Russische Mönche entdecken das Internet
Mit Hilfe des World Wide Web will die orthodoxe Kirche Russlands ihre weit verstreuten Schafe besser erreichen.
Jeden Morgen nach dem Frühgebet eilt der orthodoxe Mönch Sergej in die warme Stube an den Computer. "Wir müssen mit der neuen Zeit Schritt halten", sagt der mit Kutte und Kappe ganz in Schwarz gekleidete junge Mann, während er die eingegangenen E-Mails für das St. Nikolaus-Kloster der Heiligen Dreifaltigkeit abruft. Im fernen Osten Russlands an der Pazifikküste, mehr als 6000 Kilometer und sieben Zeitzonen vom Patriarchen in Moskau entfernt, ist das Internet häufig die einzige Möglichkeit, mit den Gläubigen in Kontakt zu treten.
Zwar können sich nur die wenigsten Menschen in der russischen Provinz einen eigenen Computer leisten, doch die Zahl der Internet-Nutzer steigt im größten Flächenland der Erde stetig. Im Nikolaus-Kloster kümmert sich der Abt persönlich um die elektronische Visitenkarte seiner Einrichtung. "Auf unserer Website haben wir interessantes Material zur Geschichte unseres Klosters zusammengestellt", sagt Vater Feofan dem Fernsehsender ORT. Auch Videoclips vom geistigen Leben an der Pazifikküste sollen eingespielt werden.
Das Nikolaus-Kloster ist das einzige im Gebiet Primorje. Es betreut Gläubige, die auf einer Fläche fast halb so groß wie die Bundesrepublik verstreut leben. Seit jeher gelten die Klöster als religiöse Bollwerke des orthodoxen Glaubens.
Den Umgang mit dem Computer haben sich die Mönche selbst beigebracht. Im Mittelpunkt ihrer "weltlichen" Arbeiten stehen aber der Wiederaufbau der Klosteranlage sowie Ackerbau und Viehzucht als Selbstversorger. Noch vor einigen Jahren lagen die Klostergebäude in der Ortschaft Gornyje Kljutschi (zu deutsch: Bergquellen), 300 Kilometer nördlich von Wladiwostok, in Trümmern. Mit Hilfe von Glaubensbrüdern in London soll das Internet-Angebot des östlichsten orthodoxen Klosters auch bald auf Englisch im weltweiten Netz vertreten sein.
Obwohl auch auf russischen Websites immer mehr Gewalt und Pornografie verbreitet werden, will die russisch-orthodoxe Kirche dem Medium nicht im Wege stehen. Kirchliche Newsportale verbreiten die Meinung des Patriarchen Alexi II. zu wichtigen politischen und gesellschaftlichen Ereignissen.
Für religiöse Toleranz ist der orthodoxe Klerus im fernen Osten Russlands allerdings nicht bekannt. So beklagt etwa der Pfarrer der evangelisch-lutherischen Johannesgemeinde im benachbarten Chabarowsk, Markus Lesinski, Anfeindungen von Seiten der orthodoxen Mehrheitskirche in seinem Gebiet am Fluss Amur. Gegenüber heise online äußerte der aus Hannover stammende Theologe: "Ich komme mir hier manchmal vor wie im Mittelalter". (tig)