Online-Massenüberwachung zwischen Schweiz und dem Ausland auf dem Prüfstand

Verletzt der Schweizer Geheimdienst mit seiner "Kabelaufklärung" Grundrechte? Das Bundesverwaltungsgericht muss dies nun klären.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 10 Kommentare lesen

(Bild: muhammadtoqeer/Shutterstock.com)

Lesezeit: 5 Min.
Von
  • Tom Sperlich
Inhaltsverzeichnis

Der Verein Digitale Gesellschaft, der sich in der Schweiz für Bürgerrechte und Konsumentenschutz einsetzt, hat zusammen mit privaten Beschwerdeführern einen Etappensieg vor dem Schweizer Bundesgericht errungen. Das Gericht hob ein zuvor erfolgtes Urteil des Bundesverwaltungsgerichts auf. Bei dem Urteil ging es um die sogenannte Funk- und Kabelaufklärung, mit der der Nachrichtendienst des Bundes (NDB) in Kooperation vor allem mit dem Zentrum für elektronische Operationen der Armee (ZEO) die Telekommunikationsverbindungen, welche von der Schweiz ins Ausland führen, überwacht. Anhand von Stichwörtern sowie IP-Adressen wird der E-Mailverkehr und die Internetkommunikation zwischen der Schweiz und dem Ausland dann auch durchsucht.

Da aber ein Großteil der Onlinekommunikation der Schweizer Bevölkerung über ausländische Server und Netze geleitet wird, sind schlussendlich alle Menschen die sich in der Schweiz aufhalten und sich online bewegen von den Überwachungsmaßnahmen betroffen.

Gegen diese "anlasslose und verdachtsunabhängige Massenüberwachung", so die Digitale Gesellschaft, begann selbige mit der Begründung vorzugehen, die Funk- und Kabelaufklärung verletze die in der Bundesverfassung (BV) sowie in der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) verankerten Grundrechte. Zunächst wandten sich die Beschwerdeführerinnen und Beschwerdeführer 2017 an den Nachrichtendienst selbst und forderten im Wesentlichen die Einstellung der Maßnahmen. Der NDB wies die Forderungen zurück und führte an, es würden keine durch die Verfassung und die EMRK garantierten Grundrechte verletzt. Der NDB setze das Nachrichtendienstgesetz um, welches das Parlament verabschiedet und das Stimmvolk in einem Referendum angenommen habe.

Die Digitale Gesellschaft und die Beschwerdeführenden – darunter Journalistinnen und Journalisten sowie der Schweizer Anwalt Edward Snowdens – legten daraufhin Beschwerde beim Schweizer Bundesverwaltungsgericht (BVGer) ein, welches ihnen aber im Juni 2019 ein Recht auf Beschwerde absprach. Die Begründung des BVGer war unter anderem, dass mit dem datenschutzrechtlichen Auskunftsrecht die Möglichkeit bestehe, die Verletzung von Grundrechten durch den Geheimdienst zu rügen. Eine "rechtmäßige Überwachung" könne so gerichtlich durchgesetzt werden.

Der Verein widersprach dieser Darstellung und argumentierte, dass überwachte Personen über kein Auskunftsrecht über eine geheime Überwachung verfügen könnten: "Ein – beschränktes – Auskunftsrecht besteht lediglich für Daten, die nachträglich in einem geheimdienstlichen Informationssystem abgespeichert werden. Eine solche Speicherung beim Geheimdienst erfolgt erst, nachdem die gescannten Datenströme zu einem Treffer geführt haben und ein solcher Treffer einer Person zugeordnet wurde".

Die Kläger zogen deshalb vor das Schweizerische Bundesgericht, die höchste juristische Instanz des Landes. Das hob das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts nun auf und weist die Sache zurück an das Gericht. "Dieses wird materiell zu prüfen haben, ob die Funk- und Kabelaufklärung Grundrechte der Beschwerdeführenden gemäß BV und EMRK verletzt und, wenn ja, welche Rechtsfolge daran zu knüpfen ist", teilt das Bundesgericht mit. Dabei seien, nebst den gesetzlichen Grundlagen, "auch allfällige interne Richtlinien und Weisungen, die effektive Vollzugspraxis der Behörden sowie die tatsächliche Kontrollpraxis der Aufsichtsbehörden zu berücksichtigen".

Der Anspruch der Beschwerdeführenden auf Prüfung ihrer Gesuche durch das BVGer ergebe sich aus Artikel 13 EMRK, so das Bundesgericht. Demzufolge darf ein mutmaßliches Opfer einer Konventionsverletzung bei einer nationalen Instanz eine wirksame Beschwerde einlegen. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat in seiner Rechtsprechung die zentrale Bedeutung des innerstaatlichen Rechtsschutzes bei der Überprüfung von geheimen Massenüberwachungssystemen betont, schreibt das Bundesgericht in seiner Medienmitteilung. Damit räumt das Bundesgericht ein, dass es sich bei der schweizerischen Funk- und Kabelaufklärung um eine Massenüberwachung handeln könnte. Ein solches Gesamtsystem müsse mindestens von einer unabhängigen Behörde geprüft werden können, bevor Betroffene mit einer Beschwerde an den EGMR gelangen könnten.