Chef per Los: "Der Zufall ist ein wunderbares Instrument zur Machtbeschneidung"

Nach einer Vorauswahl sollten Managerpositionen im Losverfahren bestimmt werden. Das fordern Professorinnen der Universität Zürich.

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(Bild: Dezay/Shutterstock.com)

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Von
  • Peter Ilg

Werden Chefpositionen nach einer Vorauswahl der Kandidaten per Zufall besetzt, wirkt dies Überheblichkeit, Machtmissbrauch und Diskriminierung entgegen. Das haben Wissenschaftler aus unterschiedlichen Fakultäten der Universität Zürich in Experimenten herausgefunden. Die Ökonomin Margit Osterloh, eine der Forschenden, nennt im Gespräch gute Gründe für den fokalen Zufallsentscheid und sagt auch, weshalb sich das derzeit herrschende Management dagegen wehrt.

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heise online: In Experimenten haben Sie mit anderen Forschenden herausgefunden, dass es für die Wirtschaft besser wäre, wenn Führungskräfte per Losentscheid ausgewählt würden. Das klingt absurd und realitätsfern.

Margit Osterloh

Margit Osterloh: Nun ja, neue Ideen haben es häufig schwer, sich durchzusetzen. Unsere Entdeckung ist zwar nicht ganz neu, denn Zufallsentscheidungen haben in der Geschichte schon immer eine Rolle gespielt, aber das ist in Vergessenheit geraten. Es wird wohl einige Zeit dauern, bis Zufallsverfahren wieder genutzt werden. In der Wissenschaft gibt es bereits Ansätze dafür: Die VW-Stiftung in Deutschland führt ein Pilotprojekt zur Zufallsauswahl von Forschungsförderungsmitteln durch. Auch der Schweizer Nationalfonds experimentiert mit der Idee. In der Wirtschaft kenne ich keine Beispiele, mit innovativen Ideen muss man geduldig sein.

Wenn Führungskräfte mittels Zufallsentscheid ausgewählt werden, lässt sich damit Überheblichkeit und Machtmissbrauch bekämpfen, sowie der Anteil von fähigen Frauen in Führungspositionen fast verdoppeln, geht aus den Experimenten hervor. Aber sind Vorgesetzte überheblich und missbrauchen ihre Macht

Es gibt dafür einige aktuelle und berühmt-berüchtigte Belege. In der Schweiz haben wir den Fall mit Ex-Raiffeisenchef Pierin Vincenz wegen Betrug, Veruntreuung, Urkundenfälschung. In Deutschland ist der ehemalige VW-Vorstandsvorsitzende Martin Winterkorn prominentes Beispiel dafür, dass Hybris dazu führt, Regeln nicht mehr zu beachten. Es gibt eine Vielzahl von Managern, die aufgrund von Selbstüberheblichkeit der Volkswirtschaft unglaublich hohen Schaden zufügt haben. Der Diesel-Skandal ist ein geradezu typischer Fall dafür.

Beschreiben Sie bitte die Versuche.

Die Experimente wurden mit Studierenden unterschiedlicher Fächer der Universität Zürich und der ETH in deren Laboren durchgeführt. Es wurden Sechsergruppen gebildet, die Aufgaben am Bildschirm lösen mussten. Von allen Probanden wurden die drei mit den besten Ergebnissen ausgewählt. Parallel dazu haben wir zwei Vergleichsgruppen gebildet. In einer wurde ein Führungstrio per Zufall, in der anderen aus den drei besten per Zufallsauswahl bestimmt. Anschließend haben wir die übliche Leistungsauswahl mit einer reinen und einer fokalen Zufallsauswahl verglichen. In unseren Experimenten waren dies die besten Kandidaten. Das ist die entscheidende Gruppe für unsere Erkenntnisse. Die reine Zufallsauswahl hat sich als nicht wichtig herausgestellt.

Was ist so besonders an dieser fokalen Zufallsentscheidung?

