Kommentar zu Reddit vs. Wall Street: Schafft zwei, drei, viele GameStops

Ein Schwarm von Kleinanlegern verpasst den Herrschern der Aktienwelt eine tüchtige Abreibung. So muss die Hand des Marktes aussehen, findet Axel Kannenberg.

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(Bild: Pixels Hunter / shutterstock.com)

Lesezeit: 3 Min.

Als einem Kind der Bundesrepublik gab man sich viel Mühe, mir beizubringen, dass ein freier Markt die beste Wirtschaftsform sei. Nach dem, wie große Unternehmen und Investoren derzeit auf die Aktienrally der Onlinecommunitys reagieren, scheint es: Sie glauben selbst nicht die Bohne daran. Freiheit am Markt, die möchten sie wohl vor allem für sich reservieren, für die kleinen Marktteilnehmer lautet offenbar die Parole: "Bürger, Sie haben nichts gesehen."

Ein Kommentar von Axel Kannenberg

Axel Kannenberg durchforstet seit 2012 für heise online die unendlichen Weiten des Internets nach News, die noch nie ein Mensch zuvor gesehen hat. Beherrscht die edle Kunst des Beleidigungsfechtens. Hat 2013 einen Döner für umgerechnet mehrere Tausend Euro genossen (nach heutigem Bitcoinkurs).

Und damit meine ich nicht nur die bei ihren Wetten empfindlich gestörten Hedgefonds und Finanzgranden. Oder die NASDAQ-Chefin, die von Manipulation spricht. Und erklärt, dass man den Handel mit bestimmten Aktien auch aussetzen könne, wenn es ungewöhnliches Trade-Aufkommen gebe und dazu großes Begleit-Rauschen in sozialen Medien.

Auch die Techunternehmen geben sich große Mühe, möglichst wie ein Erfüllungsgehilfe der Wall Street dazustehen: So schmeißt Discord zeitweise den Server einer von r/wallstreetbets inspirierten Aktiencommunity mit über hunderttausend Mitgliedern raus. Facebook sperrt ebenfalls eine solche Gruppe. Und Google setzt dem die Krone auf und rasiert zehntausende schlechte Bewertungen für die Robinhood-App einfach mal weg. Welchen Sinn eine Bewertungsfunktion noch hat, wenn Nutzer sich nicht über Funktionseinschränkungen ihrer Trading-App beschweren dürfen – nun ja. Hier gibt es nichts zu sehen, gehen Sie weiter.

Was Trading-Apps wie Robinhood und Trade Republic angeht: Ja, es ist denkbar, dass sie den Handel einschränken mussten, weil sie dem Ansturm einfach nicht gewachsen waren. Mag sein, dass die Technik nicht mitspielte, es Probleme bei den Clearinghäusern gab und Ähnliches. Aber wer sich wie diese Plattformen vorher auf die Brust trommelt, dass er die Märkte im Graswurzelstil disruptiert, und dann umknickt, wenn die Disruption an die Tür klopft – da muss man sich nicht wundern, wenn es Sammelklagen hagelt, Finanzaufseher Untersuchungen ankündigen und einen die Community mit den Hedgefonds im Bett sieht.

Und natürlich muss man bei dem verlockenden David-vs.-Goliath-Narrativ vorsichtig sein. Da sprengt nicht die Arbeiterklasse ihre Ketten, Short Squeezes sind auch kein gutes Vehikel für Bernd Kleinsparers Altersvorsorge. Sicher sind da auch eine Menge Investmentdickschiffe im Schatten des Schwarms auf Fischzug mitgesegelt. Zudem tummeln sich bei r/wallstreetbets viele junge Trader, die sehr aggressive und hochriskante Strategien bevorzugen und sich darin kaum von den Profis unterscheiden. Die Strategie, die Kurse der leerverkauften Game-Stop-Aktien zu beeinflussen, hatte 2019 auch schon der Profi-Investor Michael Burry gefasst.

Aber Burry hat eben keinen Sturm beschworen. Dass eine Onlinecommunity zur Investmentparty bläst und damit die üblichen Marktbeherrscher in Angst und Schrecken versetzt, das hat es vorher nicht gegeben. Gemeinsam formen diese fröhlichen YOLO-Hodler eine zur Abwechselung mal deutlich sichtbare Hand des Marktes. Und ich finde es sehr erfrischend, wie tüchtig diese Hand Ohrfeigen an all jene austeilt, die von Kapitalismus reden, aber eigentlich lieber Elitensozialismus für Reiche und Monopolisten reklamieren wollen. Liebes r/wallstreetbets, liebes r/mauerstrassenwetten: Lasst es noch öfter klatschen.

(axk)