rC3: Corona-Realität in der Notaufnahme

Eine Berliner Ärztin hat auf dem Hackerkongress Einblicke in den Notaufnahme-Alltag gegeben. Das gefährliche Halbwissen auf Twitter & Co. sieht sie kritisch.

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Momentaufnahme aus der Rettungsstelle

(Bild: CC by 4.0 rC3 media.ccc.de)

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Die Internistin Elisa Stein, Ärztin in der Rettungsstelle des Vivantes-Krankenhaus in Berlin-Friedrichshain, hat auf dem Hackerkongress rC3 über ihren Alltag in der Notaufnahme berichtet. Die Situation spitzt sich aktuell zu: "Viele sterben, egal ob an, mit oder durch Corona in Pandemiezeiten." Sie hat daher kein Verständnis für "Querdenker" und Covid-19-Leugner, die sich stunden- und tagelang über Spitzfindigkeiten der eigentlichen Todesursache in sozialen Netzwerken austauschen. Missinterpretierte Statistiken und Fakten, mit denen häufig falsch argumentiert werde, bestimmten den öffentlichen Diskurs über die Pandemie und ihre Auswirkungen.

Viele mehr oder weniger fundierte Forschungsergebnisse und Meinungen würden derzeit unkritisch aufgenommen und diskutiert, monierte Stein. Andererseits herrsche eine gewisse Expertenhörigkeit. "Man muss kritisch betrachten, wer sagt was, aber ohne in die Verschwörungsecke abzurutschen", hält sie den Schwurblern entgegen. Viele schrieben sich nun mit Sophie-Scholl-Pathos auf die Fahnen, Regierungskritiker zu sein.

In der Klinik, in der sie als Internistin arbeite, ist die Notaufnahme laut der Medizinerin in drei Bereiche aufgeteilt worden. Der "normale" Sektor sei vorbehalten für Probleme jenseits von Corona. Die baulich isoliert Infektionsrettungsstelle werde komplett abgeschirmt. Dort dürften Ärzte und Pfleger nur mit Komplettschutz inklusive Brille, Kittel, Visier und Handschuhen hinein. Dann gebe es noch eine Zwischenstation für Neuankömmlinge mit akuten Atemwegserkrankungen und Fieber, bei denen es sich aber nicht zwingend um Corona handele. Wenn darunter schon jemand infiziert sei, handle es sich "ein bisschen um ein Lotteriespiel".

Die Berliner Ärztin Elisa Stein

(Bild: CC by 4.0 rC3 media.ccc.de)

Reine Verdachtsfälle würden nicht auf ein Zimmer gepackt, versicherte die Insiderin. Es gebe aber Zeiten, wo gleichzeitig viele Patienten mit der Feuerwehr eingeliefert würden und sich Schlangen vor den Räumlichkeiten bildeten: "Wir müssen dann eine Einschätzung machen: Intensiv, Normal, gleich nach Hause." Sobald CT-Bilder vorlägen, seien diese eine gute Hilfe noch vor den Testergebnissen: Covid-19 verteile sich auf beide Lungenseiten, die milchglasartig wirkten. Eine bakterielle Entzündung sei dagegen kompakt auf eine Seite konzentriert.

Eine Triage, also die Entscheidung, wer gegebenenfalls bei knappen Intensivbetten, Personal und Geräten maschinell beatmet wird, "ist nichts Neues", stellte Stein klar. Hier spielten viele Faktoren eine Rolle, auch ethische. So stelle sich etwa die Frage, wie alt ein Patient sei, wie viele Vorerkrankungen wie Diabetes oder Krebs er habe, ob er eine Beatmung wünsche und ob es sich voraussichtlich um eine temporäre oder dauerhafte Maßnahme handeln würde. Viel bringe eine Patientenverfügung oder Vorsorgevollmacht.

Ungewöhnlich sei nun in Pandemiezeiten, dass Ärzte solche Abwägungen zusammen mit Chefs, Pflegern und Angehörigen unter Zeitdruck und vielen anderen wartenden Kranken in der Regel am Telefon treffen müssten. Erschwerend komme hinzu, dass man dafür "ständig ein Wischtuch" und verschiedene Handschuhe brauche, um überhaupt noch den Hörer in die Hand nehmen zu können. Über den Lautsprecher sei die Tonqualität schlecht. Generell sei es das Frustrierendste an der Corona-Situation, dass "die Zeit, die Kraft fehlt für mehr Menschlichkeit und Zuwendung".

In sozialen Medien kursierenden Diagrammen, die Sterblichkeit und Infektionsraten von Covid-19 und anderen Erkrankungen der Atmungswege gegenüberstellen, sollte man der Ärztin zufolge keinen Glauben schenken. Diese seien "meist zusammenkopiert" und bildeten Realität nicht ab. Für sie sei auch erstaunlich, dass gerade junge Leute Wochen nach einer Infektion über Brustschmerzen klagten, dann mit Lungenembolien zu kämpfen hätten oder sich wegen Problemen beim Luftholen kaum mehr sportlich betätigen könnten.

Impfungen auch mit den neuen RNA-Vakzinen griffen nicht in die menschliche DNA ein, betonte Stein. Enthalten sei ein Stückchen Ribonukleinsäure aus dem Virus in Form einer Blaupause, die für ein Antigen codiert sei. Diese Vorlage werde im Körper repliziert und das Immunsystem bekämpfe den Partikel. Erscheinungen wie Müdigkeit, Fieber oder Muskelschmerzen seien keine Virussymptome, sondern die eigene Immunantwort. Sie wisse nicht, ob später noch mit Nebenwirkungen oder Langzeitfolgen gerechnet werden müsse. Solche seien aber etwa auch bei Naturarzneimitteln oder Energydrinks möglich. Für den Fall, dass jemand schon Covid-19 durchgemacht und Antikörper entwickelt habe, sei eine zusätzliche Impfung nicht schädlich.

(sea)