Missing Link: Computer und Wahlen – verwählt, verrechnet und vergessen

Wahlen sind manchmal eine komplizierte Sache, Wahlprognosen sind noch komplizierter. Seitdem Computer dabei helfen, halfen sie nicht immer.

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(Bild: Anton Watman/Shutterstock.com)

Lesezeit: 8 Min.
Von
  • Detlef Borchers
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In einem komplizierten Auszählungsverfahren hat Joe Biden wohl die Mehrheit der "Wahlmänner"-Stimmen in den USA gewonnen und beim Popular Vote mit einem Vorsprung von 4 Millionen Stimmen einen neuen Rekord aufgestellt. Was Joe Biden nicht geschafft hat, war der von Wahlforschern prognostizierte Erdrutschsieg gegen Trump; diese Biden zeitweilig einen Vorsprung von 10 Prozentpunkten prognostizierten.

"Missing Link"
Missing Link

Was fehlt: In der rapiden Technikwelt häufig die Zeit, die vielen News und Hintergründe neu zu sortieren. Am Wochenende wollen wir sie uns nehmen, die Seitenwege abseits des Aktuellen verfolgen, andere Blickwinkel probieren und Zwischentöne hörbar machen.

Prompt erschienen Artikel, die von einem "Debakel der Demoskopie" berichteten. Dabei zeigt die Geschichte der US-amerikanischen "Pollster" wie der deutschen Meinungsinstitute, dass Wahlprognosen häufig danebenlagen. Mitunter spielten Computer dabei eine interessante Rolle.

Die kleine Geschichte der Wahlen und Wahlprognosen beginnt im Jahre 1948, als die Wähler in den USA die Wahl zwischen Harry S. Truman von den Demokraten und Thomas E. Dewey von den Republikanern hatten. Die damals führenden Wahlforschungsfirmen von George Gallup, Elmo Roper und Archibald Crossley sagten ein Kopf-an-Kopf-Rennen voraus. Ganz ohne Wählerbefragung und statische Auswertungen agierte der Wahlanalytiker Arthur S. Henning. Er hatte viermal in den letzten fünf Präsidentschaftswahlen korrekt den späteren Sieger vorhergesagt, entschied sich frühzeitig für Dewey als Gewinner der Wahl und legte sich auf einen Erdrutschsieg für den Republikaner fest.

Nun war Henning nicht nur Analytiker, sondern Korrespondent der einflussreichen Chicago Daily Tribune. Bei diesem Blatt streikten die Setzer der Linotype-Maschinen, was zur Folge hatte, dass die Zeitungsseiten im Handsatz gebaut und dann fotografiert werden mussten, ein langwieriger Prozess, bei dem bis zum Andruck viele Stunden Zeit verloren gingen. Nach der Wahl erschienen die ersten Ausgaben der Tribune mit der Meldung "Dewey Defeats Truman" gemäß der Prognose von Henning. Als die ersten Meldungen eintrafen, die von hohen Stimmengewinnen für Truman berichteten, blieb Henning bei seiner Meinung und hielt sie für Ausreißer.

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Erst für die Abendausgabe der Tribune wurde die Titelgeschichte der Zeitung umgeschrieben, als der Erdrutschsieg von Truman absehbar wurde: "Democrats make sweep of State Offices" hieß es. Schließlich holten sich die Demokraten auch die Mehrheit im Senat und Repräsentantenhaus. Truman kam auf 303 Wahlmänner-Stimmen, Dewey auf 189.

Die Fehlleitung der Chicago Daily Tribune, von der viele kleinere Zeitungen abschrieben, wurde verewigt, als Harry Truman zwei Tage nach der Wahl (so lange dauerte die Auszählung 1948) in seinem Eisenbahnabteil nach Washington fuhr und für die Fotografen ein Exemplar der Tribune mit der Falschmeldung in der Hand hielt. Doch auch für die Wahlforscher von Gallup und Co war die Präsidentschaftswahl eine Katastrophe. Schließlich hatte man ein dramatisches Rennen mit engem Ausgang prognostiziert.

Bei der Suche nach den Fehlern einigte man sich auf die Ansicht, die Befragung der Wähler zu früh abgeschlossen zu haben. Anlässlich der nächsten Präsidentschaftswahl sollten sie direkt nach der Stimmabgabe befragt werden, damit die Prognose noch vor der Auszählung der Stimmen korrigiert werden kann.