Astronomen schlagen Alarm: Schlimmes Satelliten-Gewimmel am Himmel

Die wachsende Zahl an Satelliten stört Teleskope und macht Weltraumforschung schwieriger.

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Schlimmes Gewimmel am Himmel

Starlink-Streifen stören dieses Bild des Nachthimmels.

(Bild: CTIO/NOIRLab/NSF/AURA/DeCam DELVE Survey)

Lesezeit: 9 Min.
Von
  • Neel V. Patel
Inhaltsverzeichnis

Die Astronomie-Gemeinde ist in Aufruhr. Die wachsende Anzahl an Satelliten, die im niedrigen Orbit der Erde unterwegs sind, macht es mittlerweile immer häufiger unmöglich, eine klare Sicht auf den Himmel zu bekommen. Das Ausmaß des Problems wird von der Raumforschung erst langsam verstanden. Ein Bericht, der kürzlich von der American Astronomical Society (ASS) veröffentlicht wurde, kommt zu dem Schluss, dass die Satelliten "astronomische Beobachtungen fundamental verändern" – und zwar im Hinblick auf optische und Nahinfrarot-Untersuchungen. "Nächtliche Aufnahmen ohne einen von der Sonne erleuchteten Satelliten, der gerade das Bild passiert, werden nicht mehr die Norm sein", schreiben die Autoren.

Die ersten Starlink-Satelliten waren schon kurz nach ihrem Start 2019 klar sichtbar. Einige Observatorien haben ihre Aufnahmen des Nachthimmels gar für ruiniert erklärt. Anfang September soll Elon Musks Raumfirma SpaceX die neueste Kolonne von Starlink-Satelliten ins All entsenden, 60 an der Zahl. Sie sollen die Flotte von bereits 653 Satelliten ergänzen, die seit Mai 2019 gestartet sind. In einigen Jahren wird erwartet, dass sich das Netzwerk auf 12.000 Satelliten belaufen wird, mit einer möglichen Expansion auf 42.000.

Das in London ansässige Unternehmen OneWeb, das derzeit ein schwieriges Jahr mit Insolvenz und Übernahme überstehen muss, hat von der US-Kommunikationsbehörde FCC jüngst die Genehmigung für 1280 Internet-Satelliten erhalten. Diese sollen Breitbanddienste für US-Nutzer ermöglichen. Das Unternehmen hat eine Konstellation vorgeschlagen, die das Aufgebot auf bis zu 48.000 Satelliten erweitern könnte. Amazon hat unterdessen die Genehmigung für sein "Project Kuiper"-Vorhaben erhalten, das die Freigabe von 3236 Satelliten für den eigenen Satelliten-Internet-Service des E-Commerce-Giganten bedeutet. Und das ist wahrscheinlich nur der Anfang. Die Forschung kommt zum Schluss: Astronomie, wie wir sie kennen, wird nie wieder dieselbe sein.

"Die Sichtbarkeit der SpaceX-Starlink-Satelliten hat allen einen Schock versetzt", sagt Megan Donahue, Astronomin an der Michigan State University und frühere Präsidentin der AAS. Während viele Menschen entzückt seien vom Anblick der erleuchteten Lichtzüge, die über den klaren Himmel ziehen, wissen Astronomen, dass diese Lichter am Ende weiße Schlieren auf ihren Teleskopaufnahmen bedeuten und dass sie die eigentlich zu beobachtenden Sterne und Himmelskörper ausradieren. "Sich vorzustellen, wie der Himmel damit übersät ist, das ist gruselig für Astronomen", sagt sie.

Ein Satellit, der sich ins Bild drängt, ist nichts Neues – damit muss bei über 2600 aktiven, erdumkreisenden Trabanten gerechnet werden. Doch hört man auf Jeff Hall, den Direktor des Lowell Observatoriums und Co-Autor und Herausgeber des AAS-Berichts, sind die meisten davon flüchtig, insbesondere die in größeren Höhenlagen. Wenn von diesen ein Satellit im Bild erscheint, dann als kleiner Punkt. Sie stellen daher eigentlich kein Problem dar.

Da nun neue Konstellationen in die sehr viel niedrigere Erdumlaufbahn gesandt werden, erscheinen diese deutlich heller, hinterlassen lange weiße Streifen auf den Fotos und verziehen auch mal weitere Teile der Aufnahmen. Und weil es so viele sind, wird der Versuch, sie aus dem Sichtfeld zu halten, zu einem verlorenen Spiel. Früher wurde vielleicht eines von hundert Bildern aufgrund eines dazwischengeratenden Satelliten unbrauchbar. Jetzt sind Astronomen damit konfrontiert, dass sie möglicherweise bis zu Zweidrittel ihrer Daten an die Satelliten-Schlieren verlieren.

Die neuen Low-Earth-Orbit-Satelliten stören nicht jedes Astronomieprogramm auf dieselbe Weise. Halls verwendet für seine Arbeit die Spektroskopie, um bestimmte Variationen bei individuellen Sternen zu messen. Diese Bilder werden nur dann beeinflusst, wenn ein Satellit direkt vor das Teleskop fliegt. Doch die nächsten Generationen von Teleskopen werden extrem empfindlich sein und sogenannte Weitfeldbeobachtungen durchführen, bei denen große Teile des Himmels überblickt werden.

Hier werden Starlink und ähnliche Konstellationen zu einem üblen Hindernis. Observatorien, die sich auf naheliegende Objekte konzentrieren, beispielsweise das Panoramic Survey Telescope and Rapid Response System (Pan-STARRS) der Universität von Hawaii, bemerken schon jetzt, dass ihre Bilder von den Bewegungen der Starlink-Satelliten gestört werden. Das kann sogar gefährlich werden: Sollte ein Asteroid sich auf Kollisionskurs Richtung Erde befinden, sind die Daten möglicherweise derart verzerrt, dass er nicht mehr früh genug entdeckt oder angemessen reagiert werden kann.

