Cloud-Dienst Stadia auf dem Abstellgleis: Google hat den Glauben verloren

Google wollte Blockbuster entwickeln, die Stadia voll ausreizen. Nach exakt null Veröffentlichungen ist dieser Plan am Ende – ein Scheitern mit Signalwirkung.

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(Bild: Google)

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Unrühmlicher können Ambitionen kaum mit der Realität zusammenkrachen: Zum Start seines Cloud-Gaming-Diensts Stadia hatte Google eigene Entwicklerteams zusammengestellt und namhaftes Personal eingekauft. Unter der Führung von Jade Raymond ("Assassin's Creed") und Shannon Studstill ("God of War") sollten Exklusivspiele entstehen, die das Potenzial der Cloud voll ausreizen. Gigantische Mehrspielerwelten, innovative Konzepte fürs barrierefreie Zusammenspielen – aus alledem wurde nichts. Nicht einmal zwei Jahre nach der Ankündigung hat Google seine internen Studios unter der "Stadia Games and Entertainment"-Flagge in Montreal und Los Angeles aufgelöst.

Eine Analyse von Daniel Herbig

Daniel Herbig berichtet auf heise online unter anderem über Unterhaltungselektronik, Smartphones und Gadgets.

Die Bilanz von "Stadia Games and Entertainment": null Spieleankündigungen, null Veröffentlichungen. Kein Wunder, die Entwicklung von Blockbuster-Videospielen dauert Jahre, selbst bei eingespielten Entwicklerteams. Das muss Google klar gewesen sein, als das Unternehmen noch im Dezember 2019 Typhoon Studios ("Journey to the Savage Planet") in den Warenkorb legte, um die eigenen Entwicklerteams weiter zu unterstützen.

Diese Studios nun kurzerhand zu schließen, ist selbst für einen routinierten Software-Einstampfer wie Google eine Peinlichkeit, deren Signalwirkung sich nicht leugnen lässt: Ja, im Blog-Eintrag zur Studioschließung betont Stadia-Chef Phil Harrison, mit dem Streaming-Dienst werde es trotzdem weitergehen. Doch warum sollte die Nutzerschaft noch an die Zukunft eines Produkts glauben, das Google nach nicht einmal zwei Jahren schon aufzugeben scheint?

Es stimmt, dass das Ende von "Stadia Games and Entertainment" nicht zwangsläufig das Ende von Stadia selbst bedeutet. Der Schritt leitet allerdings mindestens einen Strategiewechsel ein. Google wolle sich lieber auf die Technik von Stadia und die Zusammenarbeit mit Geschäftspartnern konzentrieren, schreibt Harrison im Blogeintrag. Und beklagt nebenbei, dass die Entwicklung von AAA-Spielen ja ein langer und teurer Prozess ist – als wäre das eine überraschende Erkenntnis. Stattdessen will Google nun verstärkt in die technische Infrastruktur und Entwicklerwerkzeuge investieren.

Das ist ein Eingeständnis des Scheiterns: Google hatte Stadia bei der Vorstellung im März 2019 als Zukunft des Gamings verkauft, als echten Konkurrenten zu Highend-PCs und Spielkonsolen, als einen Paradigmenwechsel hin zum allgegenwärtigen Zocken. Die Gründung eigener Studios mit namhaften Entwicklerpersönlichkeiten war vielen ein Garant, dass Google diese Versprechen auch ernst meinte. Bis zuletzt galten Googles Entwicklerteams der Stadia-Community und Cloud-Gaming-Fans als Hoffnungsträger. Ihre Schließung bestätigt zweifelsfrei: Stadia hat sich nicht so entwickelt, wie Google es sich im März 2019 vorgestellt hatte – und steht nun zumindest in seiner aktuellen Form auf dem Abstellgleis.

Für Stadia lief es von Anfang an nicht rund. Zum Launch fehlten nicht nur viele versprochene Features wie die Youtube-Integration, es mangelte auch schlicht an interessanten Spielen. Mit einem unnötig komplizierten – und teuren – Preismodell vergraulte Google außerdem viele Interessenten. Um auf Stadia spielen zu können, mussten Kunden neben einem kostenpflichtigen Abo auch für die Spiele selbst zahlen. Dieser klobige Mix war schlicht zu teuer für viele, die Cloud Gaming einfach mal ausprobieren wollten.

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Als Stadia 2020 auch eingeschränkt kostenlos nutzbar wurde, war der Hype um den Cloud-Dienst schon längst verdampft. Weil Google keine Zahlen veröffentlicht, ist nicht bekannt, wie viele Nutzer Stadia denn eigentlich hat. Die aktuellen Entwicklungen zeigen: offenbar nicht genug, um Google zufriedenzustellen.

Dabei schien sich Stadia zuletzt sogar zu verbessern: Viele versprochene Features wurden nachgereicht, immer mehr Spiele wurden verfügbar. Mit "Cyberpunk 2077" konnte Google sogar direkt zum Launch eines der größten Blockbuster-Spiele der vergangenen Jahre anbieten: Im Vergleich zu den technisch desaströsen Konsolenversionen lief die Stadia-Version des Action-Rollenspiels in der Google-Cloud angenehm rund, auch heise online lobte die Fassung für den Cloud-Gaming-Dienst. Dass Google nun die eigenen Studios dichtmacht, erstickt diesen aufkommenden Optimismus aber im Keim.

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Während Grafikkarten und Spielkonsolen seit Monaten ausverkauft sind, trägt Google also den ambitioniertesten Teil seiner eigenen Spielevision zu Grabe. Stadia wird vorerst weiterleben, vielleicht langfristig nicht mehr als Plattform für Kunden, sondern als Infrastruktur für andere Spiele-Publisher. Die Fackel fürs Cloud-Gaming halten nun andere hoch. Nvidia lässt Kunden von Geforce Now einfach viele der Spiele streamen, die sie ohnehin schon auf Steam und Co. besitzen. Und Microsoft verbindet mit Xbox Game Pass Ultimate ein hochwertiges Spiele-Abonnement mit der unverbindlichen Möglichkeit, die inkludierten Spiele auch einfach mal aufs Handy zu streamen.

Weder Microsoft noch Nvidia entwickeln aber Titel, die ganz speziell auf die Cloud als Plattform ausgelegt sind. Es war Googles Rolle, die Gaming-Community von einer schillernden Cloud-Zukunft träumen zu lassen, mit nie dagewesenen Spielwelten und unerreichter Hardware-Power. Spätestens jetzt ist auch Google zurück auf dem Boden der Tatsachen.

(dahe)