Zentrales DNS-Root-System infrage gestellt
Die Antwort auf die Internationalisierung des Netzes ist möglicherweise die Abkehr von einer zentralen Rootzone im Domain Name System.
Die Antwort auf die Internationalisierung des Netzes ist möglicherweise die Abkehr von einem zentralen Root-System, meinte der Vorsitzende des Multilingual Internet Names Consortium (MINC), Tan Tin-Wee. "Wenn ICANN sich in dieser Frage nicht bewegt, ist ein System parallel existierender, koordinierter Rootzonen statt einer einzigen Rootzone denkbar", sagte Tan auf einer Konferenz der International Telecommunication Union (ITU) und der World Intellectual Property Organisation (WIPO) zum Problem der Internationalisierung von Domainnamen. Die ICANN (Internet Corporation for Assigned Names and Numbers) hat bisher das Konzept eines einheitlichen Namensraumes mit Zähnen und Klauen verteidigt.
Als überfällig bezeichnete Tan in seinem viel beachteten Statement die Einführung der nicht-englischen Domainadressen. Nur so könne das Internet zu den Massen gebracht werden. Tan hat an der Universität von Singapur einen der ersten Tests mit internationalisierten Domains gestartet. "Erst hieß es, dafür gibt es keine technische Lösung, dann, diese sei nicht einsetzbar und dann, es gebe keinen Markt dafür." Die Entwicklung seit 1998 habe aber all diese Aussagen widerlegt. In Kürze werde auch ein abgeschlossener Standard der IETF für die Übersetzung chinesischer, arabischer oder anderer Schriften in den im DNS gebräuchlichen ASCII-Code vorliegen. Bislang habe die ICANN nur sehr zögerlich auf die Entwicklung reagiert, sagte ein Vertreter der ITU, deren ausführliche Stellungnahme für die Konferenz von Tan mit vorbereitet wurde.
Nach Tans Ansicht gibt es drei Möglichkeiten der Organisation der neuen Namensräume: Entweder die ICANN kooperiere mit den entstehenden Organisationen des nicht-englischen Netzes und räume diesen innerhalb der ICANN ein institutionalisiertes Mitspracherecht ein -- im Stile der ICANN "Supporting Organisations" --, oder sie überlässt das Rennen völlig dem Markt -- und riskiert die Fragmentierung des Netzes. Um das zu verhindern, könnte ein drittes Modell notwendig werden, das die Idee einer einzigen zentralen Root-Zone aufgibt, sagte Tan. Statt einem einzigen, von der ICANN organisierten Namensraum würde es dann eine Vielzahl parallel existierender Namensräume geben, die die Mehrfachvergaben von Namen durch Koordination verhindern.
Ohnehin muss nach Ansicht von Vertretern vor allem asiatischer Länderregistrierstellen überdacht werden, wer die Autorität über neue, komplett landessprachliche generische und Länder-Top-Level-Domains haben wird. In China, Japan und Korea ist man nicht bereit, mit der Einführung komplett landessprachlicher generischer oder Länder-Domains auf eine Erlaubnis aus Kalifornien beziehungsweise Washington zu warten: Alle Änderungen in der offiziellen Rootzone müssen immer noch vom US-amerikanischen Department of Commerce abgesegnet werden. Für viel böses Blut hat in diesem Zusammenhang auch gesorgt, dass die ICANN das vom Exmonopolisten VeriSign/NSI im vergangenen Jahr gestartete Angebot chinesischer, arabischer und einiger anderer Adressen nicht gestoppt hat.
Parallel zu den neuen Top Level Domains der ICANN werden daher nun in Japan bereits japanische Adressen unter .jp angeboten. In China wird mit chinesischen Top Level Domains experimentiert. Und im arabischen Raum werden sogar arabische Versionen der offiziellen Adressen unter .com, .net, .org, .info und anderen angeboten. "Wir haben im Frühjahr einen Test für koreanische Domains abgeschlossen und warten wirklich nur noch auf den Startschuss der ICANN und der IETF", sagte die Vertreterin der koreanischen Länderregistrierstelle. Die Verantwortung für solche landessprachlichen Zonen sollte ihrer Ansicht nach auch in den betreffenden Ländern und nicht bei der ICANN liegen.
"Technisch ist es möglich, mehrere parallele Rootzonen zu haben," betonte Andy Duff von New.net. New.net bietet drei Dutzend neue selbstgewählte Top Level Domains an. Sie benötigen auf den meisten Rechnern ein Plug-in, das Domainanfragen auf New.nets Server leitet. ICANNs eigentliche Aufgabe sei Koordination im DNS und nicht die aktuell ausgeübte rigide Kontrolle und künstliche Verknappung von Domains. "ICANN mag es gefallen oder nicht, wir werden ein System multipler, koordinierter Root-Zonen bekommen", so Duffs Einschätzung.
Sollte ICANNs Rootzone aber tatsächlich zu einer unter vielen werden, würde erneut die Frage virulent, wer für die notwendige Koordination der Zonen sorgt. "Sie stehen damit wieder exakt vor dem gleichen Problem wie jetzt mit ICANN", sagte David Lawrence von Nominum, "sie kommen ohne eine zentrale Stelle nicht aus." Wer diese Stelle sein kann, darüber kann man vorerst nur spekulieren. Klar ist, dass sich die ITU in Zukunft den DNS-Fragen wieder stärker widmen will, nachdem sie 1998 durch das berühmte White Paper der US-Regierung aus dem Spiel gedrängt wurde. Angesichts der Unzufriedenheit mancher Regierungen mit ICANNs Performance wittert die ITU möglicherweise Morgenluft. Bob Shaw von der ITU verriet gegenüber heise online nur so viel: "Die ITU-Mitgliedsstaaten werden im kommenden Jahr sicherlich über die Arbeit der ICANN diskutieren." (Monika Ermert) / (jk)