Fokal bedeutet, dass eine Vorauswahl nach Kompetenz und Leistung stattfindet, die Entscheidung somit nicht willkürlich ist, sondern fachlich fundiert. Dies ist auch das Prinzip in den Pilotprojekten der VW-Stiftung und des Nationalfonds. Herkömmliche Kriterien bedeutet zwangsläufig, dass gewöhnliche Vorurteile gelten. Aber das ist der Preis für die Verbindung von Kompetenz einerseits und den Vorteil der Zufallsauswahl andererseits.

Was spricht dafür, dass eine zufällige Zahl darüber bestimmt, wer letztendlich das Sagen hat?

Diese Menschen sind weniger überheblich, achten eher Regeln und haben höhere pro-soziale Gesinnung und Verhaltensweisen. Das sind die Vorzüge auf Seiten der Führer. Auch die Geführten haben Vorzüge durch die beschriebene Zufallsauswahl: diejenigen, die nicht zum Zug kommen, behalten ihr Gesicht, weil ein Losentscheid sich nicht auf das Selbstbewusstsein auswirkt, sondern schlicht auf mangelndes Glück zurückzuführen ist. Deshalb ist deren Kooperation mit dem Führer deutlich besser, als wenn Führungskräfte per Leistungsauswahl bestimmt werden.
Und drittens gilt für alle Zufallsentscheidungen: Diskriminierung und Vorurteile spielen keine Rolle. Durch die zufällige Wahl der Führer bekommen etwa bildungsferne Schichten bessere Chancen aufzusteigen, weil alle Formen von Diskriminierung ausgeschaltet sind.

Dadurch kämen wohl Frauen häufiger in Führungspositionen.

Ja, und das aus Sicht der Angebots- und Nachfrageseite. Auf der Nachfrageseite werden Frauen im Berufsleben immer noch diskriminiert. Auf der Angebotsseite bewerben sich qualifizierte Frauen weniger, wenn es um die Besetzung von Managementpositionen geht oder sie wollen nicht, wenn sie für eine höhere Position vorgeschlagen werden. Deshalb das geringe Angebot an Frauen bei der Besetzung von Chefsesseln. Besonders leistungsfähige Frauen haben eine Abneigung im Wettbewerb gegen Männer in deren typischen Domänen. Mit der fokussierten Zufallsauswahl fällt der Gender-Gap weg und es nehmen genauso viele gute Frauen wie Männer am Wettbewerb teil.

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Die Chefs von heute haben sich Ihre Position oft hart erarbeitet. Hebelt der Losentscheid das Leistungsprinzip aus, wenn Einsatz nicht mehr belohnt wird?

Wir reden über die fokale Zufallsauswahl. Also müssen sich die Menschen anstrengen, um in die engere Wahl zu kommen, bevor der Würfel fällt. Es gibt also mehrere gleich gute Kandidaten, die infrage kommen für den Chefposten. So arbeitet jeder professionelle Headhunter und macht seinem Auftraggeber mehrere Vorschläge. An der Universität Basel wurden im 18. Jahrhundert Professorenstühle durch fokale Zufallsentscheidungen besetzt. Dies ist ein historisches Beispiel das zeigt, dass die Idee funktioniert. Wenn mehrere die Chance haben aufzusteigen, strengen sich mehrere an. Die Leistungsbereitschaft steigt also insgesamt.

Für welche Gruppe von Chefs eignet sich dieses Auswahlverfahren: nur für den Thron oder für jede Sprosse auf der Karriereleiter?

Ich kann mir das Verfahren vom Prinzip über die gesamte Hierarchieebene vorstellen. Aber vom Hochmut ist vor allem die Spitze befallen. Deshalb würde ich oben beginnen und die Zufallsauswahl nach unten ausdehnen.

Der Ansatz scheint rational zu sein. Warum wird das Verfahren dann nicht angewandt?

Weil die Chefs den Kontrollverlust fürchten. Dies ist auch schon eine Form von Überheblichkeit, weil sie meinen, nur sie können erkennen, wer sich für eine Führungsposition eignet. Und die Chefs haben keine Seilschaften mehr, wenn sie die ihnen hörigen Leute nicht auf bestimmten Positionen haben. Das Zufallsverfahren reduziert die Macht derer, die bislang entscheiden, deshalb wehren sie sich gegen den fokalen Zufallsentscheid. Der Zufall ist ein wunderbares Instrument zur Beschneidung von Macht.

(mho)