Ein Rückblick auf Flash

2021 verschwindet Flash aus den meisten Browsern. Zeit für einen Rückblick auf eine Technik, die für viele Jahre das Potenzial des Webs erheblich erweiterte.

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Lesezeit: 9 Min.
Von
  • Prof. Tilman Baumgärtel
Inhaltsverzeichnis

Flash? Während junge Leute aus der Generation Z möglicherweise noch nie davon gehört haben, werden sich Web-Veteranen an eine aufregende Zeit erinnern. "Wenn Sie im Web surfen und auf Sites stoßen, die seitengroße Animationen oder Schaltflächen enthalten, die beim Anklicken spektakuläre Funktionen ausführen, erleben Sie wahrscheinlich die Magie von Flash in Aktion", schwärmten die Autoren des Buches "Flash für Dummies" von 2001 im Vorwort.

Demnächst werden die meisten Browser allerdings ohne diese Magie auskommen müssen. Googles Browser Chrome wird Flash zum 31. Dezember nicht mehr unterstützen. Microsoft hält es bei Edge genauso. Mozilla will die Flash-Unterstützung in Firefox mit Release 84 beenden, die im Dezember 2020 erscheinen soll. Und selbst der Flash-Hersteller Adobe hat seine eigene Technik abgekündigt. Ab dem 31. Dezember 2020 gibt es keine Updates und keine Patches mehr.

Danach wird es nicht mehr einfach möglich sein, die wenigen verbliebenen Seiten zu betrachten, die noch mit Flash gestaltet sind. Und somit verschwindet auch der einfache Zugang zu einigen der fantasievollsten und ungewöhnlichsten Websites, die es je gegeben hat. Schon jetzt ist ein Flash-basierter Netzklassiker wie die 24-Stunden-Version von Pharrell Williams’ Hit "Happy" genauso aus dem Internet verschwunden wie das "Museum of Me". Dort konnte jeder Facebook-Nutzer die Bilder aus seinem Profil in ein dreidimensionales Ausstellungsgebäude übertragen lassen, das man durchstreifen konnte wie eine Gemäldegalerie (Video).

Viele Flash-Websites wie das „Museum of Me“ sind bereits verschwunden; man kann sich nur noch mit einem Video einen Eindruck davon verschaffen.

Beide waren mit Flash gestaltet. Auch die Werke renommierter Webdesigner wie Joshua Davies oder Yugo Nakamura oder innovativer Internetagenturen wie thevoid oder Tomato drohen dann, endgültig in Vergessenheit zu geraten. Auch wenn es die Werke nicht mehr gibt, finden sich auf den Homepages zumindest noch Screenshots, die einen Eindruck vermitteln können – und damit auch die Erinnerung an eine Art der Webgestaltung, die nicht in erster Linie durch das Primat der Nutzerfreundlichkeit und durch ein Baukastendesign geprägt war.

"Heute sind die Kunden nicht mehr so experimentierfreudig", findet Marcus Bussejahn, dessen Website DerBauer um 2000 zu den Vorzeigebeispielen für die neuen Möglichkeiten gehörte, die Flash seinen Nutzern bot. Der Hannoveraner Programmierer entdeckte die neue Webtechnik 1998 auf der Website kimble.org, die von einem gewissen Kim Schmitz betrieben wurde, der heute unter dem Namen Kim Dotcom bekannt ist.

Bussejahn, der sich schon als Schüler auf Computern wie dem Sinclair ZX81 und dem Commodore 64 das Programmieren beigebracht hatte, war fasziniert davon, wie bewegte Bilder, Klänge und Musik zusammenspielten. Eigentlich war Flash von Macromedia als Grafikprogramm entwickelt worden, aber im Juni 1997 hatte Macromind mit Flash 2.0 eine Version des Programms veröffentlicht, die für das Web zugeschnitten war.

Statt großer Bild- oder gar Videodateien konnte man multimediale Inhalte mit dem Programm so minimieren, dass sie im langsamen Netz dieser Zeit übertragen werden konnten. Die erste Website, die komplett in Flash realisiert wurde, war Gabocorp des 17-jährigen Schülers Gabo Mendoza; im selben Jahr entstanden mit "The George Liquor Program" und einer Web-Episode von den Simpsons die ersten Internet-Animationen mit Flash.

Im Auftrag des National Film Boards von Canada informiert diese wunderschöne Seite über Wasser, seine Verschmutzung und seine Verschwendung.

Bussejahn arbeitete sich in das Programm ein und gab auf seiner Website Proben seines Könnens in einem visuellen Stil, der von H.R. Giger und von Science-Fiction-Filmen wie Tron oder Terminator 2 inspiriert war: reflektierende, metallische Oberflächen und Navigationselemente wie auf der Brücke eines Raumschiffs, begleitet von elektronischer Musik. Das Motorrad aus dem Aufmacher dieses Beitrags beispielsweise stammt von Bussejahn.

