Lieferando & Co.: Restaurants liefern wegen Provisionen lieber selbst aus

Das Vermittlungs- und Lieferdienstgeschäft der großen Online-Portale brummt. Doch Restaurants müssen hohe Provisionen zahlen, wenn sie nicht selbst ausliefern.

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(Bild: Karl Allen Lugmayer/Shutterstock.com)

Lesezeit: 5 Min.
Von
  • Matthias Arnold
  • dpa
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Große Auswahl, unkomplizierte Bezahlung und Lieferung direkt an die Tür: Schon lange können Verbraucher in Deutschland ihre Lieblingspizza auch online bestellen. Doch die Corona-Krise hat diesen Trend noch einmal massiv beschleunigt. Die Konsumenten sparen sich den Weg nach draußen. Für viele Restaurants wiederum ist es derzeit oft die einzige Möglichkeit, überhaupt etwas zu verkaufen. Lieferdienste wie Lieferando bieten ihnen somit eine Chance – doch die hat Kritikern zufolge auch Schattenseiten.

"Das Abholen und Bringen von Speisen ist aktuell der einzig noch erlaubte Vertriebskanal für die Restaurants", sagt Ingrid Hartges, Hauptgeschäftsführerin des Deutschen Hotel- und Gaststättenverbands Dehoga. "Gezwungenermaßen setzen viele Gastronomen auf das Take-Away-Geschäft." Davon profitieren vor allem Lieferdienst-Plattformen wie der Branchenriese Lieferando, eine Tochtermarke des holländischen Konzerns Takeaway.

"Die großen Online-Plattformen greifen jede Menge Wertschöpfung ab", sagt Hartges. "Es sind die Restaurants, die das Produkt besitzen und die die wirtschaftliche Verantwortung für ihren Betrieb und ihre Mitarbeiter tragen – und eben nicht die Portale." Bei Provisionen von 30 Prozent pro Bestellung sei klar, dass sich nur sehr wenige Restaurants die Zusammenarbeit mit den Lieferdiensten leisten könnten.

Seit 2019 ist Lieferando in Deutschland nahezu der einzige Anbieter, der die gesamte Palette abdeckt: Von der Online-Bestellung bis zur Lieferung hat das Unternehmen alles für die Gastronomen im Angebot. "Wir beraten unsere Restaurants auch dahingehend, sich einen eigenen Lieferservice aufzubauen", sagt Deutschland-Chefin Katharina Hauke. "Wir helfen den Gastronomen bei der Digitalisierung."

Lieferando verdiente damit besonders in der Krise gut – so wie andere Anbieter auch. Allein im vierten Quartal stieg hierzulande die Zahl der Bestellungen über die Plattform um rund 56 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum auf rund 56 Millionen. Für das Jahr 2020 geht der Konzern für sämtliche seiner Märkte von einem Umsatz von rund 2,4 Milliarden Euro aus – mehr als 50 Prozent mehr als 2019.

30 Prozent des Bestellumsatzes werden laut Hauke nur fällig, wenn ein Lieferando-Fahrer das Essen ausliefert. Liefert das Restaurant selbst, fallen 13 Prozent für die Nutzung der Plattform an. Das sei bei rund 90 Prozent der Gastronomen der Fall, sagt Hauke. Hartges erkennt das Argument an. Es gebe durchaus Betriebe, die sagten, dass sie über Lieferando deutlich mehr Bestellungen bekämen. "Letztendlich kann die Frage, was sich wirklich lohnt, der Gastronom nur individuell und abhängig von seiner konkreten Betriebssituation beantworten", sagt sie.

In die Lieferlücke will in Deutschland nun ein neuer Konkurrent vorstoßen: Der Finnische Lieferdienst Wolt ist im Spätsommer vergangenen Jahres in den deutschen Markt eingestiegen und richtet sich vor allem an Restaurants ohne eigenen Lieferdienst. "Deutschland ist der größte Markt in Europa. Klar, dass wir das ausprobieren wollen", sagt Deutschland-Marketingchef Felix Ecke.

"Wenn wir das Essen selber ausliefern, haben wir die größtmögliche Kontrolle darüber. Wenn das Restaurant selbst ausliefert, dann habe ich eine große Blackbox." 25 bis 30 Prozent nimmt Wolt als Provision dafür von den Restaurants. Mehr als 750 Gastronomen konnte das Unternehmen inzwischen überzeugen. Es ist bislang nur in Teilen Berlins sowie in Frankfurt und München unterwegs. Lieferando verzeichnet mehr als 20.000 Restaurants auf der eigenen Plattform. Doch Wolt konzentriert sich aufs Wachstum und wirbt derzeit in einer zweiten Runde um Investoren.

Die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) sorgt sich indes nicht um die hohen Provisionen, sondern vor allem um die Belange der Fahrer bei Wolt und Lieferando. Nicht ganz einfach angesichts der hohen Fluktuation. "Wir müssen deshalb Strukturen schaffen, die auch lange halten", sagt Christoph Schink, NGG-Referatsleiter für den Bereich Gastgewerbe. Inzwischen gebe es in rund sieben Städten Betriebsräte bei Lieferando. "Bei den Lieferdiensten gibt es diese Anreizsysteme: Je schneller du fährst und je mehr Aufträge, desto mehr Geld kannst du verdienen." Das sei ein Fehlanreiz. "Unsere Mitglieder sind immerhin täglich im Straßenverkehr unterwegs."

Neben den beiden Komplett-Anbietern tummeln sich eine Vielzahl weiterer Unternehmen auf dem Lieferdienstmarkt: App Smart, Simply Delivery oder Discoeat überlassen dabei die Lieferung ausschließlich den Restaurants und kümmern sich um deren Online-Angebot und die Abwicklung. "Wir waren die erste Firma, die ein professionelles Shopsystem auf den Markt gebracht hat, mit Support und Vor-Ort-Beratung", sagt Matthias Thom, Geschäftsführer beim Wiesbadener Lieferportal App Smart. Dabei kooperiert das Unternehmen auch mit Google, sodass Verbraucher gleich bei der Internet-Suche nach einem Restaurant mit wenigen Klicks bestellen können.

Die Corona-Krise, so ist sich Thom von App Smart sicher, habe die Branche um zwei Jahre nach vorne gebracht. Und in einer Sache ist er sich mit Lieferando-Deutschland-Chefin Hauke einig: Noch immer bestellen die meisten Verbraucher per Telefon direkt beim Restaurant. "Das bleibt unsere größte Konkurrenz", sagt Hauke.

(olb)