Satiremagazin: "Titanic"-App im Google Play Store gesperrt nach Zensurforderung

Google hat einige Heftmotive als "obszön" bezeichnet und fordert deren Löschung – das Satiremagazin wehrt sich und zieht alternative Vertriebswege in Betracht.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 331 Kommentare lesen
Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Silke Hahn
Inhaltsverzeichnis

Die Herausgeber der Titanic können zurzeit die digitale Ausgabe ihres Satiremagazins nicht mehr über die App im Play Store von Google ausliefern. Hintergrund ist eine Auseinandersetzung mit dem Tech-Konzern, der laut Titanic-Chefredaktion an mehreren Heftcovern Anstoß genommen hatte.

Insbesondere die Dezemberausgabe 2020 sei bei Google wegen der als "obszön" bewerteten Darstellung eines sakralen Motivs (profanity) auf Ablehnung gestoßen: Auf dem Heftcover sind der Papst mit blankem Hinterteil, in dem ein Kruzifix steckt, sowie ein verärgerter (da auf den Herrgott eifersüchtiger) Jesus mit entblößten Geschlechtsteilen zu sehen. Das Cover ist eine Anspielung auf ein Titelbild des französischen Satiremagazins Charlie Hebdo, auf dem in einer ähnlichen Szene der türkische Premierminister zu sehen gewesen war.

"Zu obszön"? Titanic-Cover, die Googles Zensurapparat missfallen (3 Bilder)

Titanic 12.2020

(Bild: Titanic-Magazin)

Vor zwei Wochen, kurz vor Erscheinen der zweiten Ausgabe 2021, habe Google die App des Satiremagazins mit einem automatisch generierten Hinweis ohne Vorwarnung gesperrt, sagte die Titanic-Redaktion. Darauf sei dann die Forderung gefolgt, einige ältere Heftcover mit Darstellungen von Nacktheit und Sexualität zu löschen. Kurios sei dabei, dass die App der Titanic bereits seit 2014 im Store gelistet sei und durch die Zuordnung als Satire eigentlich eine Altersfreigabe von 12 Jahren hatte, erklärte Titanic-Chefredakteur Moritz Hürtgen gegenüber heise Online.

Weiterhin im Store gelistet ist zum Beispiel das Magazin Eulenspiegel mit ähnlich drastischen Titelbildern, das sogar ohne Altersbeschränkung verfügbar ist. Hürtgen zufolge hatte sein Magazin als Kompromisslösung einen Antrag auf Wiederzulassung als Erwachsenen-App mit der Altersfreigabe "ab 18" gestellt. Den Antrag habe Google jedoch am heutigen Montag abgeschmettert.

Moritz Hürtgen bekräftigte auch, dass das Satiremagazin sich dem Druck aus dem Silicon Valley nicht beugen werde: "Titanic wird sich nicht selbst zensieren, um dem verkniffenen Humor von Monopolwichsern in San Fernando Valley, äh: Silicon Valley gerecht zu werden." Man werde eher den Verlust digitaler Abonnements in Kauf nehmen und den Store dauerhaft verlassen, sollte Google die Titanic-App samt Motiven nicht wieder vollständig freischalten.

In der Vergangenheit hatte es bereits ein Missverständnis mit dem App Store von Apple gegeben, das sich aber rasch klären ließ (die Sperre wurde aufgehoben, im App Store ist die Titanic-App auch weiterhin verfügbar). Bei Twitter war die leidgeprüfte Titanic ebenfalls einmal vorübergehend gesperrt gewesen.

Titanic hat eigenen Angaben nach gegen Googles Zensurforderung Einspruch eingelegt und erwägt nun auch, die eigene App dauerhaft aus dem Play Store zurückzuziehen. Abonnenten und Abonnentinnen werde man zwischenzeitlich "auf anderem Wege versorgen", heißt es auf der Titanic-Website.

Die Redaktion der Titanic bietet derzeit Abonnenten die direkte Belieferung mit Print- und PDF-Ausgaben an. Da das Magazin laut Chefredakteur "keinen Zugriff auf die Kontaktdaten der "Play Store"-Abonnent/innen hat", sollen von der App-Sperre Betroffene sich per E-Mail melden. Weiterführende Hinweise lassen sich dem Eintrag im Titanic-Newsticker entnehmen. Wer das Satiremagazin in der Sache unterstützen möchte, kann weiterhin ein klassisches Printabo abschließen.

Der Vorfall ruft Zensurentscheidungen etwa bei Facebook in Erinnerung, wo im Januar der Beschwerderat vier von fünf beanstandeten Sperren nach einer Überprüfung rückgängig machen ließ. Ein ohne Kontext auf Englisch gepostetes Goebbels-Zitat (das nicht als Satire diente), falsche Heilsversprechen zu COVID-19 und die Darstellung nackter Brüste im Zuge einer Brustkrebs-Kampagne galten danach wieder als zulässig.

In der Vergangenheit hatten stillende Mütter erfolgreich gegen das Löschen ihrer Bilder bei Facebook protestiert. Im Zuge des "Brust-Puritanismus" war auch der Facebook-Auftritt des ZDF aufgrund eines medizinischen Bildes damals vorübergehend gesperrt worden. In einem aktuellen Bericht kritisiert Amnesty International Facebook und Google dafür, sich an der Unterdrückung von Menschen und Meinungen zu beteiligen.

(sih)