"Zu dieser Zeit gab es in Deutschland kaum Leute, die Flash beherrschten", erinnert sich Bussejahn heute. Bald standen die Auftraggeber bei ihm Schlange – von Unternehmen wie Bosch und Bertelsmann bis zum Städtischen Krankenhaus Pirmasens und einem DJ Volcano reicht die Liste seiner Kunden. Um der Arbeit Herr zu werden, tat sich Bussejahn mit Bekannten zusammen und gründete das Webdesignunternehmen DerBauer AVM. "Unsere Auftraggeber waren coole Leute, die offen für etwas Neues waren", erinnert er sich heute. "Der Inhalt war nebensächlich; die Seiten mussten ungewöhnlich aussehen."

Besonders herausragende Webseiten verbreiteten sich als frühe virale Inhalte blitzschnell im Netz. Bussejahn gehörte zu einer Gruppe internationaler Flash-Designer, die mit Designpreisen ausgezeichnet und deren Werke in Bildbänden gezeigt wurden. Der technoide Stil, den seine Firma pflegte, war dabei nur eine Gestaltungsoption. Flash war so flexibel, dass damit die verschiedensten Darstellungsformen möglich waren: zarte Kompositionen in gedeckten Farben wie "Rainfall" von Irene Chan waren ebenso möglich wie die vom Betrachter manipulierbaren Skelettkonstruktionen von Joshua Davis "Praystation".

Künstler entdeckten das neue Medium: Im Auftrag des Museum of Modern Art entwickelte der New Yorker Maler Peter Halley eine interaktive Version seiner Gemälde, die Künstler Auriea Harvey and Michaël Samyn veröffentlichten ihre multimedialen Flash-Liebesbriefe unter dem Titel "skinonskinonskin" 1999.

Bei der Entstehung einer eigenen Netzkultur spielte Flash ebenfalls eine wichtige Rolle. Die Technik war nicht nur die Grundlage für das Videostreaming bei YouTube, sondern auch für Browserspiele, die auf Seiten wie newgrounds.com veröffentlicht wurden. Dort tauchten auch die ersten viralen Videos wie "Numa Numa" auf.

Die Spiele-Websites Newsgrounds hat einen Flash-Player herausgebracht, mit dem sich Flash-Games offline spielen lassen.

Kurz vor Redaktionsschluss wurde bekannt, dass mit Flash ein weiterer Klassiker des Online-Spiele-Genres stirbt: Farmville. 80 Millionen Nutzer haben zu den Spitzenzeiten virtuell Getreide ausgesät, Unkraut gejätet, Obst angebaut, Tiere mit Essen versorgt und ihre Bauernhöfe immer weiter ausgebaut. Das Spiel profitierte von seiner engen Integration in Facebook, wo man stolz seine Ernte präsentierte und sich mit Freunden zu einer Kooperative verbündete. Die Avatare, das Vieh und die gesamte Szenerie waren zudem sehr niedlich in Flash umgesetzt.

Das "McDonald’s Video Game", das die italienische Künstlergruppe Molleindustries veröffentlichte, war ebenfalls eine Wirtschaftssimulation, aber eine mit ernstem Hintergrund. Die Künstler haben damit die Geschäftspraktiken des Konzerns kritisiert: Ein früher Vertreter der "Serious Games".

Mit dem Schreibprogramm Word Perhect von Tomoko Takahashi and Jon Pollard notiert man krakelig und unleserlich auf einer Quittung, einer Fahrkarte oder einer Telefonrechnung. Das Resultat lässt sich ausdrucken.

Als Steve Jobs 2010 in einem offenen Brief Flash, das inzwischen von Adobe aufgekauft worden war, als proprietär, fehleranfällig und als Batteriefresser bei Mobilgeräten kritisierte, nahm Bussejahn das nicht weiter ernst: "Wir dachten damals: Was will denn der mit seinem iPhone?" Obwohl Apple die Technik nicht mehr unterstützte, hatte Bussejahns Firma bis Mitte der 2010er-Jahre noch genug Aufträge für Flash-Design.

Die Seite Ishkur‘s Guide to Electronic Music zeigt das Gute und das Schlechte an Flash zugleich: Er nutzt die multimedialen Möglichkeiten virtuos, verwirrt den Besucher aber durch eine unübersichtliche Navigation.

Nichtsdestotrotz begann in der Zeit der Abstieg von Flash. Adobe kündigte 2011 an, die Entwicklung des Flash-Plug-ins für Mobilgeräte einstellen – sprich: für die Plattformen der Zukunft. Website-Betreiber, die Inhalte für Desktop-PCs und mobile Geräte betrieben, begannen in der Folge, sich nach Alternativen zu Flash umzusehen.

