Computer in der Hose

'Wear your Information!', dieser Devise scheinen heutzutage nicht nur Handy-Besitzer nachzukommen. Die komplette Palette tragbarer Kommunikationsgeräte kann sich allerdings zu einem recht schweren Handgepäck auswachsen.

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Lesezeit: 6 Min.
Von
  • Torsten Beyer
  • Kersten Auel

Halten Sie Ihren Laptop wirklich fĂĽr klein? Klar - die Miniaturisierung der EDV hat tolle Wogen geschlagen in den letzten Jahren. Ich kann mich noch erinnern (sprach der grauhaarige iX-Kolumnist), da konnte man die Kaffeetasse zwischen den diskret aufgebauten CPU-Boards einer 750er VAX warmhalten. Heute hat meine programmierbare Kaffeemaschine mehr Wumm als die waschmaschinengroĂźe DEC-Schachtel.

Wenn man allerdings die Heerscharen von schnaufenden Schlips- und Anzugbewehrten 'IT Professionals' betrachtet, die Tag um Tag durch deutsche Flughäfen, Bahnhöfe und andere Knotenpunkte modernen Nah- und Fernverkehrs hasten, kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, daß unsere mobilen EDV-Systeme eine glatte Gewichtspotenz zu groß sind. Mein Laptop etwa, Produkt einer namhaften amerikanischen EDV-Firma, bringt so viel Gewicht auf die Waage, daß ich ihn am liebsten nicht mitnähme. Weil die Akkus so mies sind, muß man zusätzlich noch Netzteile mitschleppen, das auswechselbare CD-ROM-Laufwerk darf nicht zurückbleiben, ebensowenig die Installationsdisketten von Windows NT (man weiß ja nie ...). Außerdem braucht man noch diese schicken tragbaren Farbdrucker. Ja und das 'Managertamagotchi' schlechthin, das Handy, muß auch mit auf die Reise - samt Netzteil und Ladeschale versteht sich.

Der um gute 15 kg erschwerte Reisende ist - so die Botschaft der Werbenden - gehalten, all dies als die ultimative EDV-Erfahrung zu begreifen: das mobile Office. DaĂź man einen Sherpa braucht, hat die Werbung allerdings verschwiegen.

Die wahre Größenrevolution steht uns noch bevor. Nachdem 'mobile Computing' nur für Sumo-Ringer möglich zu sein scheint, heißt der neue heiße Trend 'wearable Computing'. Ins Deutsche übertragen trifft 'anziehbare Computer' den Nagel vielleicht am besten auf den Kopf. Gemeint sind Geräte, die deutlich kleiner (und natürlich auch weniger funktional) sind als die als portable Desktop-Rechner verkleideten Laptops. Der vermutlich erste wearable Computer, den man kaufen konnte, war der intelligente Pager. Dann hätten wir das Handy, dessen modernste Formfaktoren vermuten lassen, daß die Ergonomietests an Käthe-Kruse-Puppen vorgenommen werden (oder beträgt bei Ihnen der Abstand zwischen Mund und Ohr 4 cm?). Ja, und dann ist da noch der Verkaufsschlager der wearable Branche schlechthin - das Tamagotchi.

Wearable Computing ist neu, und nach meinem Kenntnisstand ist dieser Begriff zum ersten Mal im Rahmen der Digital-Life-Arbeitsgruppe am MIT entstanden. Was die da treiben und was genau die Leute um Nic Negroponte sich unter Digital Life vorstellen, kann man auf den Webseiten des Konsortiums nachlesen.

Die in bezug auf das Anziehen von Computern spannendste Arbeitsgruppe des MIT ist fraglos 'Things that think', die die folgende Vision hat: 'In the past, shoes could stink. In the present, shoes can blink. In the future, shoes will think.' Stellen Sie sich vor, Ihr Turnschuh - mit GPS-Empfänger und Rechner in der Sohle - weiß immer genau, wo Sie sind. Besorgte Eltern könnten dann auf Knopfdruck den Aufenthaltsort des Stammhalters ermitteln und verirrte Touristen den kürzesten Weg zum nächstgelegenen Souvenirshop finden. Sie meinen, das klinge albern? Offenbar hat diese Vision immerhin eine solch große Anziehungskraft auf die Industrie, daß Firmen wie Lego, Levis oder gar Nike die Aktivitäten der Arbeitsgruppe (http://ttt.media.mit.edu) massiv fördern.

