Hunderte Millionen Euro für Künstliche Intelligenz, aber kaum normative Regeln

In Baden-Württemberg werden Hunderte Millionen Euro in den Hoffnungsträger KI gesteckt. Bei der KI-Regulierung kann die Politik das Tempo aber nicht mitgehen.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 19 Kommentare lesen

(Bild: sdecoret/Shutterstock.com)

Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Tatjana Bojic
  • dpa

Forschung im Bereich der Künstlichen Intelligenz (KI) kann aus Sicht des Medien- und Technikethikers Thilo Hagendorff weitreichende Folgen für verschiedene Bereiche der Gesellschaft haben. Denn mit KI können Programme etwa aus Profilbildern von Menschen mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit auf deren politische, sexuelle Orientierung oder Persönlichkeitsmerkmale schließen. Das Gefahrenpotenzial solcher Anwendungen darf aus Sicht von Hagendorff nicht vernachlässigt werden. "Der Umgang mit solchen Ergebnissen ist nicht ausreichend geregelt", sagt Hagendorff, der im Exzellenzcluster Maschinelles Lernen an der Universität Tübingen arbeitet.

Dies liegt laut Hagendorff auch an mangelnder Regulierung. "Wir haben in den allermeisten Fällen eine reaktive Reparaturpolitik anstatt einer proaktiv agierenden Steuerungspolitik." Die Technikbranche sei ein hochbeschleunigtes System, das unendlich schnell erfinde, je mehr Geld man hineinstecke. Die politischen Mühlen mahlten hingegen naturgemäß viel langsamer. Die KI erlebe seit einigen Jahren wieder einen Boom. "Wir sind jetzt in einer Sondierungsphase, denn wir haben noch kein normatives Rahmenwerk, auf das sich die Gesellschaft geeinigt hat", sagte Hagendorff. "Einen Fahrplan im großen Stil gibt es nicht."

Im Bereich KI unternimmt Baden-Württemberg große Anstrengungen. So werden die Wissenschaftsstandorte "Cyber Valley" in Tübingen/Stuttgart zurzeit kräftig ausgebaut. Das Land steckte nach Auskunft von Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) bisher 140 Millionen Euro in den Forschungsverbund. Die Hector Stiftung will die Berufung von KI-Spitzenwissenschaftlern im "Cyber Valley" mit bis zu 100 Millionen Euro fördern.

Nach dem "Cyber Valley" und beispielsweise dem Karlsruher Institut für Technologie (KIT) in Karlsruhe soll schon bald auch die Entscheidung über einen Standort für den geplanten Innovationspark für künstliche Intelligenz (KI) fallen. Der Landtag hatte im Grundsatz 50 Millionen Euro für das Projekt freigemacht. In dem Park sollen sich Wissenschaftler, Unternehmen und Investoren vernetzen und unter bestmöglichen Bedingungen arbeiten können.

KI ist nach Auskunft von Wirtschaftsministerin Nicole Hoffmeister-Kraut (CDU) die Schlüsseltechnologie der Zukunft. "Baden-Württemberg darf hier nicht den Anschluss verlieren. Wir wollen künftig zum einen Nutzer, zum anderen vor allem aber auch global bedeutender Lieferant von KI-basierten Produkten und Dienstleistungen sein", sagt sie. "Wir dürfen hier keine Zeit verlieren und wollen den Innovationspark KI noch 2021 in die Umsetzung bringen."

Empfohlener redaktioneller Inhalt

Mit Ihrer Zustimmmung wird hier eine externe Umfrage (Opinary GmbH) geladen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen (Opinary GmbH) übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.

Doch wer hilft den Forschern und deren Vorhaben, sie auf ethische und gesellschaftliche Fragen hin zu reflektieren? Im "Cyber Valley" wurde im Jahr 2019 dazu ein "Ethikbeirat" (Public Advisory Board) gegründet. Dem unabhängigen Gremium gehört auch Ulrich Hemel an, Direktor des Weltethos-Instituts in Tübingen. "Der Beirat ist eine Besonderheit allerersten Ranges. Weltweit ist es das erste und einzige Mal, das wir so eine zivilgesellschaftliche Plattform haben."

Hemel und seine Kollegen beschäftigen sich wie Hagendorff mit den Themen Ethik und der Abschätzung von Technikfolgen. Mit Lukas Weber ist auch ein Vertreter der Klimaschutzbewegung "Fridays for Future" dabei. Die Kernaufgabe ist die Diskussion von Forschungsanträgen, die von Forschenden der Universitäten Stuttgart und Tübingen und dem Max-Planck-Institut für Intelligente Systeme gestellt werden können.

"Jetzt zünden wir die nächste Stufe der Rakete. Denn wir wollen den Forschern eine ethische Grundausbildung anbieten. Damit haben wir ein Pfund, mit dem wir wuchern können, indem wir ethische und soziale Fragen in die Forschung einbinden", sagt Hemel. Eine digitale Anwendung bemesse sich daran, ob sie Menschlichkeit fördere, sie hemme oder ihr sogar schade. Die KI sei eine gute Sache. Man könne mit ihr natürlich auch schreckliche Dinge anstellen. "Aber wir sind der KI nicht hilflos ausgeliefert. Wir können eine von der KI beeinflusste Welt auch steuern, obwohl wir nicht jede Einzelheit hinter der Steuerung verstehen."

(olb)