Impfungen gegen Coronavirus haben begonnen: Zugang bald nur noch mit Zertifikat?

Dringend benötigte Impfstoffe wurden in Rekordzeit entwickelt. Aber eine schnelle und problemlose Rückkehr zur Normalität werden sie nicht bringen.

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Corona-Warn-App

Die deutsche Corona-Warn-App setzt vor allem auf Freiwilligkeit.

(Bild: dpa, Michael Kappeler/dpa)

Lesezeit: 7 Min.
Von
  • Lindsay Muscato
  • Cat Ferguson
Inhaltsverzeichnis

Was am Anfang der Coronavirus-Pandemie noch fast undenkbar erschien, ist jetzt real: In Rekordzeit wurden Impfstoffe entwickelt, um sie in den Griff zu bekommen. Das brachte dringend benötigte Hoffnung in eine Weihnachtszeit, die ansonsten von Tod und Angst überschattet war.

Doch während weltweit Vorbereitungen für Massenimpfungen getroffen werden, wartet die Öffentlichkeit noch auf Antworten auf grundlegende Fragen: Wer bekommt wann eine Impfung? Wie wird man darüber informiert? Werden Arbeitsstätten, Schulen oder Behörden eine Impfbescheinigung sehen wollen, bevor wir sie betreten dürfen? Während hier in Deutschland noch betont wird, dass dies nicht in Frage komme, sind andere Länder bereits dabei, solche Schritte vorzubereiten.

Alles dreht sich dabei um „Impf-Zertifikaten“ oder „Immunitätspässe“, um analoge oder digitale Belege für eine Impfung also. Manche Experten sehen sie als eine Möglichkeit, zum Alltag zurückzukehren. Andere dagegen warnen vor Datenschutzrisiken und der Gefahr von Diskriminierung und Missbrauch.

Diese Diskussionen sind noch weitgehend spekulativ. Doch Fragen von Verifizierung, Datenschutz und Ethik betreffen nicht erst die Impfung. Schon jetzt verwenden Regierungen und Unternehmen tagtäglich Corona-Informationen, um zu entscheiden, was für wen zulässig ist.

An einer Verpflichtung, die eigene Impfung gegen einen Erreger nachzuweisen, wäre nichts Revolutionäres. Manche Länder verlangen bei der Einreise den Nachweis einer Gelbfieber-Impfung, viele Schulen nehmen nur Kinder mit aktuellem Impfstand auf. Auch eine offizielle Erfassung, wer welche Impfung bekommen hat, ist nicht neu. Nationale und lokale Regierungen in aller Welt betreiben Register, die von Ärzten mit Impf-Informationen gefüttert werden.

Hinter den Kulissen gibt es jedoch einige Aktivität, diese Nutzung auszubauen, zum Teil sehr schnell. Regierungen, Fluggesellschaften, Arbeitgeber, Universitäten und viele andere Stellen diskutieren intensiv darüber, wie und warum Menschen überprüfte Gesundheitsdaten vorlegen sollten.

Manche Begriffe in dieser Diskussion sind verwirrend. Immunitätspass zum Beispiel: In manchen Situationen könnte er funktionieren wie ein echter Pass – man könnte an einem ausländischen Flughafen ankommen, das Smartphone zücken und einen digitalen Eintrag zur Impfung oder einem negativen Testergebnis einscannen lassen. Ähnlich könnten solche Einträge als Zugangskontrolle bei der Arbeit oder zu Restaurants, Bars oder Einkaufszentren dienen.

Solche Methoden könnten uns zurück in die „Normalität“ bringen, argumentieren ihre Anhänger. Doch ihrem Einsatz stehen sowohl medizinische als auch technische Hürden entgegen.

Mehrere Impfstoffe sind zwar sehr effektiv darin, keine Symptome von Covid-19 ausbrechen zu lassen; allerdings ist noch nicht klar, ob sie auch eine Infektion und das symptomlose Weiterverbreiten des Virus verhindern. Studien mit dem Impfstoff von Oxford-AstraZeneca sprachen dafür, dass er die Übertragung durch Träger des Virus ohne Symptome verringern könnte. In Studien von Pfizer und Moderna aber wurde nicht regelmäßig geprüft, ob die symptomfreien Probanden mit dem Virus infiziert waren.

Ob eine Impfung auch verhindert, dass man andere mit dem Coronavirus infiziert, und wie lang die eigene Immunität anhält, werden erst weitere Daten genauer erkennen lassen. Dabei darf man zudem nicht vergessen, dass die Antworten bei unterschiedlichen Impfstoffen verschieden sein können.

