Was war 2020. Was wird 2021. Blick zurück nicht nur im Zorn.

Es wird spannend, wie sich ein Rückblick auf das Jahr 2020 in 10 oder 100 Jahren darstellt. Schauen wir aber erstmal ganz gelassen auf 2020. Oder nicht?

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 18 Kommentare lesen

(Bild: Nok Lek / Shutterstock.com)

Lesezeit: 9 Min.
Von
  • Hal Faber
Inhaltsverzeichnis

"Ich schreibe diese Zeilen in den letzten Stunden des scheidenden bösen Jahres. Das neue steht vor der Thüre. Möge es minder grausam seyn als sein Vorgänger!", schrieb einstmals Heinrich Heine in Lutezia, dieser "Chrestomathie guter publizistischer Prosa", doch es trifft unsere Sicht auf das abtretende 2020. Kein Wunder, dass die Sätze von der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf zum Zitat des Jahres 2020 gewählt wurden. Wie aber ist es um die Crestomathie der IT-Ereignisse bestellt?

Empfohlener redaktioneller Inhalt

Mit Ihrer Zustimmmung wird hier ein externes Video (Kaltura Inc.) geladen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen (Kaltura Inc.) übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.

Hatte 2020 überhaupt ein anderes Thema als Corona-Pandemie? Das ist eine gute Frage. Das Wort des Jahres, gekürt von der Gesellschaft für deutsche Sprache, knapp gefolgt von Lockdown auf Platz 2 und Verschwörungstheorie auf Platz 3 fasst 2020 in einer Art Dreisprung zusammen. Eigentlich müssten die Wortschatzsucher ja von einer Corona-Seuche sprechen, oder von der leichten Ausgangssperre, die zu schweren Fallzahlen führte. Immerhin ist Verschwörungstheorie ein volkstümliches deutsches Wort und kennzeichnet die Denkanstrengungen einer gemischten Truppe von Menschen, die bereits zu Heines Zeiten bekannt waren: "Es ist schön bei den Deutschen: Keiner ist so verrückt, dass er nicht einen noch Verrückteren fände, der ihn versteht."

Das ist pointiert ausgedrückt und wurde kürzlich von unserer Bundeskanzlerin Angela Merkel sehr nüchtern als Angriff auf unsere Lebensweise interpretiert: "Wie verabschiedet man sich eigentlich aus der Welt der Fakten und gerät in eine Welt, die sozusagen eine andere Sprache spricht und die wir mit unserer faktenbasierten Sprache gar nicht erreichen können?" Bekanntlich steht das "B" im Worte Querdenker für Bildung.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

Mit Ihrer Zustimmmung wird hier ein externes Video (Kaltura Inc.) geladen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen (Kaltura Inc.) übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.

Auch in den unfehlbaren mitzählenden und mitmessenden Heise-Zugriffsstatistiken hat sich Corona als Tickerthema mit den absoluten Top-Platzierungen des Jahres 2020 niedergeschlagen. Einen ersten Höhepunkt gab es Anfang März, als sich Andreas Stiller im Rahmen der Kolumne "Zahlen, bitte!" mit der Fallsterblichkeit beim neuen Virus befasste, kurz nachdem US-Präsident Trump das Virus als harmlose Sache eingeschätzt hatte.

Den absoluten Höhepunkt mit mehr als einer Million PIs erreichte im April ein Telepolis-Artikel, der sich mit der angeblich fehlenden wissenschaftlichen Begründung der Corona-Maßnahmen beschäftigte. Was folgte, war eine schier endlose Debatte um Sinn und Zweck der Corona-Warn-App, nach der heftig im Heise-Forum debattierten Meldung, dass die dafür notwendige Kontaktverfolgung Teil von iOS und Android werden sollte.

Die Debatte war hübsch gesprenkelt mit haltlosen, doch gern wiedergekäuten Annahmen von Politikern und Kulturtheoretikern, dass der deutsche, wahlweise auch der europäische Datenschutz die Arbeit der App behindern würde. Gerne wurde dabei auf das Beispiel Taiwan verwiesen, wo man angeblich keinen Datenschutz kennt und mit wenigen Toten durch die Pandemie gekommen ist. So ist zur Pandemie als Pendant die Infodemie im Nachrichtengeschäft angekommen und macht die Arbeit nicht gerade leichter.

Harte Zahlen, unfehlbare Statistiken? Von wegen. Nimmt man allein die Auswertungen zur Hand, dann wäre diese Meldung über eine mit Wasserstoff betriebene Yacht des Vordenkers Bill Gates mit über 4 Millionen Abrufen die unanfechtbare Top-Meldung des Jahres 2020. Bei näherer Untersuchung der rätselhaften Zahl stellte sich heraus, dass die Meldung lange Zeit über Pocket lief und so die hohen Zugriffszahlen generiert wurden.

Wer möchte, kann diesen Irrläufer unter dem Geraune von der großen "Macht" der Social Media abheften, zusammen mit den Geschichten über all die super programmierten "Bot-Armeen", die fiese Kampagnen über Twitter führen.

Bereinigt man die Zugriffszahlen von Querschlägern aller Art, so entpuppt sich das IT-technische Topthema des Jahres 2020 als alter Bekannter, aber als einer, den man eigentlich gar nicht mehr treffen möchte. Diese Meldung von EU-Regierungen, die das Verbot sicherer Verschlüsselung planen gehört zur gefühlt drölfzigsten Auflage der Cryto-Wars. Wieso ist es eigentlich so schwer für Politiker zu verstehen, dass es entweder eine Ende-zu-Ende-Verschlüsselung gibt oder keine?

