Roboter siegen beim Curling

Geschickte Motorik, taktisches Vorgehen: Eine auch in Deutschland entwickelte KI triumphiert in Korea beim "Schach auf Eis".

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Zwei Roboter messen sich mit Profi-Curlern.

(Bild: Korea University)

Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Thomas Brandstetter

In Deutschland gilt Curling als exotische Sportart, für die viele nur ein mildes Lächeln übrighaben. Doch inzwischen haben Robotik- und Künstliche-Intelligenz-Forscher (KI) das Spiel auf dem Eis für sich entdeckt. Ihnen gelang nun etwas, das getrost als Durchbruch in der KI-Forschung bezeichnet werden kann: Der selbstlernende Roboter „Curly“ setzte sich in Korea beim Curling gegen hochklassige menschliche Teams durch. Nach den Erfolgen von KIs bei Brettspielen wie Go oder Schach – die sich rein virtuell spielen lassen – ist mit Curling gewinnenden KIs ein weiterer Meilenstein erreicht: Die Überlegenheit von KIs schwappt damit – zumindest im gut abgesteckten Bereich der Spiele – aus der virtuellen in die reale Welt über.

Denn was in einer Simulation oder im Labor funktioniert, muss sich noch lange nicht in der Realität mit all ihren versteckten Einflüssen und Zufälligkeiten bewähren. Um diese „Sim-to-Real Gap“ genannte Lücke zu schließen, entwickelte Klaus-Robert Müller, der Leiter der Machine Learning-Gruppe der Technischen Universität Berlin gemeinsam mit seinen koreanischen Kollegen einen Curling-Roboter.

Beim Curling geht es um viel mehr, als nur einen Stein präzise auf seine rutschige Bahn zu bringen. Das Spiel, oft auch als „Schach auf Eis“ bezeichnet, ist hoch komplex und verlangt neben einer ruhigen Hand beim Werfen auch taktisches Geschick. Das Ziel ist – ähnlich wie beim Eisstockschießen – einen der eigenen Steine möglichst nah an das Zentrum im „Haus“ am anderen Ende der Eisbahn zu platzieren. Um einen menschlichen Spieler zu ersetzen, waren zwei Roboter nötig: In einer Version verschaffte sich Curly mit einer Kamera einen Überblick über die Situation und entwickelte eine geeignete Strategie. Ein zweiter Curly-Roboter schickte den Stein auf seine Reise. Allerdings spielte Curly nach den vereinfachten Regeln des Rollstuhl-Curlings, bei dem jene Spieler entfallen, die nach dem Wurf die Bahn des Steins durch das Schrubben des Eises mit einem Besen beeinflussen.

Erste Probleme mit der Mechanik bekamen die koreanischen Ingenieure bald in den Griff, doch „wenn man versucht, die Bahn des Steines auf Basis der besten zur Verfügung stehenden Simulationen vorauszuberechnen und dann schaut, wo er wirklich ankommt, liegt der gerne einmal drei Meter daneben“, sagt Müller. Das liegt vor allem daran, dass die genaue Beschaffenheit der Eisoberfläche eine unbekannte Größe ist.

Gemäß den offiziellen Regeln standen jedoch auch Curly vor jedem Match einige Probewürfe zu, um sein Programm anzupassen. Zwar verändert sich die Eisoberfläche während des Spiels, selbst wenn niemand die Besen schwingt. „Doch das Besondere an Curly ist, dass er sich in Echtzeit auch an diese Veränderungen anpassen kann“, erklärt Müller.

Curly errechnet zunächst, in welche Richtung, wie schnell und mit welchem Drall er den Stein losschicken muss, damit der am gewünschten Punkt zum Stehen kommt oder einen gegnerischen Stein wegstößt. In seine mathematischen Modelle fließt auch die Beschaffenheit des Eises etwa in Form des Reibungswiderstandes ein. Erfasst die Kamera eine unvorhergesehene Abweichung, passt er den Einfluss der Eisoberfläche an. Für den nächsten Wurf nimmt er dann den neuen „Eis-Faktor". „Nur so konnte er schließlich gegen die Topspieler bestehen“, sagt Müller.

Zum ersten großen Auftritt seiner Roboter in Testspielen vor Publikum war Müller nach Korea geflogen. „Die Stimmung dort war großartig“, schwärmt der Forscher. „Alle haben mit Curly mitgefiebert und bei jedem guten Wurf brach sofort Jubel auf den Zuschauerrängen aus.“ Nach einigen Testspielen war die Brust der Wissenschaftler schließlich breit genug, um Curly in den Wettkampf-Ring zu schicken. Und mit drei Siegen in vier offiziellen Matches gegen eines von Koreas besten Damencurling-Teams und das nationale Reserveteam im Rollstuhlcurling hat Curly dort das „Sim-to-Real Gap“ auf beeindruckende Weise überwunden.

(bsc)