Die Medialaboranten richten ihren Forscherdrang auch (und kommerziell gesehen wahrscheinlich gerade) auf das Spielen. Auf den Webseiten der Arbeitsgruppe 'Toys of Tomorrow' (http://ttt.www.media.mit.edu/pia/Pubs/totweb/page3.html) gibt es eine Reihe von kuriosen und interessanten Visionen zum Thema anziehbarer, computerbasierter Spielideen.

Weniger wissenschaftlich, dafĂĽr sehr viel plakativer sind die Arbeiten von Philips. Kaum zu glauben, aber wahr: die Erfinder der CD scheinen auch in der neuen Technologie die Nase zumindest auf dem Papier (und vermutlich auch in bezug auf Patente) vorn zu haben. Die enormen Lieferschwierigkeiten der ersten Vertreter der neuen 'tragbaren' Philips-Rechner (Velo) deuten darauf hin, daĂź sie wieder einmal den anderen das Feld des Geldverdienens ĂĽberlassen.

Philips jedenfalls hat Ende 1996 verschiedene Arbeitsgruppen etabliert, die sich mit Anwendungsmöglichkeiten kleiner und kleinster Rechnersysteme beschäftigt haben. Erfreulich dabei: Die Gruppen waren nicht nur mit Akademikern, sondern auch mit Produktmanagern und Produktionsexperten besetzt, die die besten Ideen dieses 'Think Tank' sofort in (leider nicht funktionierende) Modelle umgewandelt haben. Mit diesen Modellen haben sie dann kleine Filmchen produziert, die die Anwendung derartiger Geräte illustrieren. Das Ergebnis dieser Arbeiten läuft bei Philips unter dem Stichwort 'Visions of the Future'.

Auch die Philips-Leute haben sich im Rahmen ihrer Überlegungen intensiv mit dem Thema Spielen befaßt und präsentieren die 'anziehbaren' Ergebnisse online.

Haben Sie sich schon einmal gewundert, was falsch ist an Apples Newton oder ähnlichen Geräten? Ganz einfach: die Intelligenz ist im Rechner und nicht im Stift. Würde man die Schrifterkennung in den Stift verlagern, könnte man mit einem an den PC angeschlossenen elektronischen Tintenfaß handschriftliche Notizen weiterverarbeiten. Klingt utopisch? Immerhin gibt es bereits ein ausgearbeitetes Konzept.

Das erste 'anziehbare' Gerät, das man kaufen kann, kommt vom IT-Querdenker Philippe Kahn. Philippe ist vermutlich den meisten bekannt als Gründer und langjähriger Chef von Borland mit starkem Hang zum Außergewöhnlichen. Neben seinen unbestreitbaren Qualitäten als Jazz-Saxophonist besitzt er die Eigenschaft, kreative, neue Ideen früher aufzugreifen als viele seiner Mitstreiter. So hat er vor Jahren bereits mit seiner neuen Firma Starfish Software angefangen, sich über die Anwendung wirklich kleiner Rechnersysteme Gedanken zu machen. Herausgekommen ist die Idee eines scheckkartengroßen Terminkalenders-Todo-Listenverwaltungs-Namenssystems. Das Ergebnis heißt REX Card und kann auf der Starfish-Webseite bewundert werden.

Interessant scheinen die technischen Rahmenbedingungen auch für andere zu sein. Starfish hat zunächst gemeinsam mit Intel versucht, die Hardware zu entwickeln. Nachdem die Intel-Strategen jedoch feststellen mußten, daß der Pentium-Prozessor, den sie in die PC Card eingebaut hatten, dauernd das LCD Display zerschmolz, zogen sie sich schmollend aus dem Projekt zurück. Angesichts dieser Erfahrung (Porschemotor im Bollerwagen) beschloß Starfish, lieber Prozessortechnologien zu verwenden, die auf winzige Ausmaße optimiert sind. Fündig wurden sie schließlich bei einem Uhrenhersteller.

Weitere technische HintergrĂĽnde sowie Vorhersagen darĂĽber, wie sich 'anziehbare Rechner' in unser Leben schleichen werden, finden sich in Phillipe`s Technology Column. (ka)