Bis solche entscheidenden Informationen vorliegen, ist eine Impfbescheinigung von begrenzter Aussagekraft: Sie belegt nur, dass Sie an einem bestimmten Datum eine Impfung erhalten haben – aber nicht, dass Sie das Virus nicht in sich tragen oder nicht bekommen können. Einstweilen bleibt der beste Nachweis für fehlende Ansteckungsgefahr ein negativer Corona-Test. Aber weil auch solche Tests nicht perfekt sind, sollte jeder weiterhin die offiziellen Richtlinien zur Vermeidung einer Weiterverbreitung beachten.

Für gefälschte Test-Ergebnisse ist bereits ein boomender Schwarzmarkt entstanden, der das Vertrauen in gedruckte Nachweise schwinden lässt. Vor diesem Hintergrund steigt das Interesse an fälschungssicheren Digital-Dokumenten.

Viele Regierungen sowie Fluggesellschaften und andere Unternehmen experimentieren mit Apps als „Gesundheitspässen“. Deren Nutzer können teilnehmende Labore und Gesundheitssysteme bitten, authentifizierte Testergebnisse und andere Daten direkt an die App zu senden, was das Problem der Verifizierung löst.

Auf diesem Feld tummeln sich viele Anbieter, darunter IBM, das Commons Project und die Covid Credentials Initiative. Sie gehen das Problem auf unterschiedliche Weisen an, haben aber letztlich dasselbe Ziel: Menschen sollen erforderliche Informationen über ihren medizinischen Zustand teilen, ihre übrige Privatsphäre aber schützen können. Doch eine schnelle Lösung zur breiten Nutzung ist noch nicht verfügbar.

Derzeit konzentrieren sich die meisten Anbieter von Pass-Apps auf Testergebnisse. Aber ihre Technologien könnten auch mit Impfdaten funktionieren – vorausgesetzt, dass alle Systeme zusammenarbeiten.

Leider ist das eine viel größere Herausforderung als das Unterschreiben von Vereinbarungen mit wenigen großen Test-Anbietern. Jede Verbindung von Systemen über Grenzen hinweg bedeutet, dass ein Flickenteppich an Sprachen, Datenbanken und Datenschutzgesetzen ins Spiel kommt. Selbst in Großbritannien, wo das National Health System eine Impf-Datenbank betreibt, hat die Regierung Gespräche über „Pässe“ für Geimpfte ausgesetzt.

In den USA könnte ein allgemeingültiger Impfnachweis so gut wie unmöglich sein, denn Patientendaten sind dort über zehntausende Unternehmen im Gesundheitsbereich verteilt. Vergessen Sie Standards für digitale Interoperabilität – viele amerikanische Ärzte verschicken Akten immer noch per Fax. Zwar werden die meisten Impfungen in bundesstaatlichen oder lokalen Registern festgehalten. Aber deren Nutzung zur digitalen Verifikation könnte an rechtlichen wie technischen Faktoren scheitern.

Selbst wenn es die nötigen technischen Hilfsmittel gäbe: Menschen aufgrund ihres Impfstatus normale Aktivitäten zu verbieten, bringt schwere ethische und rechtliche Probleme mit sich. Noch gibt es in keinem Land eine Impfpflicht. Außerdem wird vielen ansonsten Berechtigten (zum Beispiel schwangeren Frauen oder Allergikern) geraten, mit einer Impfung noch abzuwarten, bis mehr Daten vorliegen.

Zudem wollen oder können manche Menschen kein Smartphone für ihre medizinischen Daten nutzen. Das könnte insbesondere für Gruppen gelten, die von der Pandemie am schwersten betroffen sind, also Ältere, Obdachlose oder Personen ohne Papiere.

Und wenn schon Länder mit erheblichen Ressourcen einige Herausforderungen zu meistern haben, kann man sich kaum vorstellen, dass jede kleine Klinik weltweit QR-Codes zu ihren Impfungen ausgibt.

Unabhängig davon, wie begeistert Bürger und Unternehmen bereit sind, mit Hilfe von Impfnachweisen zur Normalität zurückzukehren: Noch gibt es viele Gründe dafür, mit Blick auf eine Hightech-Lösung für alle Probleme skeptisch zu sein.

Selbst wenn alle Schichten von digitaler und analoger Infrastruktur miteinander kommunizieren würden, ist immer noch nicht bekannt, ob eine Impfung auch Schutz für das eigene Umfeld bedeutet.

Derzeit leben wir in einer Welt, in der es in einer Hinsicht echten Fortschritt gibt: In atemberaubender Geschwindigkeit wurden Impfstoffe entwickelt. Mit Flugzeugen und Lastwagen werden sie derzeit an Patienten in der ganzen Welt verteilt. Auf die Rückkehr der Normalität müssen wir in der Zwischenzeit aber noch etwas warten.

Mitarbeit: Mia Sato

Die Originalversion dieses Beitrags wurde im Rahmen des "Pandemic Technology Projects" der Rockefeller Foundation unterstützt.

(sma)