Die Webtechnik entwickelte sich rasant weiter und vieles, wofür Flash einmal eine Grundvoraussetzung war, wurde mit Browser-Bordmitteln möglich. YouTube experimentierte bereits 2010 mit einem HTML-Player für Videoinhalte. 2015 wurde dieser zum Standard und im Nachgang Flash komplett von der Plattform verbannt.

Die zunehmende Unbeliebtheit von Flash hatte auch damit zu tun, dass es manche Website-Betreiber einfach übertrieben haben. Viele schicke Websites bekamen einen nutzlosen zappelnden Flash-Splashscreen verpasst – der aber erst mal laden musste und den Besucher zum Warten zwang. Zombo bringt das auf den Punkt.

Und es lädt und lädt ... Zombo ist die wohl beste Parodie der Software und ihres oft gedankenlosen Einsatzes.

Vor allem aber bewirkten immer neue Sicherheitsprobleme, die Adobe einfach nicht in den Griff kriegte, dass Flash an Ansehen verlor. Anders als moderne Browser-Erweiterungen, die aus vergleichsweise harmlosem HTML, CSS und JavaScript bestehen und im Browser laufen, sind Browser-Plug-in wie Flash eigenständige Anwendungen, mit allen Risiken, die das mit sich bringt.

Ende 2016 begann Google, Flash in seinem Chrome-Browser per Default zu deaktivieren: Wenn eine Website noch Flash einsetzte, musste der Nutzer seine explizite Zustimmung geben, dass Flash für diese Website aktiviert wird. Hatten Mitte 2014 noch rund 80 Prozent der Chrome-Nutzer täglich mindestens eine Seite mit Flash-Inhalten geladen, lag dieser Prozentsatz im Frühjahr 2018 bei nur noch 8 Prozent.

Bussejahn sieht das Verschwinden von Flash unsentimental: Mit HTML 5.0 könne man heute die meisten Sachen machen, für die man einst Flash brauchte. "Aber solche verrückten Sachen wie früher mit Flash will heute gar kein Auftraggeber mehr." Die Flash-Site, mit der seine Karriere als Webdesigner begann, bleibt zwar bis auf Weiteres auf seiner Homepage. "Aber wenn ich mal nicht mehr bin, wird das niemanden mehr interessieren."

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Flash ohne Browser

Auch wenn Flash aus dem letzten Browser getilgt sein wird, werden Sie noch Flash-Inhalte nutzen können: Flash-Player machen es möglich. So gibt es zum Beispiel für den Bildbetrachter IrfanView einen Flash-Player als Erweiterung. Auch die Spiele-Seite Newsgrounds hat einen eigenen Player herausgebracht, mit dem Sie Flash-Spiele zocken und andere Flash-Inhalte wiedergeben können, selbst wenn kein Browser das Format mehr unterstützt.

Sie müssen nur die Flash-Dateien aus der Webseite herausprokeln: Sie finden die URL der Flash-Inhalte, indem Sie den HTML-Code der Seite aufrufen. Mit Firefox und Chrome wählen Sie dazu im Kontextmenü „Seitenquelltext anzeigen“ oder die Tastenkombination Strg + U. Suchen Sie im Quelltext nach dem Link zu einer Datei mit der Endung .swf.

Falls ein kompletter Pfad angegeben ist, also etwa in der Form www.[domain].de/[irgendwas]/[dateiname].swf, können Sie diesen direkt in die Adresszeile eingeben. Ist ein relativer Pfad angegeben, findet sich also wie zum Beispiel bei der Site von Jonathan Yuen ein Verweis auf main.swf, dann müssen Sie den vollständigen Pfad zusammensetzen: http://www.jonathanyuen.com/main.swf. Wenn Sie eine SWF-Datei direkt aufrufen, bietet Ihnen Chrome an, sie auf dem PC zu speichern. Firefox zeigt die Flash-Datei meistens als eine große wirre Zeichenfolge an. Speichern Sie sie über das Menü "Datei/Seite speichern unter...".

Flash-Dateien herunterzuladen und sie lokal auszuführen hat bei uns in den meisten Fällen funktioniert, aber nicht immer. Die Methode stößt bei Flash-Dateien an ihre Grenzen, die Inhalte nachladen wollen, etwa bei einer Seite über Wasser des National Film Board of Canada. Chrome warnt nicht ohne Grund, dass "Dateien dieses Typs Schaden an Ihrem Computer" verursachen können. Daher sei hier noch mal explizit gewarnt, egal, ob Sie mit Chrome oder Firefox Flash-Dateien herunterladen: Holen Sie sich nur Flash-Inhalte aus Quellen auf Ihren PC, von deren Seriosität Sie restlos überzeugt sind.

(jo)