Empfohlener redaktioneller Inhalt

Mit Ihrer Zustimmmung wird hier ein externes Video (Kaltura Inc.) geladen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen (Kaltura Inc.) übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.

So geht der endlose Streit über sichere Verschlüsselung in die nächste Runde, gepaart mit irreführenden Beispielen wie der Geschichte um den Messenger von Encrochat, bei dem Nachrichten auf einem Server unverschlüsselt zwischengelagert wurden. Wie fatal die nun erfolgte Resolution zur Entschlüsselung ist, zeigt sich erst in diesen Tagen mit der zusätzlichen Bestimmung, dass IT-Firmen bei der Entschlüsselung Beihilfe leisten sollen. Her mit den kleinen Sicherheitslücken!

Von denen hatte 2020 einige zu bieten. Man denke nur an Ripple20, das zur Jahresmitte die Gemüter bewegte: Kann dieses tolle Internet of Things überhaupt sicher sein? Kann es nicht, wenn man verfolgt, wie manche Firmen auf Amnesia:33 reagierten. Etliche reagierten nicht. Was bleibt, ist die schon länger bekannte technische Forderung, dass das Internet der Dinge kein rechtsfreier Raum sein darf.

Dieser Satz ist zur Genüge aus der Politik bekannt, wo er wahlweise zur Rechtfertigung der Vorratsdatenspeicherung oder zur Bekämpfung der Kinderpornographie verwendet wird. Doch manchmal ist es gar nicht nötig, das Vorratsdaten-Murmeltier zu wecken, wie die Nachricht über die Ermittlungen rund um den Cyberbunker zeigen. Mit 1,2 Millionen Zugriffen brachte sie es unter die Top 10. Das Riesenverfahren wird uns noch im Jahre 2021 beschäftigen.

Geht es nach den harten Zahlen, so kommt man bei der thematischen Addition einzelner Meldungen um eine Erkenntnis nicht herum: Das Gros der Heise-Leser und -Kommentatoren sucht offenbar nach einem gangbaren Weg zum Elektro-Auto. Jeder einzelne Testbericht neuer Autos hat es unter die Top 100 gebracht, ganz zu schweigen von den damit verbundenen, außerordentlich rege diskutierten Meldungen zum Tempolimit oder zur Förderung oder Nicht-Förderung von Verbrennern.

Sowohl der Auto-Gipfel wie der IT-Gipfel der Bundesregierung fanden 2020 im Virtuellen Raum statt, doch wer sorgte für Debatten unter den Foristen? Genau. Zahlenmäßig betrachtet hat nur das akkumulierte heitere Gerüchteraten um das iPhone12 mit dieser Top-Meldung gleichziehen könnte, doch was ist das schon, wenn Apple im nächsten Jahr die nächste Hardware ankündigt?

Apropos Ankündigungen: Im letzten auch nicht so besinnlichen Jahresrückblick wurde der Brexit als das bestimmende IT-Thema des Jahres 2020 vorhergesagt. "Was da alles an IT-Lösungen für den geschmeidigen Warenverkehr erdacht und programmiert werden muss, wird den Newsticker sicher weit über 2020 mit Stoff versorgen." Von wegen. Es wird nach wie vor irgendwie verhandelt, und nicht einmal die riesigen Abstellflächen für LKW sind fertig geworden, weil es in England überraschend regnete. So viel zur Qualität der Glaskugel. Mögen andere mit ihren Vorhersagen mehr Glück haben.

In Deutschland wird 2021 gewählt, nachdem sich das Thema der Corona-Pandemie im Sommer verflüchtigen dürfte – das ist jedenfalls die Hoffnung der Politiker und Politikerinnen. Die nächste Bundeskanzlerin wird genug zu tun bekommen, die Klimaziele wollen schließlich festgelegt werden.

Mit Blick auf diese Wahl ist es nicht überraschend, dass Murmeltiere auch fliegen können: Zur Jahresmitte wurde die seit vielen Jahren geführte Debatte um die Bewaffnung von Drohnen neu gestartet, mit Live-Chats, Expertenanhörungen und flammenden Appellen. Am Ende zog die Regierungspartei SPD die Reißleine, um ihr Profil für die anstehende Wahl zu schärfen. Die Debatte wird auch 2020 weitergehen, wenn mit der Eurodrohne die nächste Drohnengeneration zur Beschaffung ansteht.

Und sonst so? Georg Wilhelm Friedrich Hegel feierte 250. Geburtstag, ebenso Friedrich Hölderlin und Ludwig van Beethoven. Vielleicht hätten wir vergangenes Jahr mehr Hegel und Hölderlin lesen sollen, den Philosophen der Freiheit, statt auf die Dauer-Tweets des Königs der Trolle hereinzufallen. "Um noch über das Belehren, wie die Welt sein soll, ein Wort zu sagen, so kommt dazu ohnehin die Philosophie immer zu spät. Als der Gedanke der Welt erscheint sie erst in der Zeit, nachdem die Wirklichkeit ihren Bildungsprozeß vollendet und sich fertig gemacht hat. [...] Wenn die Philosophie ihr Grau in Grau malt, dann ist eine Gestalt des Lebens alt geworden, und mit Grau in Grau lässt sie sich nicht verjüngen, sondern nur erkennen; die Eule der Minerva beginnt erst mit der einbrechenden Dämmerung ihren Flug."

Ach ja: "Wo aber Gefahr ist, wächst das Rettende auch". In den USA wurde Präsident Trump abgewählt.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

Mit Ihrer Zustimmmung wird hier ein externes YouTube-Video (Google Ireland Limited) geladen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen (Google Ireland Limited) übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.

(jk)