Biotechnik: Beerdigung mit Leben
Bei der Entwicklung von nachhaltigen Särgen bietet ein Start-up aus den Niederlanden nun einen Lebendvorschlag: Das Fadengeflecht Pilzmyzel.
Dieser Sarg besteht aus trockenem Pilzgeflecht.
(Bild: Bob Hendrikx/Loop Biotech)
- Veronika Szentpetery-Kessler
Die Nachfrage nach umweltfreundlichen Särgen wächst. Neben Holzmodellen ohne schädlichen Lack stehen zunehmend auch solche aus sich schnell zersetzenden Naturmaterialien wie Kartoffelstärke hoch im Kurs. Bob Hendrikx aus den Niederlanden bietet seit Kurzem ein besonderes Naturmaterial an: Särge aus lebendem Pilzmyzel. Die meist unsichtbar unter der Erde oder anderen Substraten wie Baumstämmen verborgenen Fadengeflechte sollen die Zersetzung der Toten von 10 bis 20 Jahren auf zwei bis drei verkürzen und dabei gleich den Friedhofsboden sanieren.
Videos by heise
Herkömmliche Holzsärge verrotten nur langsam und bilden eine natürliche Barriere zwischen den Bodenorganismen und den Verstorbenen. Deshalb dauert es lange, bis sich die Bakterien in der Erde zu den Leichnamen vorarbeiten können. Särge aus Pilzmyzel vergehen schneller und machen den Weg für die Organismen schneller frei.
Im Erdreich vieler Friedhöfe mangele es jedoch zusätzlich an Mikroorganismen, so Hendrikx. In den Körpern haben sich zu Lebzeiten zu viele Schadstoffe wie Metalle, Öle und Mikroplastik angereichert, die den Bodenorganismen das Leben erschweren. Hier könnten die Myzelsärge ihren zweiten Vorteil ausspielen: Weil sie viele der Problemstoffe unschädlich machen und der Bakterienfauna wieder auf die Beine helfen können, sind „Pilzmyzele die größten Recycler der Natur“, sagt Hendrikx. Gemeinsam mit anderen Mikroorganismen stellen sie den Pflanzen Nährstoffe zu Verfügung.
Erst schwammartig, dann hart
„Living Cocoon“ nennt der 26-jährige Biodesigner und Gründer des Start-ups Loop deshalb seinen Pilzsarg. Um ihn herzustellen, wird zuerst eine zweiteilige Form mit Hackspänen gefüllt und anschließend mit dem Myzel des Glänzenden Lackporlings (Ganoderma lucidum) beimpft. Der auf Bäumen wachsende und nicht zum Verzehr geeignete Pilz ist in Europa, Nordamerika und Asien verbreitet. In der Traditionellen Chinesischen Medizin gilt er als Heilmittel. Andere Pilze seien aber auch nutzbar.
In vier Tagen füllt das Myzel die Substratzwischenräume „wie ein Kleber“. „Wenn man die Formen abnimmt, sieht der neue Sarg noch ein bisschen schwammartig und feucht aus“, sagt Hendrikx. Beim Trocknen hört das Myzel vorübergehend auf zu wachsen und wird hart genug, um bis zu 200 Kilogramm zu tragen. Das fertig getrocknete Produkt ist weißlich-gelb und erinnert optisch an Styropor. „Es riecht aber eher nach Pilzen“, sagt Hendrikx. In der Erde reanimiert die Feuchtigkeit des Bodens das Myzel langsam wieder. Nach vier bis sechs Wochen ist es voll einsatzbereit.
Die erste Pilzsarg-Bestattung in den Niederlanden hat bereits stattgefunden. Auch die übrigen zehn Prototypen, die Hendrikx bisher gefertigt hat, sind bereits verkauft. Privatpersonen könnten sie aus ganz Europa und auch Nordamerika bestellen. Geschäftliche Bestellungen liefere Loop in die ganze Welt. Der Preis liegt mit knapp 1500 Euro im Bereich hochwertigerer Holzsärge.
Um den Preis zu senken, will Hendrikx mithilfe von Forschern des Delfter Naturalis Biodiversitätsinstituts und der Technischen Universität Delft die Umweltbedingungen in der Wachstumsphase verbessern. Darüber hinaus soll genau vermessen werden, wie gut der Myzelsarg die Mikroorganismen im Boden revitalisiert. In Hendrikx’ Zukunftsvision könnten sich Kunden sogar mit ihrer Bestattung am Sanieren und Renaturieren von verschmutzten Gebieten beteiligen.
(bsc)