Das bekannteste Beispiel eines Leidtragenden ist wahrscheinlich das Vera C. Rubin-Observatorium in Chile (früher auch "Large Synoptic Survey Telescope" genannt), eine milliardenschwere Einrichtung, die es Astronomen ermöglichen soll, extrem flüchtige optische und nahinfrarot Signale zu detektieren. Es wird genutzt, um kleine Objekte zu lokalisieren, die weit entfernt liegen und auf Dunkle Materie und Dunkle Energie untersucht werden. Simulationen legen nahe, dass bis zu 30 Prozent der Vera-C.-Rubin-Bilder von mindestens einer der Satelliten-Schlieren geplagt werden, sobald die geplanten Konstellationen vollständig installiert werden. Hunderte von wissenschaftlichen Untersuchungen stützen sich auf diese Daten und könnten dadurch gefährdet werden, womit wichtige Entdeckungen womöglich um Jahrzehnte verzögert würden. Laut Donahue wäre es ideal, die Helligkeit der Satelliten um den Faktor 100 zu verringern.

Der AAS-Bericht umreißt einige mögliche Lösungen, die sowohl im Sinne der Astronomen und Satellitenbetreibern sein sollen. Beispielsweise könnte neue Software die Astronomen informieren, bevor Satelliten sich ins Bild bewegen. Man könnte also zeitbegrenzt arbeiten, das Licht der Satelliten während der Aufnahme gezielt aussparen oder mit Bildbearbeitungsverfahren ihre Spuren entfernen.

Wenn Satellitenbetreiber nach Lösungen suchen, müssen sie wirtschaftliche Erwägungen mit einbeziehen. Schließlich wäre die schnellste und einfachste Lösung, gar keine Konstellationen mehr in den Himmel zu schießen – das aber ist natürlich keine Option. Satelliten könnten jedoch weniger reflektierend gebaut werden. SpaceX testete das an der Prototypen-Farbe "DarkSat", die an einem Starlink-Satelliten im Januar verwendet wurde –doch es gelang bisher nicht, die Helligkeit bedeutend zu reduzieren.

Das Unternehmen installiert nun einen einsetzbaren Sonnenschutz namens VisorSat bei allen zukünftigen Satelliten, aber Wissenschaftler sind sich uneinig, ob es sich dabei um eine wirklich effektive Lösung handelt. Nach Hall besteht einer der besten Ansätze drin, die Satelliten so im Weltraum auszurichten, dass die reflektierende Oberfläche vom Boden weg zeigt, sodass der von Teleskopen beobachtete "Glanz" minimiert wird. "Ich habe das persönlich an einigen SpaceX-Satelliten sehen können, an denen Flugstellungen angepasst wurden", sagt er. "Man sieht sie zwar noch passieren, allerdings kaum – sie sind dann sehr flüchtig."

Eine der größten Konflikte, mit denen Satelliten-Betreiber konfrontiert sind, wird die Flughöhe ihrer Konstellationen betreffen. OneWeb-Gründer Greg Wyler hat argumentiert, dass die Satelliten der Firma weniger wahrscheinlich kollidieren, da sie mit 1200 Kilometern höher in der Erdumlaufbahn schweben. Während Firmen wie Starlink den Planeten eher mit mehr Satelliten in naher Entfernung bedecken wollen, haben andere in höheren Lagen eine größere kommunikative Reichweite, was bedeutet, dass ein einzelner Satellit mehr Erdoberfläche versorgen kann. So könnte die Gesamtzahl aller aktiven Satelliten verringert werden.

Leider stellt der AAS-Bericht auch fest: Je höher ein Satellit fliegt, desto länger bleibt er auch im Blickfeld. Vielleicht ist er ein bisschen weniger hell, aber im Grunde bleibt er für astronomische Beobachtungen genauso störend, vielleicht sogar die ganze Nacht hindurch. Der Bericht empfiehlt, dass Firmen davon absehen sollten, Konstellationen über einer Höhenlage von 600 Kilometern einzusetzen.

Glücklicherweise aber zeigen sich viele Unternehmen bereit, das Problem lösen zu wollen. Der AAS-Bericht beinhaltet umfangreiche Beiträge sowohl von SpaceX als auch OneWeb. "Wir finden ihre Arbeit ziemlich cool – und sie finden unsere ziemlich cool", so Hall. "Also versuchen wir hier gemeinsam zusammenzukommen."

Astronomen sind von dem guten Willen der Satellitenbetreiber abhängig. Es gibt keine technische Regulierung, welche die Entsendung von ultrahellen Satelliten-Konstellationen verhindern könnten, auch wenn diese viele oder die meisten astronomischen Programme stören.

Im Rahmen eines Workshops im nächsten Frühjahr planen Hall und seine Kollegen dieses Schlupfloch und mögliche Regulierungsempfehlungen zu adressieren. Und sie erwarten, dass sich SpaceX und andere in dieser Sache kooperativ verhalten. Auch Satellitenbetreiber dürften das potenzielle Chaos vermeiden wollen, das entstehen könnte, wenn sie alle den Freifahrtschein bekämen, alles Mögliche in den Weltraum zu schicken.

"Es handelt sich um Richtlinienvorschläge, die durch die Vereinten Nationen müssen", sagt Hall. "Es ist ein internationales Problem. Es zu lösen, fällt in den Zuständigkeitsbereich einer internationalen Einrichtung." Ob die UN und ihre Mitgliedsstaaten ein solches Regelwerk aber tatsächlich einführen werden, steht noch in den Sternen. (bsc)