Umziehen mit Lichtgeschwindigkeit

Auf dem Weg zur verzögerungsfreien Wandelbarkeit hat die chinesische Modebranche einen bemerkenswerten Schritt nach vorn gemacht

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Von
  • Peter Glaser

Tiantian An ist ein chinesisches Online-Supermodel. Wenn sie loslegt, sieht es auf den ersten Blick so aus, als teile sie sich in einem bisher unbekannten Dialekt der Gebärdensprache mit. Sie kann bis zu drei Mal pro Sekunde eine neue Pose einnehmen und ist so schnell, dass es fast so aussieht, als stünde sie unter einem Stroboskoplicht. Die von ihr vorgeführten Kleider werden auf Taobao verkauft, einer chinesischen E-Commerce-Website, die jeden Monat von mehr als 600 Millionen Menschen frequentiert wird. Taobao-Models wie An werden pro Outfit bezahlt, und sind mit Kaskadem von Schnellfeuer-Posen in der Lage, sich an einem Tag in Hunderte verschiedener Outfits zu werfen – eine lukrative Übung für diejenigen, die blitzschnell arbeiten können. "Ich habe mich heute 485 Mal umgezogen", sagt Tiantian An stolz.

Seit langem gibt es einen Widerspruch zwischen Mode und technologisch inspirierten Zukunftsvorstellungen. Sowohl Mode als auch Hightech-Vision verstehen sich als Avantgarde. Zugleich bleibt das Modegewerbe immer sonderbar konservativ. Spät hat man Modedesignern beigebogen, dass es vielleicht ganz gut wäre, eine eigene Website zu haben – nunmehr in Schniqueschnaque versinkende Meisterwerke mißverstandener Webgestaltung. Spät hat man Modebloggerinnen gestattet, sich auf den Fashion Weeks zu akkreditieren. Und schließlich leiden Modemacher unter der unveränderlichen Begrenztheit des menschlichen Körpers – Haare oben, zwei Beine unten, fertig.

Um doch noch Abwechslung zustandezubringen, ähneln Modenschauen immer mehr durchgedrehten Kostümfesten. Menschen suchen ein Stück angenehmes Selbstgefühl, wenn sie sich was zum Anziehen kaufen. Die zum Teil unwürdigen Albernheiten, die Models manchmal aus Marketinggründen tragen müssen, haben im Real Life keine Chance. Die Räume zwischen der nackten Haut und den Bildschirmen sind dennoch erfüllt von Mode, jener Kulturform mit den schnellsten Ausdrucksmitteln. Mode ist unheilbar schön. Hättest du dieses Blau geahnt?

Was sagt die Science Fiction zur Mode der Zukunft? "Wir werden von einem fremden Planeten angezogen", ruft Leutnant Uhura auf der Enterprise einmal – in Wirklichkeit war Bill Theis für die Kostüme verantwortlich. Sie waren als Weiterentwicklung von langer Unterwäsche konzipiert, mit farbigen Stoffen kaschiert und mit verborgenen Verschlüssen versehen. Bereits in dem Pilotfilm "Where No Man Has Gone Before" von 1966 fand sich der gerippte Kragen, der eineinhalb Jahrzehnte später in den Kinofilmen als weißer Wollkragen zum standardisierten Starfleet-Dreß gehört.

Zeitlos, quasi das Kleine Schwarze der Science Fiction-Mode, sind kotflügelhaft abstehende Schulterteile. Da sie rüstungsartig wirken, werden sie gern den Bösen zugeschneidert. Klingonen tragen gewöhnlich kragenlose Panzerplättchenhemden; die aufgesetzten, spacigen Schulterstücke kann man nicht als Kragen akzeptieren. Im allgemeinen ist der nicht-irdische Kragen schwer definierbar.

Die Selbstkontrolle der US-Sender verbot in der Frühzeit blanke Bauchnabel und Brustansichten. Also verlagerten sich die erotisierenden Einblicke auf Rücken und Seiten – hochgeschlitzte Ärmel, Saris und Schürzen. Die Kostüme weiblicher Wesenheiten wiesen eine geradezu tollkühne Tendenz zum Verrutschen auf. "Die Episoden aus den Sechzigern erinnern mich daran, dass die futuristische zukünftige Kleidung von damals heute etwas seltsam aussieht. Die Aliens tragen Gogo-Stiefel und Hippieklamotten", so Captain Kirk alias William Shatner.

Heute leben wir in einer Zeit, in der man kaum noch Science Fiction schreiben kann – es gibt schon alles. An vormals phantastischen Dingen wie Gedankenlesen oder Antischwerkraft wird längst pragmatisch gearbeitet. Das Problem der modischen Frequenzwechsel wird sich in dem Augenblick erübrigen, in dem Frauen wie Tiantian An sich mit Lichtgeschwindigkeit umziehen können. Das werden farblich und strukturell umschaltbare Gewebe ermöglichen. In Design-Datenbanken wird die gesamte Entwurfspalette menschlichen Modeschaffens jederzeit abrufbar zur Verfügung stehen. Wir warten auf die Große Mode-App.

(bsc)