Patentstreit mit Nokia: Lenovo stoppt Verkauf in Deutschland

Keine Desktop-PCs, Notebooks und Tablets mehr von Lenovo in Deutschland: Lenovo fehlen Lizenzen zur Nutzung des Video-Codecs H.264.

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(Bild: Lenovo)

Lesezeit: 3 Min.

Nicht gezahlte Lizenzen für die Nutzung von Patenten rund um den Video-Codec H.264 werden Lenovo zum Verhängnis: Aufgrund einer einstweiligen Verfügung, die Nokia erwirkt hat, muss Lenovo den Verkauf in Deutschland auf ein Minimum reduzieren. Sämtliche Geräte mit einer Grafikkarte beziehungsweise Grafikeinheit darf der Hersteller derzeit nicht mehr vertreiben.

Auf der eigenen Webseite macht Lenovo auf das eingeschränkte Sortiment aufmerksam. Erhältlich sind noch Smartphones und PC-Zubehör, etwa Mäuse und Dockingstations. Desktop-PCs, Notebooks und Tablets lassen sich nicht mehr im offiziellen Store bestellen. Andere Händler verkaufen weiter ihren Warenbestand, dürfen aber anscheinend keine betroffenen Produkte nachbestellen.

Wie der Branchendienst Bloomberg berichtet, wirft Nokia dem weltweit größten PC-Hersteller Lenovo vor, keine angemessenen Angebote für Lizenzen zur Nutzung der eigenen H.264-Patente vorgelegt zu haben. Lenovo widerspricht, dass Nokia unfair hohe Gebühren fordere und nicht gemäß dem sogenannten FRAND-Modell (Fair, Reasonable and Non-Discriminatory) verhandele.

Das Gericht will mit dem Verkaufsstopp beide Unternehmen an einen Tisch zwingen, damit sie ein Lizenzabkommen aushandeln.

Der Video-Codec H.264 komprimiert Videos, um Übertragungsrate zu sparen. Entsprechende Hardware-En- und -Dekodierer zur Beschleunigung des Codecs befinden sich in allen modernen GPUs – sowohl in Grafikkarten als auch in Kombiprozessoren beziehungsweise mobilen Systems-on-Chip (SoCs). Nokia visiert Anbieter von Endgeräten bei den Lizenzabkommen an und nicht Chiphersteller wie AMD, Intel, Nvidia oder auch Qualcomm. Außer in Deutschland laufen Verfahren gegen Lenovo auch in den USA, Brasilien und Indien.

Entwickelt hat H.264 alias MPEG-4/AVC wie auch den Nachfolger H.265 alias HEVC der Unternehmensverbund Moving Picture Experts Group (MPEG). Die Patente verwalteten jahrelang zwei Gruppen, denen sich nicht alle beteiligten Firmen anschlossen. Im Sommer 2020 strukturierte sich die MPEG um, nachdem Gründer Leonardo Chiariglione zurücktrat.

Als Alternative zu den MPEG-Codecs etabliert sich zurzeit der offene und lizenzfreie Standard AOMedia Video 1 (AV1). Zu der verantwortlichen Alliance for Open Media gehören Branchengrößen aus der Halbleiter- und Streaming-Industrie. Netflix und YouTube setzen AV1 bereits ein. Nvidias Ampere-Grafikkarten GeForce RTX 3000 dekodieren schon mit dem Codec; ebenso bald AMDs Radeon RX 6000. Das heißt, Nutzer können ohne hohen Rechenaufwand entsprechende Videos und Streams schauen, solche selbst aber nicht ohne hohen Rechenaufwand erstellen.

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[Update, 22.10.20, 13:30 Uhr:] Korrektur: GeForce RTX 3000 und Radeon RX 6000 dekodieren mit AV1, können mit dem Codec aber noch nicht enkodieren.

[Update, 22.10.20, 16:30 Uhr:] Smartphones der Marken Moto und Razr kann Lenovo weiterhin über seinen Webshop verkaufen, Tablets hingegen nicht. (mma)