Kommentar: Der "große Wurf" zur "digitalen Souveränität" bleibt aus

Die Bundesregierung redet seit einem Jahr viel von digitaler Souveränität. Doch wo bleibt der versprochene Push für Open Source, fragt Christian Wölbert.

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Kommentar zur digitalen Souveränität: großer Anspruch, wenig dahinter

(Bild: daniiD/Rico Markus/Shutterstock.com)

Lesezeit: 3 Min.

Mittlerweile ist es ein Jahr her, dass die Bundesregierung "digitale Souveränität" zu ihrem Ziel erklärte. Doch bisher wird Berlin diesem Anspruch nicht gerecht.

Ein Kommentar von Christian Wölbert

Christian Wölbert schreibt für c't über IT-Politik, E-Government, Verbraucherschutz und Umweltthemen.

Im September 2019 hatte Innenminister Horst Seehofer angekündigt, die Abhängigkeit von einzelnen IT-Anbietern zu verringern und Alternativ-Programme zu prüfen. Gleichzeitig ließ er eine Studie veröffentlichen, in der die Abhängigkeit des Bundes von Microsoft klipp und klar beschrieben ist. Seine Beamten hatten bereits zuvor einen "großen Wurf" in Richtung Open Source in Aussicht gestellt.

Seitdem ist einiges passiert. Seehofer hat in seinem Haus eine Abteilung für unabhängige IT eingerichtet, außerdem bereitet er die Gründung ein größeren "Zentrums für digitale Souveränität" vor. Wirtschaftsminister Peter Altmaier schob Gaia-X mit an. Und die GroKo entwickelt im Huawei-Streit neue Sicherheitskriterien für IT-Anbieter.

Trotzdem klaffen Anspruch und Wirklichkeit immer weiter auseinander. Seehofers Ansage klingt mit jedem Monat hohler. Denn tatsächlich dampft der Supertanker Bund mit seinen rund 180.000 PC-Arbeitsplätzen noch auf dem alten Kurs weiter.

Das liegt vor allem an einem Fiasko namens "IT-Konsolidierung". Das 2015 gestartete Projekt liegt wegen Steuerungsfehlern und Zankereien um einige Jahre hinter und einige Milliarden über dem Plan. Aktuelles Zwischenergebnis: Viele Behörden nutzen noch Windows 7 (ja, richtig gelesen) und zahlen für Updates extra.

Das nächste Etappenziel lautet Windows 10. Darauf soll dann bis 2025 flächendeckend der "Bundesclient" folgen – ein Windows 10, dessen "Telemetrie"-Datenfluss an Microsoft zwar nicht unterbunden, aber zumindest besser überwacht werden soll. Für den Aufbau von Alternativen haben die IT-Leute des Bundes vielleicht irgendwann danach Zeit.

Im Jahr 2025 läuft allerdings auch der Support für Microsofts Exchange Server aus. Ein Nachfolger ist bislang nicht angekündigt. Woraus sich die Frage ergibt: Zieht der Bund in fünf Jahren mit seinen Mails und Terminen in eine Cloud unter US-Fuchtel – oder hat er einen Plan B?

Die kurze Antwort: Von einem Plan B kann keine Rede sein. Seehofers Beamte bringen eine "private" Microsoft-Cloud im Bundes-Rechenzentrum ins Spiel, die allerdings von Microsofts Launen abhinge und faktisch eine Black Box bliebe. Zweitens verweisen sie auf Pilotprojekte mit Open-Source-Anwendungen. Die fallen bislang allerdings so zaghaft aus, dass der Bund in fünf Jahren nicht reif für den flächendeckenden Einsatz sein kann.

Selbst die konkreteste Alternative, Projekt Phoenix, wurde erst vor gut einem Jahr ins Leben gerufen (bezeichnenderweise nicht vom Bund, sondern von Dataport, dem Dienstleister der nördlichen Bundesländer). Rund 50 Köpfe zählte das Projektteam im Juli. Und auch Gaia-X befindet sich noch in einem sehr frühen Stadium. An der wichtigsten technischen Säule, dem Sovereign Cloud Stack, baute im Juli gerade mal eine Handvoll Entwickler.

Die Ideen sind gut. Und es ist besser, sie kommen spät als nie. Doch der nötige große Wurf steht noch aus. Der Bundesregierung fehlen offensichtlich Mut und Kraft, die verkorkste IT-Konsolidierung noch einmal neu auszurichten – und ernsthaft auf Open Source zu setzen.

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