitiv. Glücklicherweise scheint "Wasteland 3" viel besser getestet worden zu sein und hatte schon vor dem offiziellen Launch-Termin deutlich weniger Bugs als der Vorgänger bei seiner Veröffentlichung.

Getreu des berühmten Sid-Meier-Mottos – gute Spiele sind eine Aneinanderreihung interessanter Entscheidungen – dreht sich bei "Wasteland 3" alles um die Entscheidungen, mit denen der Spieler die Welt um sich herum beeinflusst. Allerdings handelt es sich hier fast immer um Entscheidungen zwischen schlechten und noch schlechteren Optionen.

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Man sollte sich darauf einstellen, dass man nicht jeden hilfesuchenden Zivilisten retten kann. So oder so muss man in dieser Welt Opfer bringen, viele Entscheidungen versperren den Weg zu ganzen Missionszweigen und Teilen der sehr verästelten Story dauerhaft. Man kann auch ganze Siedlungen niederbrennen, was dann dazu führt, dass die Händler dort nicht mehr zur Verfügung stehen und man eventuell wichtige Ausrüstungsgegenstände nie zu Gesicht bekommt. "Wasteland 3" ist eins der wenigen RPGs auf dem Markt, bei dem man das Gefühl hat, dass die eigenen Entscheidungen tatsächlich einen drastischen Unterschied im Verlauf der Story machen.

"Wasteland 3" ist ein riesiges, weit verzweigtes RPG – die Entwickler rechnen mit 80 bis 100 Stunden Spielzeit. Nach 12 Stunden Spielzeit weckt "Wasteland 3" bereits Lust auf das weitere Erkunden dieser einzigartigen Spielwelt. "Wasteland 3" liefert all das, was man erwartet, wenn man die Vorgänger gespielt hat, und hat viele ärgerliche Eigenheiten bei dessen Bedienung abgestellt. Der großartige Soundtrack und die durchweg vertonten Dialoge sorgen dafür, dass man viel tiefer in die Welt der Desert Ranger eintauchen kann als je zuvor.

"Wasteland 3" ist ein würdiger Nachfolger der beiden früheren Spiele der Serie und ein Muss für Liebhaber des klassischen PC-Rollenspiel-Genres und von herausfordernden, rundenbasierten Taktik-Duellen. Umsteiger von Shooter-Action-RPGs wie Fallout und The Outer Worlds müssen sich dagegen auf eine harte Umgewöhnungsphase gefasst machen. "Wasteland 3" ist ein Spiel für Leute, die gut geschriebene Geschichten und bedeutungsvolle Entscheidungen wertschätzen. Bahnbrechenden Grafik-Fortschritt und avantgardistische Genre-Innovationen sollte man woanders suchen. Wer "Wasteland" spielt, muss schwarzen Humor und aussichtslose Situationen mit viel Brutalität abkönnen – das hat sich seit 1988 nicht geändert.

"Wasteland 3" ist Windows, Xbox One und Playstation 4 erhältlich. Wir haben die PC-Version
angespielt, die bei Steam und GOG knapp 60 Euro kostet.


(dahe)