Künstliche Intelligenzen bauen wie Menschen

Ein Minecraft-Wettbewerb für KIs hat sich innerhalb von drei Jahren so weit entwickelt, dass er neue Techniken für die Stadtplanung erforschen hilft.

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Künstliche Intelligenzen bauen wie Menschen

(Bild: Joel Filipe / Unsplash)

Lesezeit: 5 Min.
Von
  • Will Douglas Heaven
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Ein Dutzend Gebäude mit steilem Dach am Rand einer Tagebaumine. Hoch über ihnen, auf einem riesigen Felsbogen, steht ein unzugängliches Haus. An anderer Stelle schmücken reich verzierte Pagoden einen gepflasterten Platz. Und eine einsame Windmühle dreht sich auf einer Insel, umgeben von quadratischen Schweinen. All diese Bauten wurden von Künstlichen Intelligenzen (KI) in Minecraft entworfen.

Minecraft ist seit zehn Jahren eine Leinwand für wilde Erfindungen. Fans haben mit dem Hit-Blockbuilding-Spiel Repliken von fast allem erstellt: Von Chicagos Innenstadt über King's Landing aus „Game of Thrones" bis hin zu funktionierenden CPUs. Seit 2018 ist Minecraft aber auch Schauplatz einer kreativen Herausforderung für Maschinen. Beim jährlichen Wettbewerb „Generative Design in Minecraft“ (GDMC) messen sich Teilnehmer darin, per KI realistische Städte oder Dörfer an erfundenen Orten zu erzeugen.

Erfolgreiche Einträge verwenden meist eine Reihe von Techniken, um zu ermitteln, wann Gelände geebnet oder wo Brücken und Gebäude platziert werden müssen. Dazu gehören Pathfinder-Algorithmen der alten Schule, die entfernte Teile einer Siedlung miteinander verbinden, zellulare Automaten, die mithilfe einfacher Regeln komplexe Strukturen erzeugen können, und maschinelles Lernen. Sahen die erste Siedlungen vor drei Jahren wirklich noch wie von Maschinen entworfen aus, weil die Gebäude meist in repetitiven oder zufälligen Reihen angeordnet waren, punkteten die diesjährigen Gewinner mit glaubwürdigen Layouts und guter Standortanpassung.

Da es keine vorgegebenen Ziele gibt, müssen die KIs mehrere Ziele gleichzeitig meistern. Um zu gewinnen, müssen sie acht Juroren beeindrucken, darunter Architekten, Archäologen und Spieledesigner. Diese bewerten die KI-Stadtplaner in vier Kategorien: Wie gut passen sie ihre Entwürfe an bestimmte Orte an? Wie gut funktionieren die Layouts gemessen an Kriterien wie: gibt es Brücken und Straßen zwischen verschiedenen Bereichen; wie ansprechend und ästhetisch sind sie; und gibt es Details, die eine Geschichte darüber erzählen, wie eine Stadt entstanden ist, etwa in Form einer Ruine, die dann zur Quelle für Baumaterialien wurde?

Zum Beispiel identifizierte eine KI erst, ob es sich bei der Umgebung um eine Wüste oder Wald handelte und erzeugte dann Gebäude, die aus lokalen Materialien gebaut waren. Ein anderer Teilnehmer erwies sich als gut darin, die Landschaft zu ebnen und große, offene Plätze anzulegen. Diese Taktik funktionierte in flachem, offenem Gelände gut, wo markante Tempelkomplexe im japanischen Stil entstanden. Aber auf einer kleinen Insel bedeckte die KI die komplette Fläche.

Sogar die Gewinner machen immer noch dumme Fehler. So versank eine Siedlung bis zu den Dächern im Sand, weil der Algorithmus auf festem Boden bauen wollte und dabei die Gebäude bis zum Felsen herabsenkte.

Der Wettbewerb ist bisher nur zum Spaß gedacht. Aber die eingesetzten Techniken könnten sich bald zu solchen entwickeln, die reale Stadtplaner verwenden könnten. Denn die teilnehmenden KIs analysieren bereits, wie Städte gebaut werden und versuchen, Städte zu entwerfen, die gesünder und sicherer sind.

Zum Beispiel hat Claus Aranha festgestellt, dass die meisten Beiträge nach dem Top-down-Prinzip arbeiten. Das bedeutet, dass der KI-Stadtgenerator erst ein bestimmtes Gebiet betrachtet und dann eine passende Siedlung generiert. Das kann dem Informatiker zufolge, der an der japanischen University of Tsukuba an evolutionären Berechnungen forscht, trotz teilweise unkorrekter Details oft zu guten Gesamtergebnissen führen. Trotzdem führen Aranhas Erfahrung nach Multi-Agenten-Ansätze, bei denen mehrere KIs unabhängig voneinander Strukturen aufbauen, die von ihrer unmittelbaren Umgebung abhängen, zu kohärenteren und realistischeren Entwürfen.

Aranha will diese Erkenntnisse auch für seine eigene Arbeit nutzen, in der er mithilfe von Simulationen die Wirkungen verschiedener städtebaulicher Maßnahmen auf Katastrophenszenarien wie Erdbeben oder Waldbrände untersucht. Er generiert virtuelle Städte, indem er einem neuronalen Netzwerk mit Daten aus OpenStreetMap beibringt, wie Städte aussehen. Durch die automatische Generierung von Tausenden von virtuellen Städten, die sich etwa im Straßenlayout oder Anzahl und Position von Freiflächen unterscheiden, kann er beurteilen, ob die Reservierung von zehn Prozent der Wohnfläche für Parks Leben retten würde.

Jasper Wijnands und seine Kollegen von der University of Melbourne wiederum haben mit Hilfe von sogenannten faltenden neuronalen Netzen untersucht, welchen Einfluss verschiedene städtische Grundrisse auf die Anzahl von schweren Verkehrsunfällen haben.

Die Ergebnisse ihrer Studie über 1.692 Städte, in denen ein Drittel der Weltbevölkerung lebt, veröffentlichten sie im Fachjournal „The Lancet Planetary Health“. Demnach sind Städte mit stärker genutzten Schienennetzen und dichteren Straßenlayouts, die um kleine Häuserblöcke angeordnet sind, sicherer als weitläufigere Grundrisse, die um Sackgassen angeordnet sind.

Man sollte jedoch nicht erwarten, dass Künstliche Intelligenzen die Städteplanung eines Tages vollständig übernehmen werden. Dazu sind Städte zu sehr das Ergebnis von vielen Kompromissen. (vsz)